Der Wellenreiter
                          Wirtschaftsthemen der Zeit

 

   

28. Januar 2005
 

Am Rande notiert

Als wir in Zürich ankamen, schneite es. Das Taxi brachte uns zum Tagungsort Swissôtel, wo die 20. Kapitalanleger-Tagung stattfand. Das war der Beginn zweier Tage, die wir so schnell nicht vergessen werden. Höhepunkte waren unsere Begegnungen mit Bill McLaren und Jim Rogers. Aber der Reihe nach.

Das Teilnehmerfeld war erlesen. Banken, Versicherungen, Investmentfonds, z.T. erste Adressen mit großen Research-Abteilungen hatten gemeldet. Bill McLaren, Branchen-Veteran, betrat die Bühne: „Geschichte wiederholt sich ständig“, sagte er, holte den Dow-Jones-Chart der achtziger Jahre aus der Tasche und legte ihn auf den Overhead-Projektor (Notebook nein danke). Dann platzierte er den aktuellen Chart des Dow-Jones-Index darunter. Etwa so:


* zwei Monate gegeneinander Zeit versetzt

Als nächstes legte Bill McLaren seine Vorhersage für den Verlauf des Nasdaq auf den Overhead-Projektor, eine alte, vom vielen Zeigen zerkratzte, aus dem Jahr 2000 stammende Folie. Man erkannte, dass er zwei Jahre vor dem Boden im Oktober 2002 eine Vorhersage gemacht hatte, die den tatsächlichen Boden um knapp eine Woche verfehlte. Staunen und Raunen.

„Von Mitte 2002 bis Mitte 2004 passte das 80er-Jahre-Muster ganz gut“, so Bill McLaren weiter, „aber ich habe mir verschiedene Pattern angeschaut und finde jetzt, dass die Kurse im Dow dem 40erJahre-Muster nachfolgen werden.“ Er zog eine Folie mit dem 40er-Jahres-Muster aus der Tasche und legte sie auf den Overhead-Projektor. Etwa so:


* ein halbes Jahr gegeneinander Zeit versetzt

„Ok“, so Bill McLaren: „Die Geschichte wiederholt sich, nichts ist neu. Böses Seitwärtslaufen im ersten Halbjahr, anschließend ein Push nach oben im zweiten Halbjahr. In 2006 endet diese Bewegung, wahrscheinlich in einer Art Kapitulations-Kaufpanik. That’s it, thank you. Ob man sich den Ablauf auch anders vorstellen könnte?“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart. „Well, nein, eigentlich nicht. Nein ganz und gar nicht, die Bewegung wird genauso kommen. History repeats over and over again.“

Bill McLaren wurde zu anderen Charts gefragt. Bonds, Gold, Weizen. „Keine Ahnung“, sagte er, „habe ich mir schon lang nicht mehr angesehen.“ Zum Dollar? War das jetzt das Tief?

Er griff sich eine leere Folie und malte mit dem Filzer eine typische Abwärtstrend-bewegung auf. „Dieser Trend hier“, so Bill und meinte damit den Dollar, „fällt hart, sehr hart. Ein solcher Trend dreht nicht einfach so. Wo war die Kapitulationsbewegung? Gebt dem Dollar Zeit für eine Bodenbildung. Wenn er 90 Tage kein neues Tief gemacht hat, dann kann man noch mal reden.“ „Weitere Fragen?“, so der Moderator. „Nein? Thank you Bill McLaren.“

Bill McLaren war der bullischste Referent der gesamten Veranstaltung. Und man wird ihn überprüfen können.

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Prof. Dr. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe, verneinte eine harte Landung in den USA und China. Japans rapider Verfall der Sparquote erstaunte ihn; insbesondere, dass die über 60jährigen Japaner ihre Ersparnisse stark angreifen würden. Der Ölpreis bleibt seiner Meinung nach hoch; die private Verschuldung in den angloamerikanischen Ländern nimmt wegen der dort stark steigenden Häuserpreise weiter zu, die finanziellen Belastungen bleiben hoch. US-Unternehmen hätten Spielräume für weitere Preiserhöhungen und die US-Politik nannte er „expansiv“.

