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Probefahrt

Wellenreiter-Kolumne vom 11. Juni 2016

Als ich die Gangschaltung auf „D“ stellen wollte, griff ich ins Leere. Da war nichts. Für einen kurzen Moment peinlich berührt zog ich meinen Arm zurück. So ging die Probefahrt los, aus Frankfurt heraus, an der Messe vorbei Richtung Westkreuz. Ein Elektrofahrzeug beschleunigt im Stadtverkehr geräuschlos. Die Beschleunigung ist zügig, das Bremsen fühlt sich durch die Energierückgewinnung anders an, Rollgeräusche machen sich erst auf der Autobahn bemerkbar.

 

Der Autopilot macht seine Sache gut. Die Hände sind nicht mehr am Lenkrad. Eingestellt auf Tempo 100, bleibt das Model S hinter dem LKW. Als der LKW nach rechts wegzieht, beschleunigt der Autopilot. Vergleichsweise schnell gewinne ich Vertrauen. Nach einer gewissen Zeit wird der Fahrer durch einen Hinweis im Display gebeten, die Hände ans Lenkrad zu legen. Der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug ist individuell – bis zu einem Mindestabstand – einstellbar.

 

So stelle ich mir eine entspannte Urlaubsfahrt vor. Die Unfallzahlen dürften deutlich sinken. Auf der Autobahn ist der Autopilot schon jetzt der bessere Fahrer, auf freigegebenen Abschnitten auch gern mit einer normalen Reisegeschwindigkeit. Die Neugier auf E-Autos mit Autopilot-Funktion ist derzeit nur mit Tesla’s Model S zu stillen. Audi geht beispielsweise mit seinem Q6 e-tron SUV erst im Jahr 2018 an den Start.

 

Die weltweiten Verkaufszahlen für E-Autos stiegen in den vergangenen Jahren langsam, aber stetig. 220.000 Fahrzeuge waren es 2013, 330.000 in 2014 und eine halbe Million im Jahr 2015, in diesem Jahr könnten es 800.000 werden. Der Verkaufsanteil von E-Autos liegt in Deutschland bei 0,8 Prozent. In den Niederlanden kratzen die Verkäufe an der 10-Prozent-Marke, 23 Prozent sind es sogar in Norwegen.

 

Den Eindruck, dass E-Autos Mühe haben, Fuß zu fassen, kann man objektiv nicht unterschreiben. Die Stückzahlen wachsen Jahr für Jahr zwischen 40 und 50 Prozent, der Markt mit dem absolut stärksten Wachstum ist China. Individuelle Gründe für die Entwicklung gibt es zuhauf. Norwegen verfügt über Wasserkraftwerke, die jeglichen Strombedarf mühelos und günstig decken. China hat ein Smog-Problem, Holland ist das Land der geringen Entfernungen. Auch in Island steigt der E-Auto-Verkauf derzeit steil an, denn die geothermische Stromgewinnung und die geringen Entfernungen offerieren ein ideales Umfeld.

 

Ein Tesla Model S kommt auf eine realistische Reichweite von 350 km. Auf einer Urlaubsfahrt bedeutet dies, ein- bis zweimal nachzutanken. In Flächenstaaten wie Deutschland sind Reichweite und zeitsparendes Stromtanken kritische Erfolgsfaktoren. Entlang der Autobahnen platzierte, proprietäre Tesla-Stromtankstellen („Supercharger“) schaffen eine 80-Prozent-Aufladung in einer halben Stunde, Zeit genug für den Besuch des Schnellrestaurants nebenan. Auch Ladestationen mit der europäischen Combo-EU-Steckdose offerieren Schnellladungen.

 

Ein E-Auto wird üblicherweise an der Starkstromsteckdose in sieben bis acht Stunden aufgeladen. Jeder Elektroherd wird mit Starkstrom (Drehstrom) betrieben. Ein Elektriker kann einen solchen Anschluss problemlos in der Garage installieren, die auch in Tiefgaragen immer häufiger installiert werden. Wenn man will, kann man das Auto auch an die normale Haushaltssteckdose hängen. Empfohlen wird dies aufgrund der Dauerladebelastung allerdings nicht.

 

Es ist eine Mär zu glauben, dass das Fahren mit Strom extrem billig ist. Einmal vollladen kostet bei Model S aktuell circa 23 Euro. Das Volltanken eines Verbrennungsmotor-Fahrzeugs dieser Preisklasse kostet etwa 90 Euro. Da das E-Auto aber nur halb so weit kommt, muss man 46 Euro des E-Autos den Betrag von 90 Euro für das herkömmliche Auto gegenüberstellen. Damit ist Strom nur um etwa die Hälfte preiswerter – und nicht um 90 Prozent, wie es in einigen Foren zu lesen ist. Da ist der Wunsch der Vater des Gedankens.

