Der Wellenreiter
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15. August 2009
Der Höhepunkt der Deflation

Viele Finanzmarktbeobachter – wie auch die in der folgenden Abbildung dargestellte US-Analystin - sind der festen Überzeugung, dass sich das Verbraucherverhalten der US-Konsumenten „für immer und ewig“ verändert hat.

 

Quelle: Yahoo Finance Tech Ticker

 

Nie wieder wird die Sparquote gegen Null gehen, nie wieder wird „Joe Average“ sorglos Benzin tanken, nie wieder wird sich eine Verbraucherin im Schuhladen „austoben“. (Das ist keine Diskriminierung. Statistisch betrachtet besitzen z.B. Frauen in Deutschland 13,1 Paar Schuhe und Männer 8,1 Paar. Jede fünfte Frau besitzt 20 Paar Schuhe oder mehr (Quelle: Marplan Institut Offenfach)).

 

Wir wollen untersuchen, ob die Annahme, dass sich das US-Verbrauchervertrauen für immer verändert hat, realitätsnah ist. Tatsächlich befindet sich die Verschuldungquote der US-Haushalte im Verhältnis zum BIP auf Rekordniveau. Eine solche Verschuldung kann nur über eine jahrzehntelange Erhöhung der Sparquote auf ein angemessenes Niveau abgebaut werden. Dennoch gerät man auf die falsche Fährte, wenn man lediglich die Gesamtsituation der Volkswirtschaft betrachtet. Das Verhalten der Individuen, aus denen sich ein Herdentrieb ergeben kann, ist die entscheidende Größe.

 

Ein Ansatzpunkt ist die Betrachtung des Kaufverhaltens in Abhängigkeit von der allgemeinen Preissituation. In einer Deflation – wie aktuell - ist der Verbraucher eher zurückhaltend. Er ist sich sicher, dass die Preise weiter fallen werden. Das Haus, das Auto oder auch die Wohnzimmercouch sind in einigen Monaten sicher preiswerter zu haben, so der Gedankengang.

 

In einer Phase der Inflation dreht sich das Verhalten um. Ist sich der Verbraucher sicher, dass die Preise in den Folgemonaten weiter anziehen werden, dann wird er Käufe so schnell wie möglich tätigen. Der schon lange geplante Erwerb eines Hauses, eines Autos oder der Wohnzimmercouch wird vorgezogen.

 

Ein krasses Beispiel für das Verhalten des Verbrauchers in einer Inflation war das Jahr 1923 (Hyperinflation): Kaum hatte man seinen Lohn ausgezahlt bekommen, stürmte man in den Laden und kaufte die benötigten Lebensmittel. Die Angst vor steigenden Preisen war überwältigend und beherrschte – zu Recht - die Psyche der Menschen.

 

Anmerkung: Manchmal frage ich mich, was geschieht, wenn die Preise für LCD-TV-Geräte, Computer oder andere technische Errungenschaften anziehen würden. In diesem Sektor sind fallende Preise seit Jahrzehnten normal. Kommt es bei steigenden Preisen zu einem panischen „Tech-Run“?

 

Man sieht: Das Kaufverhalten hängt maßgeblich davon ab, in welcher Phase eines Wirtschafts- und Teuerungszyklus sich die Konjunktur gerade befindet. Aktuell deuten viele Frühindikatoren auf eine Erholungsbewegung der Weltwirtschaft hin. Tatsächlich wird häufig bereits das Ende der Rezession ausgerufen. Man mag diesen Indikatoren und Weissagungen misstrauen. Aber es ist klar, dass der Aktienmarkt – als bester aller Frühindikatoren – die stärkste Rallye seit den 30er Jahren aufs Parkett gelegt hat: Beispielsweise stieg der DAX seit März um 46 Prozent. Diese Rallye bestätigt die konjunkturelle Erholung der Weltwirtschaft.

 

Hinzu kommt der sogenannte Basiseffekt. Vor einem Jahr erreichte die Inflation ihren Höhepunkt; es folgte ein rapider Fall. Das bedeutet, dass die Inflationsrate (gegenüber dem Vorjahresmonat) von jetzt ab eine Unterstützung erfährt: Die aktuelle Kennziffer muss nicht mehr gegen extrem hohe Kennziffern aus dem Vorjahr antreten. Aus dieser Überlegung heraus haben wir die folgende Grafik gestaltet. Der rote Pfeil weist auf die aktuelle saisonal bereinigte offizielle US-Inflationsrate hin (Juli -1,9%).

 

 

Den dann folgenden Verlauf haben wir hinzugerechnet, indem wir einfach die CPI-Zahl vom Juli 2009 bis Anfang 2010 Monat für Monat unverändert gelassen haben.

 

Man erkennt: Mutmaßlich befinden sich die USA gerade auf dem Höhepunkt der Deflation. Eine Teuerung wird Ende dieses Jahres selbst dann einsetzen, wenn sich die CPI-Kennziffer nicht verändert. Nur wenn die CPI-Kennziffer im Herbst wieder fallen sollte, würde sich die Deflation fortsetzen. Sollte sie hingegen steigen, würde sich die Inflation noch stärker durchsetzen als auf dem obigen Chart angenommen.

 

Zugegebenermaßen wäre eine Inflationsrate von einem Prozent zum Jahresende nicht besorgniserregend. Aber die Angst vor einer Inflation ist bereits jetzt in den Köpfen vieler Verbraucher - zumindest latent - vorhanden und würde dann noch zunehmen. Die Angst davor, dass alles teurer wird, könnte der Auslöser für einen „Kaufzwang“ sein, der möglicherweise rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft einsetzt. Die erhöhte Nachfrage würde die Preise weiter hochschaukeln, so dass die Inflationsrate weiter anziehen könnte.

 

Jubelnd wird es heißen: Der US-Verbraucher knickt nicht ein, er ist das Rückgrad der US-Wirtschaft! Und dann? Möglicherweise ab Frühjahr/Sommer 2010 wird der US-Verbraucher tatsächlich den Rückwärtsgang einlegen.

 

Das Verbraucherverhalten ist eine zyklische Größe. Aussagen, die das Wort „forever“ enthalten, sollte man „immer“ mit Vorsicht genießen. Verfolgen Sie die Finanzmarkt-situation in unserer handelstäglichen Frühausgabe.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

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Robert Rethfeld
 

 

 

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