Europa und Deutschland sah er in einer aufsteigenden Bewegung. Der Inflationsdruck werde nicht von den Rohstoffen, sondern vom Staat produziert. Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland steigt seit 2003 – wenn auch nur leicht; und der Anteil der Schwarzarbeit sinkt zum ersten Mal seit 30 Jahren. Seiner Meinung nach ist Deutschland Weltmeister in der Kostenkontrolle auch deshalb Exportweltmeister. Die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland nahmen 2004 um 6% zu, d.h. die Unternehmen investieren wieder. Auch der private Verbrauch nahm um 1,5 Prozent zu. Walter erwartet, dass die Deutschen in 2005 vermehrt Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen sowie Computer kaufen werden, da sich hier ein Bedarf nach Ersatzinvestionen aufgestaut hat. Finanziert werden soll das Ganze durch die Reduzierung der Sparquote.

Zur weltwirtschaftlichen Situation sprach er von einem „gewollten Dollar-Verfall“. Ziel der US-Administration ist es, die Importe zu dämpfen und die Exporte zu erhöhen, um so das Handelsbilanzdefizit zu verringern. Walter glaubt, dass der Auslöser für eine Finanzkrise vom Bondmarkt kommen wird („sprich: steigende Zinssätze“). Aber er sieht diese Krise frühestens für 2006 am Horizont.

Zur Diskussion um die Aufwertung der chinesischen Währung trug Walter seine Ansicht bei, dass eine Inflationsrate in China oberhalb von 5% bei steigender Wachstumsrate die chinesische Führung zu einer Aufwertung ihrer Währung veranlassen könnte. Und wenn Aufwertung, dann gleich richtig (um 15-20%).

Die EZB wird voraussichtlich bei 1,40 – 1,45 Dollar für den Euro mit Interventionen einschreiten. Für Russland ist Walter „noch 5 Jahre ein Bulle und danach 45 Jahre ein Bär“ und nannte dafür demografische Gründe. Konkrete Vorhersagen zu einzelnen Märkten für das Jahr 2005 hörte man so gut wie nicht, aber wenigstens sagte er das offen.

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Ein vollkommen anderes Thema brachte Prof. Dr. Jeffrey Sachs mit. Als Direktor des Earth Institute an der Columbia University (New York) hatte er just eine Woche zuvor der UNO einen Bericht zu praktischen Maßnahmen in der Entwicklungshilfe vorgelegt. Sachs präsentierte sich als engagierter, sich für seine Regierung schämender Redner. Er wetterte offen gegen Bush und nannte die Nicht-Anerkennung des Kyoto-Protokolls als ein Grund dafür, ein weiterer waren die geopolitischen Absichten der US-Administration.

Der Durchbruch in der Lebensmittelversorgung ist für Sachs der Hauptgrund für den Aufstieg Asiens. Hohe Ernteerträge lassen sich dort erreichen, wo Dünger eingesetzt wird. Der Einsatzgrad von Dünger korreliert direkt mit dem Reichtum eines Landes. In den armen Regionen Afrikas werden die Felder ausgelaugt und Nährstoffe dem Boden entzogen, die nicht durch Dünger ersetzt werden. Der steigende Bevölkerungsdruck führt zu einer weiteren Verschärfung der Situation in Afrika.

50 bis 60 von 1000 Kindern sterben in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara an Malaria. Malaria ist eine der Hauptursachen für die hohe Kinderzahl in Afrika. Wenn man weiß, dass nicht alle Kinder durchkommen, um die Altersversorgung der Eltern zu sichern, wird die Zahl der Kinder erhöht. Sub-Sahara-Afrika hat einen dritten Nachteil: Länder wie Ruanda und Burundi sind schwer zugänglich; Investitionen finden häufig nur an Küsten statt. Ernährung, Krankheit, physische Geografie: Mit diesen drei Schlagwörtern lässt sich das Problem der Mitte Afrikas beschreiben, und eben nicht nur durch die ohne Zweifel vorhandene Korruption der Regime.

Im Zeitraum 2025 – 2050 wird Asien führen, so Sachs. 2025 wird China das gleiche Bruttoinlandsprodukt aufweisen wie die USA, um 2050 wird es 50 bis 100% größer sein als das der USA. Heute stellt Asien zwischen 60 und 65 Prozent der Weltbevölkerung, erwirtschaftet aber nur 20% des weltweiten Bruttoinlandprodukts. Kann die Welt weiter wachsen und Asiens Wachstum tragen? 70% der Erdölreserven befinden sich in einem 1000 km-Radius um Bagdad. Kohle und Teersände werden zunehmend wichtiger, auch Uran wird eine Renaissance erleben. Wegen des Energieknappheit und Klimawandel könnte es zu Nationalismen kommen.

