Der Wellenreiter
                          Wirtschaftsthemen der Zeit

 

   

22. Oktober 2004
 

Dow 40.000 mit Absturzgarantie

 

Auf der Börsenbühne zählt Harry S. Dent zu den interessanteren Charakteren. Dent wird gemeinhin als „größter Bulle der Wall Street“ bezeichnet. 1993 prognostizierte der Analyst und Börsenbriefschreiber in seinem Buch „The Great Boom Ahead" einen Dow von 8.500 Punkten spätestens im Jahr 2007. Das war für damalige Verhältnisse schlicht und einfach frech. Doch der Erfolg gab Ihm Recht; mittlerweile fordert und erhält Dent 50.000 Dollar pro Auftritt.

Auch für das laufende Jahrzehnt ist er ausnehmend bullisch.

Was macht Dent anders?
Er entdeckte in den 80er Jahren, dass die Geburtenrate der USA mit dem Verlauf des Dow Jones Index bzw. S&P500 übereinstimmt, wenn man die beiden Datenreihen um 47 Jahre zueinander verschiebt. Man beachte, dass der Verlauf des Dow Jones Index inflationsbereinigt dargestellt ist.
 


Ohne Zweifel ist hier ein Zusammenhang erkennbar. Im Jahre 1982 erreichte der Dow Jones Index das inflationsbereinigte Tief eines 16 Jahre andauernden, quälenden Bärenmarktes. Und tatsächlich befanden sich zu jenem Zeitpunkt gerade diejenigen US-Amerikaner in der Altergruppe um 47 Jahre, die in der großen Depression Mitte der 30er Jahre geboren wurden. Bei der während der Depression herrschenden Zukunftsangst hatte damals kaum jemand den Mut, Kinder in die Welt zu setzen. Dementsprechend bezeichnete die US-Geburtenzahl von 1935 einen Verlaufstiefpunkt.

Aktuell befindet sich die „US-Baby-Boomer-Generation“ in der Altersgruppe um 47 Jahre. Das Jahr 1957 ist in den USA das Jahr mit der höchsten jemals erreichten Geburtenrate. Die Geburtenrate blieb weitere 4 Jahre auf diesem Niveau, bevor sie mit dem „Pillenknick“ in Verlaufe der 60er Jahre stark absackte. In Deutschland wurde die absolut höchste Nachkriegsgeburtenzahl im Jahre 1962 notiert, nicht zufälligerweise mein Geburtsjahrgang.

Warum sind ausgerechnet die 47-jährigen so wichtig für Dents Projektionen? Der Analyst in einem seiner früheren Newsletter: „Die spendierfreudigsten US-Bürger in 2001 sind nach der 2000er Volkszählung diejenigen, die im letzten Jahr 46 Jahre alt waren und somit in diesem Jahr 47 werden.“

Die Erklärung für Dents Ansatz findet sich demnach in der Intensität des Konsums. Die 47jährigen und die Jahrgänge um ihn herum sind die Großkonsumenten. Gibt es besonders viele von Ihnen, geht es der Wirtschaft gut; sind diese Jahrgänge zahlenmäßig schwach bestückt, stützt die Wirtschaft in ihr Verderben, so die Theorie von Dent. 80 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts werden durch den privaten Konsum bestimmt.

Auf dem Prüfstand
Wie gut funktioniert dieses Erklärungsmodell, das im Laufe der Zeit weiter verfeinert wurde? Nachfolgend liste ich Dents Prognosen aus seinem Buch „The Great Boom Ahead" - geschrieben im Jahr 1993 – auf. Der Dow stand damals bei etwa 3.500, der Nikkei bei ca. 20.000 Punkten.

„- Der Dow wird bis zum Jahr 2007 mindestens 7.000, wahrscheinlich sogar 8.500 Punkte erreichen. 1996 wird es eine 10 bis 20prozentige Korrektur geben, ansonsten werden die Aktien steigen, speziell nach 1998.

- Die Inflation bleibt während des Booms niedrig, meist unterhalb von 3 Prozent.

- Der Zinssatz der 30jährigen US-Anleihen fällt bis auf 5 oder 6 Prozent.

- Der Ölpreis bleibt in einer Handelsspanne zwischen 15 und 22 Dollar.

- Der Goldpreis sieht nur geringe Gewinne in diesem Boom. Er kann allerdings bis 1995 bzw. Anfang 1996 steigen. Ein nochmaliger Anstieg zwischen 1998 und 2002 ist möglich.

- Der japanische Aktienmarkt wird stark hinter dem US-Markt zurückbleiben. Zwischen 1996 und 1998 könnten wir neue Tiefststände zwischen 10.000 und 14.000 Punkten sehen.

- Ein spektakulärer Boom wird sich in den Schwellenländern des Fernen Ostens, in Lateinamerika und Osteuropa entwickeln. Stärkste Länder: China und Mexiko.

