Wellenreiter-Kolumne vom 15. November 2013
Bitcoin – aus dem Dunkel ans Licht
„Es könnte sinnvoll sein, selbst einige Bitcoins zu produzieren für den
Fall, dass das Konzept aufgeht. Wenn genügend Menschen ähnlich denken,
dann wird Bitcoin eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein.“
- Satoshi Nakamoto Anfang 2009
Die Ursuppe des Internet-Zeitalters wandelte sich allmählich in klare
Strukturen um. Im Januar 1993 wurde der Vorläufer aller Internet-Browser
(„Mosaic“) zum Download freigegeben. Ich erinnere mich an meine erste
Mosaic-Installation via Compuserve. Ebenfalls im Jahr 1993 wurde das
Nerd-Magazin „Wired“ gegründet.
„Wired“ war Kult. „Wired“ war von Beginn an Teil der Szene. Wer im
Dezember 1994 in der Ausgabe des Wired-Magazins blätterte, stieß auf einen
euphorischen, ellenlangen Artikel zum Thema „E-Money“. Digitales Geld
wäre die „Killer-Applikation“ der Zukunft, und überhaupt. In dem Artikel
wurde der US-Amerikaner David Chaum als „E-Money“-Vorreiter gewürdigt.
Bereits im Jahr 1983 schlug Chaum ein elektronisches Bezahlsystem vor, das
auf privaten und öffentlichen digitalen Schlüsseln beruht. Seine Erfindung
„eCash“ ging letztendlich daran zugrunde, dass sich der Verbraucher nicht
scheute, Kreditkartendaten über das Internet einzugeben. Chaum beschrieb
das digitale Geld in den 1990er Jahren als „Cybercoin“. Vom „Cybercoin“
zum „Bitcoin“ ist es gedanklich kein weiter Weg. Die heutigen
Krypto-Währungen basieren auf dem von David Chaum eingeführten Prinzip. „eCash“
war übrigens keine eigene Währung, sondern eine Methode, gesetzliche
Zahlungsmittel in einem „Wallet“ (elektronische Brieftasche) auf dem
eigenen Computer zu speichern.
Die Finanzkrise begann im Sommer 2007 als „Subprime-Krise“. Nachdem sich
die Märkte in der ersten Jahreshälfte 2008 beruhigt hatten, zogen im
Sommer 2008 neue, dunkle Wolken über dem Börsenhimmel auf. „Teil eines
bärischen Szenarios ist eine kräftige US-Rezession, die letztendlich die
Finanzkrise für die US-Fed nicht mehr beherrschbar macht. Die
Insolvenzkandidaten heißen Bank of America, Wachovia, Lehman Brothers,
Washington Mutual, MBIA und Ambac.“ So formulierten wir in einer
Wellenreiter-Kolumne
am 14. Juni 2008. In der Ausgabe vom
2. August 2008 („Völker,
hört die Signale!“)
prognostizierten wir
einen kräftigen Kurssturz. Nur wenige Wochen später geriet das weltweite
Finanzsystem ins Wanken. Die meisten Leser dürften sich an die Dramatik
jener Tage erinnern. Die Lehman Brothers-Insolvenz fand am 15. September
2008 statt.
Die US-Zentralbank rief in der Folge die Nullzinspolitik aus. Ein Teil des
Vertrauens in unser Währungssystem brach in jenen Tagen zusammen.
Unterdessen werkelte der IT- und Krypto-Spezialist Satoshi Nakamoto
(wahrscheinlich ein Pseudonym) an einer alternativen Währung. Als Nakamoto
nach anderthalbjähriger Arbeit am 1. November 2008 sein Papier „Bitcoin:
A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ veröffentlichte, war die
unmittelbare Wucht der damaligen finanzpolitischen Ereignisse taufrisch.
Die Lehman-Pleite lag erst sechs Wochen zurück. Der Beinahe-Einsturz des
weltweiten Finanzsystems dürfte Nakamoto den letzten Kick gegeben haben,
sein Papier fertigzustellen. Zwei Monate später - am 3. Januar 2009 -
wurde der erste Bitcoin transferiert. „Ich wäre überrascht, wenn wir
innerhalb der kommenden zehn Jahre keine elektronische Währung nutzen
würden“, verlautete Nakamoto damals.
Im Jahr 2008 lagen alle Bausteine für Bitcoin vor: Die
Verschlüsselungstechnik, die Peer-to-Peer-Systematik, die notwendigen
Programmierkenntnisse. Es brauchte jemanden, der die Puzzleteilchen - mit
ein, zwei neuen Ideen garniert - zusammensetzte.
Nakamoto hat sich über seine Motive nicht zusammenhängend geäußert. Er zog
es im Jahr 2010 vor, von der Bildfläche zu verschwinden. Aber er
hinterließ genügend Spuren, um seine Motivation zu verdeutlichen. Das Wort
„Vertrauen“ taucht in diesen Spuren als zentraler Punkt auf.