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Prof. Dr. Helmut Becker, Universität Tokio, berichtete aus Japan und China. Für Japan rief er das Ende der Deflation und die Gesundung der Banken aus; den Nikkei sieht er 2005 steigen. China sah er nicht so rosig. Wie kann es Japan gut gehen, wenn China eine Krise erleidet? Japan exportiert lediglich 9,8% der Güter, die es herstellt. Davon gehen 25% nach China und ein weiteres Viertel in die USA. Natürlich würde eine Krise in China nicht an Japan vorbei gehen, aber die Belastung würde sich in Grenzen halten.

Im Jahr 2030 werden 500 Mio. Chinesen älter als 60 Jahre sein, Absicherungen wie Rentenversicherungen oder Pensionskassen gibt es so gut wie keine. Doch wirtschaftlicher Optimismus und ein steigendes nationales Bewusstsein gehen in China momentan Hand in Hand. Man sieht sich jetzt dort, wo man als scheinbar älteste Kulturnation der Welt immer schon hin wollte: Auf dem Weg zur globalen Supermacht, die den letzten starken Vertreter der westlichen Zivilisation – die USA – bald hinter sich lässt.

Die Scharte, als China sich vor 600 Jahren anschickte, die Welt mittels riesiger Segelschiff-Flotten zu erobern, scheint endlich ausgewetzt werden zu können. Damals wurde die Flotte, die zwischen 1405 und 1433 bis an die afrikanische Küste gelangte, vom damaligen Herrscher kurzerhand eingemottet, weil man sich auf den Kampf gegen die Mongolen konzentrieren wollte. Eine Chance zur Öffnung Chinas und zum Aufstieg zu einer Welt beherrschenden Macht war vertan. Keine 100 Jahre später entdeckte Kolumbus Amerika und Europa eroberte die Welt.

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Tagungsleiter Philipp Vorndran, Leiter Globale Strategie CSAM Frankfurt, sah in Rückgängen bei den Rohstoffpreisen eine Kaufgelegenheit. Der chinesische Yuan ist stark unterbewertet, und in spätestens drei bis vier Jahren sieht er den Dollar wieder steigen. Von den Anstrengungen in Euroland zur Kostenkontrolle und von staatlichen und privaten Anstregungen zur Senkung der Lohnkosten zeigte er sich wenig beeindruckt, das alles reicht längst noch nicht aus. Am Ende der Veranstaltung merkte er an, dass kaum ein Referent über Geopolitik sprach und auch das Thema „Merger“ nicht im Fokus stand.

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Felix Zulauf, Zulauf Asset Mangement, erwartet die Fed Funds Rate zur Jahresmitte zwischen 3 und 3 1/2 Prozent. Die Aktienmärkte könnten besonders in der ersten Jahreshälfte bis zu 15% fallen, dann Anstieg. Zulauf erwartet einen Euro von unter 1,20 in der ersten Jahreshälfte, sieht also eine Dollarrallye kommen. Den Yen sieht er gegenüber dem Euro an Stärke gewinnen. 2006 sollten steigende Zinsen der Party ein Ende bereiten. Öl-Service-Werte bleiben attraktiv, wobei Korrekturen nicht ausgeschlossen werden können. Zulauf verlieh seinem Ärger über den Euro Ausdruck, der Kerneuropa schwächt und die Ränder begünstigt.

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Interessant war die Aussage von Dr. Giuseppe Benelli, CIO der Vontobel-Gruppe, dass die Versicherungsgesellschaften voraussichtlich auch in den kommenden Jahren nicht oder nur sehr gering in Commodities investieren werden. Die Umstellung der aus Anleihen und - in geringerem Maße – Aktien bestehenden Portfolios würde sehr langsam erfolgen.

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Als Dr. Jens Ehrhardt im Januar 2000 zuletzt Referent der Kapitalanleger-Tagung war, verließen die Teilnehmer bei der Erwähnung seiner „Hausaktie“ Kali+Salz den Saal; auf dem Höhepunkt der Spekulationsblase interessierte sich niemand für diesen „Langweiler“, der damals bei 13 Euro notierte. Seitdem verdreifachte sich der Kurs. In diesem Jahr blieb das Publikum auf seinen Plätzen. Dr. Ehrhardt betrachtet das Jahr 2005 als moderates Aktienjahr. Er erwartet weder eine Baisse noch eine Hausse und empfahl unter anderem mittelgroße Hongkong-Aktien, da dort sehr gesunde Bilanzrelationen vorherrschen.