- Die nächste große Depression findet von 2008 bis 2023 statt.“

Urteilen Sie selbst. Für mich gibt nichts daran zu deuteln, dass dieses Prognosepaket aus dem Jahr 1993 herausragend war. Eine Verdoppelung des Dow wollte damals beim besten Willen niemand sehen, und auch die anderen Aspekte wurden weitestgehend erfüllt. Den Faktor, den Dent nicht erkannt hat, war die Rohstoffhausse ab 2001. Aber für die ersten 9 Jahre stimmte auch dieses Merkmal. Seine Aussage zur nächsten großen Depression lässt sich noch nicht rückwirkend betrachten; doch ich meine, darin einiges an Plausibilität entdecken zu können. Später noch einige Worte dazu.

Rosa Farben für die kommenden Jahre
Die nächsten Jahre malt Dent in rosigen Farben. Seine ursprüngliche Prognose eines Bullenmarkt-Topps bis 2007 hat er um zwei Jahre nach hinten verschoben. Er sieht Technologieaktien zwischen 2004 und 2008 eine zweite Blase bilden. Den Dow sieht er im Jahr 2008 oder 2009 bei 33.000 bis 40.000 Punkten.

Wie plausibel ist das Modell?
Mir scheint hierbei die Betrachtung des Faktors Timing wichtiger als die Verifizierung von Preiszielen. Dazu einige fundamentale und einige charttechnische Anmerkungen. Zunächst einmal glaube ich, dass man sich damit schwer tun würde, die Grundthese dieses Modells grundsätzlich in Frage zu stellen. Bei allen umgebenen Faktoren erscheint es einleuchtend und logisch, dass eine Generation geburtenstarker Jahrgänge in der Lage ist, den Konsum auf hohem Niveau aufrecht zu erhalten.

Das Jahr 1957 bezeichnet den geburtenstärksten Jahrgang der USA. 1957 plus 47 Jahre ergibt das Jahr 2004. Die Tatsache, dass der US-Markt dennoch weitere 5 Jahre steigen soll, begründet Dent mit der Immigration und damit, dass die Jahrgänge bis 1961 geburtenstark blieben. Allein der Umstand, dass die Konsumentengruppe um 47 Jahre nicht mehr wesentlich ansteigt, ist für mich ein Grund, die Vorhersage von Dent in Zweifel zu ziehen.

Vielmehr finde ich die Klarheit und Deutlichkeit frappierend, mit der sich eine Depression in den USA – und nicht nur dort - aus dieser Sichtweise heraus abzeichnet. Wenn man bedenkt, dass in Japan die geburtenstärksten Jahrgänge 1948/49 gezählt wurden, lässt sich leicht erklären, warum der Nikkei-Index schon im Jahr 1990 den Rückwärtsgang einlegte.

Die Parallelen zwischen Japan und den USA sind offensichtlich: Das Jahr 1948 zu 1990 ergibt eine Differenz von 42 Jahren; das Jahr 1957 zu 2000 ergibt eine Differenz von 43 Jahren. Offensichtlich hat sich der Ausgabenzyklus um 4 bis 5 Jahre verschoben, oder die Aktienmärkte sahen in diesem Fall schon ein wenig nach vorn.

Dennoch lässt sich meinerseits Harry Dents Prognose – was den zeitlichen Horizont angeht – nicht ganz ausschließen. Historisch betrachtet haben sich im vergangenen Jahrhundert zwischen dem Ende des vierten und dem Beginn des sechsten Jahres eines Jahrzehnts die besten Gewinne ergeben. Mehrjahreshochs wurden meist im sechsten oder im siebten Jahr eines Jahrzehnts erzielt.

Das Platzen einer Aktienmarktblase folgt einem typischen Verlaufsmuster (siehe folgenden Chart). Deshalb erscheint eine Schwächephase in den Indizes im Frühjahr 2005 wahrscheinlich. Halten sich die Indizes in dieser Zeit relativ gut, könnte sich - speziell im Nasdaq - eine Echo-Blase entwickeln, welche die Anleger durchaus glücklich machen sollte.



 

Danach jedoch droht ein Abschwung, wie ihn unsere Generation noch nicht erlebt hat. Dent spricht von einer 15jährigen Depression von 2008 bis 2023. In unserem Buch „Weltsichten-Weitsichten“ beschreiben wir den Verlauf dieser Depression in zwei Szenarien.

Gleichzeitig ist dies eine gute Nachricht für meine Kinder: Sie werden um das Jahr 2020 herum volljährig. Sie nutzen die Zeit der Depression zur Ausbildung und phasen sich rechtzeitig zum Aufschwung in das Arbeitsleben ein.


Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest


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Robert Rethfeld
 

 

 

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