Unser Finanzsystem ist auf Vertrauen aufgebaut. Der Warenwert von
Euro oder Dollar geht gegen Null. Wir glauben an eine Zahl, die auf
baumwollenes Papier aufgedruckt wurde bzw. digital gespeichert ist. Wir
vertrauen darauf, dass die gespeicherten Zahlen einen Wert haben. Wir
vertrauen einer gesetzlichen Garantie, die - wenn ein Betrag von 100.000
Euro überstiegen wird – nicht gilt. Wir vertrauen auf Institutionen wie
EZB und Fed, die ihre gesetzlichen Aufträge zur Wertbeständigkeit von
Währungen nur noch mit Hilfe unkonventioneller Maßnahmen erfüllen können.
„Den Zentralbanken muss vertraut werden, die Währung nicht abzuwerten.
Aber die Geschichte des Fiat-Geldes ist in dieser Hinsicht voller
Vertrauensbrüche“, so der Bitcoin-Erfinder am 11. Februar 2009 in einem
Forum. „In unserem herkömmlichen System ist es notwendig, Banken zu
vertrauen, die unser Geld vorhalten und es ohne große Reserven in Wellen
von Kreditblasen verleihen.“, so Nakamoto weiter.
Nakamoto wollte das alles nicht mehr. Er wollte dezentrales, anonymes
Geld, über das der Nutzer selbst bestimmen kann. Er wollte eine Währung
schaffen, die unabhängig von den Geldschöpfungen der Zentralbanken und der
kommerziellen Banken funktioniert. Also modellierte er eine Krypto-Währung
mit einer Wallet (Brieftasche), die der Nutzer auf seinem PC oder
Smartphone speichern kann. Nakamoto zeigte sich davon überzeugt, dass das
digitale Geld beim Besitzer sicher ist.
Doch nichts ist perfekt, auch Bitcoin nicht. Die leider nicht sichere
Methode, Bitcoins elektronisch aufzubewahren, ist ein erstes Problem. Ein
zweites Problem ist, dass Bitcoins nicht anonym sind. Das dritte Problem
besteht darin, dass eben doch Vertrauen benötigt wird, um das System zu
fahren.
Vertrauen ist deshalb Bestandteil des Bitcoin-Systems, weil nicht jeder
Besitzer von Bitcoins sein Geld auf seinem Computer lagern will. Oder weil
er es nicht auf einem USB-Stick vergessen will. Oder weil er selbst einer
Papier-Wallet nicht traut. Nicht jeder Bitcoin-Nutzer ist ein
Computerexperte. Deshalb vertrauen viele Bitcoin-Besitzer einer
Institution, die Wallets und Bitcoins zentral speichert. In Deutschland
ist dies z.B. Bitcoin.de. Man traut diesen Börsen zu, dass sie in der Lage
sind, Hackerangriffe abzuwehren. Gleichzeitig vertraut man den Besitzern
der Börsen, dass sie das Geld der Nutzer verantwortungsvoll verwalten.
Ein zweiter Punkt, der von Nakamoto unterschätzt wurde, ist die
Anonymität. Zwar wird jede Transaktion im Internet nur anonym
veröffentlicht. Doch wenn nur eine Transaktion mit dem Namen des
Verkäufers verbunden werden kann, dann können auch alle vorhergehenden
Transaktionen des Verkäufers persönlich zugeordnet werden. Dies ist ein
großer Unterschied zum Bargeld, das anonym bleibt. Es existiert bereits
ein Start-up in den USA, das plant, die US-Sicherheitsbehörden auf der
einen Seite und die E-Commerce-Unternehmen auf der anderen Seite so
miteinander zu verlinken, dass Bitcoin-Transaktionen jederzeit
personifiziert nachvollzogen werden können. Unter diesen Umständen dürfte
Bitcoin den Ruf der Anonymität schnell verlieren. Es könnte auch sein,
dass die US-Regierung den Link zwischen Person und Transaktion als
verpflichtend bestimmt.
Die Krypto-Währung ist derzeit auf Mittler angewiesen, die das Vertrauen
der Kunden genießen. Das sind Bitcoin-Börsen oder auch die Unternehmen,
die die Wallets vorhalten. Dieser Zustand ist unbefriedigend. Bitcoin
benötigt eine Technologie, dies es absolut sicher macht, Bitcoins auf dem
eigenen PC oder Smartphone zu vorzuhalten (mit entsprechenden
Backup-Lösungen). Derjenige, der als erster eine solche Software herstellt
und zum Herunterladen anbietet, kann auf gute Verkaufserfolge hoffen.