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Als letzter Programmpunkt stand „Gemeinsames Gala-Dinner“ auf dem Programm. Mit dem Lift ging es in den 30. Stock, wir kamen etwas spät und begannen, es uns am letzten verfügbaren Tisch bequem zu machen. Ein kleiner, älterer Herr rauschte herein und fragte uns, ob er sich zu uns setzten dürfe. Der ältere Herr war Jim Rogers.

Sprechen die großen Legenden miteinander, war eine meiner Fragen. John Templeton, Warren Buffett, George Soros, Jim Rogers? Sie alle sind bekanntlich im US-Dollar auf der Short-Seite positioniert bzw. halten Gegenpositionen in Euro oder Yen. Nein, lautete die Antwort Rogers. Dafür brauchen sie sich nicht abzustimmen, das wisse jeder selbst.

„The Dollar will disappear.“, sagte Jim Rogers dann noch beiläufig. Ich fragte nach: „You mean disappear? (also verschwinden?). Ja, sagte er, aber nicht nur der Dollar, sondern alle anderen großen Währungen mit. Der Dollar würde aber zuerst verschwinden; der Euro könnte dann zeitweise seine Position als Leitwährung einnehmen. Jim Rogers ist für Gold wenig bullisch (andere Commodities gefallen Ihm besser). Was Rogers ebenfalls sagte: Seine kleine Tochter (19 Monate alt) hat eine Nanny, die nur chinesisch spricht. Außerdem sei sein „Baby-Doll“ in Zucker und zur Absicherung in Gold investiert.

Geopolitisch ist er Bush-kritisch eingestellt. Die USA sind „Over-extended“ und auf dem absteigenden Ast. Ich sprach ihn auf das Thema EU-Beitritt der Türkei an. „70 Mio. new customers“, sagte er nur, „so go ahead with it.“ Die demografischen Verhältnisse in Europa sind “horrible”, deshalb sollte man den Binnenmarkt frei machen für Länder wie die Türkei, die noch eine gesunde demografische Entwicklung aufweisen. Als lohnende Investments nannte Rogers neben Zucker noch Blei, Zink, Zinn, Baumwolle und Kaffee. Für den Aktienmarkt 2005 und 2006 ist er bärisch.

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Ein großes Lob geht an den Veranstalter – die ZfU in Thalwil. Die Veranstaltung war perfekt organisiert; die Betreuung war es auch.

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Fazit: Uns brachte die Veranstaltung eine Vertiefung und auch eine Verbreiterung der Kenntnisse. Doch auch die Erkenntnis liegt nicht fern, dass Prognosen nun einmal Prognosen sind. Wer sich von einer solchen Veranstaltung Hinweise und Tipps für das eigene Handeln erwartet hatte, wurde zwar bedient. Doch eine solche Veranstaltung lebt von den Widersprüchen, von den Nischen, nicht vom Konsens. Das muss man wissen, wenn man dort hinfährt. Es nutzt auch nichts, vollkommen unvoreingenommen an die Sache heranzugehen, dann wird das Gehirn hoffnungslos überfordert. Am besten ist, man hat seine Modelle für die Marktentwicklungen in den kommenden Jahren im Kopf und nimmt sie zu einer solchen Veranstaltung mit. Anhand der Aussagen der Referenten, in Fragerunden und in den vielen Nebengesprächen kann man die Modelle auf Plausibilität abklopfen und erhält so ein geschärftes Bild.

Insgesamt herrschte für Aktienmarkt eine leicht negative Stimmung. Der Anleihenmarkt wurde zumeist als „gefährlich“ eingestuft; ein Anziehen der Zinsen sollte noch in 2005 oder spätestens 2006 erfolgen. Für Dollar war man kurz- und mittelfristig überwiegend bullisch, langfristig bärisch eingestellt.

Das große Thema waren nach wie vor die Commodities. Es herrschte die fast einhellige Meinung vor, dass sich die Rohstoffe in einem langfristigen Bullenmarkt befinden. Für Gold und Silber sagten die meisten eine Pause in der Aufwärtsbewegung voraus (nichts schlimmes, aber eben eine Pause). Bullisch war man für die Agrarprodukte Zucker, Kaffee, Weizen, Mais, Sojabohnen, Baumwolle.

Anmerkung: Die Referate und Begegnungen wurden aus dramaturgischen Gründen nicht in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben.


Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest


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