Es geht nicht nur um die Aufbewahrung, sondern auch um einen effizienten,
kostengünstigen und schnellen Handel von Kryptowährungen. Der
Kauf-/Verkauf von Bitcoins ist noch immer schwierig bzw.
gewöhnungsbedürftig. Das „Matching“ von Käufer und Verkäufer müsste auf
einer Handelsplattform wie Xetra geschehen, auf die der Nutzer direkten
Zugriff hätte.
Was bleibt von Bitcoin? Hat die Kryto-Währung trotz Sicherheits-,
Vertrauens- und Anonymitätsproblemen genügend positive Aspekte zu bieten,
um ein neues Währungszeitalter einzuläuten? Der Markt sagt ja, jedenfalls
momentan. Abseits der beschriebenen Probleme hat Bitcoin den Vorteil einer
dezentralisierten, von keiner zentralen staatlichen Autorität gesteuerten
Währung. Die Währung verfügt über keinen eigenen Server und wird in immer
weiteren Kreisen akzeptiert.
Eine breite Akzeptanz von Bitcoin würde Diskussionen um Nord- oder Südeuro
bzw. die Wiedereinführung nationaler europäischer Währungen ad absurdum
führen. Der Mechanismus der Auf- und Abwertung einer Währung zur Anpassung
der Wettbewerbsfähigkeit wäre endgültig passé. Die Aufgabe nationaler
Währungen zugunsten des Euro wäre nur ein Vorspiel für eine noch
weitergehende Währungsintegration. Die globale Währung „Globo“, über die
immer mal wieder diskutiert wurde, hätte einen anderen Namen: „Bitcoin“.
Nehmen wir an, es käme zu einer Marktphase, in der sich die Zentralbanken
von Deflation oder Rezession gedrängt gezwungen sähen, ihre Geldpolitik
weiter zu lockern. Rezessionen treten durchschnittlich alle fünf Jahre
auf. Es gibt nicht mehr viel, was die Zentralbanken dann noch tun könnten.
Käme es in einer solchen Phase zu Vermutungen, dass die eine oder andere
Bank Probleme bekommt, dann erscheint es realistisch, dass ein
unabhängiges Währungssystem wie Bitcoin weiteren Zulauf bekommen würde.
Exemplarisch dafür steht Zypern. Als dem Land im Frühjahr 2013 der Konkurs
drohte, stieg der Bitcoin-Kurs von 13 US-Dollar auf in der Spitze über 200
US-Dollar an. Die Zyprer und Russen, die sich damals mit Bitcoins versorgt
haben, mögen über diese Situation nur noch lächeln. Wenn eine Diskussion
um das kleine Zypern schon derartige Bewegungen hervorzubringen vermag,
wie erst würde sich ein Vertrauensverlust in die Währung eines größeren
Landes auf die Entwicklung des Bitcoin-Kurs auswirken?
Ohne Vertrauensverluste in die Zentralbanken und in unser Finanzsystem
insgesamt gäbe es Bitcoin wahrscheinlich nicht. Der weitere Weg der
Krypto-Währungen dürfte davon abhängen, inwieweit es den Zentralbanken
gelingt, zerschlagenes Porzellan zu kitten und verlorenes Vertrauen wieder
herzustellen. Der Markt wird das letztendlich entscheiden. Die Macht des
Faktischen hat bereits einige Eckpfeiler eingerammt. Je weiter sich
Bitcoin verbreitet, desto schwieriger wird ein allumfassendes Verbot
durchsetzbar sein. Beispielsweise verbietet Thailand den Handel mit
Bitcoin, gehandelt wird dort trotzdem.
Selbst wenn Bitcoin scheitern würde: Die systemische Intelligenz, die
hinter der Erfindung names Bitcoin steckt, wird begierig von einigen
Tech-Firmen aufgesogen. Man denke an Aktien, die in verschlüsseltem
Zustand auf dem PC des Besitzers liegen. Der Nutzer könnte – ähnlich wie
bei Bitcoin – entscheiden, ob er die Krypto-Aktie lieber in seiner Wallet
auf dem PC oder in einem Wallet bei seiner Bank liegen lassen möchte.
So wie Bitcoins gestohlen werden können, könnten Hacker in die PC’s
eindringen und die Aktien stehlen. Natürlich müsste man, bevor eine solche
Technologie zum Tragen kommt, sicher stellen, dass die „Krypto-Aktie“
überall sicher aufbewahrt werden kann. Prinzipiell kann alles, was digital
gespeichert wird und einen Wert hat, in verschlüsselter Form vorgehalten
werden. Man denke an Futures-Kontrakte, an Zertifikate, etc.
1994 hieß es im „Wired“-Magazin: „Elektronisches Geld wird nicht nur das
Internet revolutionieren, sondern auch die globale Wirtschaft verändern.“
Zwanzig Jahre später arbeiten eine Menge Personen und Firmen daran, den
damaligen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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