 

Bei einer jährlichen Fahrleistung von 20.000 km beträgt die Einsparung des Stromers etwa 1.200 Euro pro Jahr. Über die Lebensdauer eines typischen Leasing-Vertrags berechnet (3 Jahre) lohnt die Anschaffung dann, wenn das E-Auto nicht mehr als 3.600 Euro in der Anschaffung teuer ist als ein herkömmliches Fahrzeug. Je höher die KM-Leistung (insbesondere bei Pendlern), desto mehr lohnt sich das E-Auto. Sollte die Politik auf die Idee kommen, Strom weiter zu verteuern, würde der Kostenvorteil schwinden.

 

Ein Großteil des Erdöls wird für den Verkehr benötigt. Strom wird damit kaum erzeugt. Deshalb dürfte der Ölpreis bei einer beständigen Ausweitung des E-Auto-Marktanteils einen schweren Stand haben. Auf einen dauerhaften Anstieg des Ölpreises, der den Preisvorteil des Aufladens eines E-Autos vergrößern würde, sollte man deshalb nicht hoffen.

 

Die Batterie-Kosten sind in den vergangenen Jahren deutlich gefallen. Lagen sie im Jahr 2010 bei 1.000 US-Dollar pro Kilowattstunde, so betragen sie im Jahr 2016 etwa 150 bis 200 US-Dollar. Übersetzt bedeuten diese Zahlen, dass die Kosten für eine 35-kWh-Batterie (E-Golf), die im Jahr 2010 bei 35.000 US-Dollar lagen, auf 6.000 bis 7.000 US-Dollar gefallen sind. In den kommenden Jahren sind möglicherweise 100 US-Dollar pro kWh drin. Ab diesem Punkt rückt die Parität mit den Kosten eines Verbrennungsmotors deutlich in Sichtweite.

 

80 Millionen PKWs werden weltweit pro Jahr verkauft. Die Tendenz ist weiter steigend. Es ist alles andere als eine einfache Aufgabe, die Entwicklung des Anteil von E-Autos für die kommenden Jahre einzuschätzen. Laut einer Studie von Bloomberg-Energy-New-Finance sollen der E-Auto-Anteil im Jahr 2028 etwa 20 Prozent und im Jahr 2040 etwa 35 Prozent des Gesamtmarktes umfassen.

 

Je stärker die Reichweite erhöht werden kann, je schneller der Ladevorgang funktioniert und je stärker die Batteriekosten fallen, desto schneller dürften sich E-Autos durchsetzen. Für die Gewinnung des Massenmarktes reichen Emotionen und grüne Überzeugungen nicht aus. Tesla wird mit dem Model 3 ab dem Jahr 2018 den ersten ernsthaften Versuch starken, das Segment von 30.000 bis 35.000 Euro anzugehen. Die Autopilotfunktion wird Bestandteil dieser Strategie sein.

 

Im Jahr 2015 verkaufte Tesla 50.000 Fahrzeuge. Geplant sind 500.000 Fahrzeuge für das Jahr 2020, ein erheblicher Teil davon Model 3-Verkäufe. Zum Vergleich: BMW konnte 2,3 Mio. Fahrzeuge im Jahr 2015 absetzen. Die Marktkapitalisierung von Tesla Motors beträgt 30 Mrd. US-Dollar. BMW kommt auf 46 Mrd. Euro (aktuell 52 Mrd. US-Dollar).

 

Die Tesla-Aktie ist gelinde gesagt luftig bewertet.

 

 

Andererseits liegen weltweit 400.000 Vorbestellungen für das Model 3 vor. Dafür zahlt der Besteller 1.000 Euro an, die er bei Nichtabnahme zurückerhält. Auch wenn dadurch eine gewisse Unverbindlichkeit gegeben ist, dürfte dem Vorbesteller bei einem solchen Betrag eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht abzusprechen sein.

 

Viele Analysten sehen die Tesla-Bewertung skeptisch. Der Blick auf den Chart sagt Handelsspanne, und das seit mehr als zwei Jahren. Ausbruchsversuche scheiterten stetig. Die Marke von 150 Dollar (Marktkapitalisierung bei 20 Mrd. US-Dollar) nutzen die Tesla-Bullen zum Nachkauf. Dort befindet sich eine große Unterstützung. Scheitert Tesla, würde der Chartverlauf dies anzeigen.

 

Tesla verfügt über einen Markenwert, der vom – selbst geschaffenen - Umfeld steigender E-Auto-Verkäufe profitiert. Sollte Tesla es tatsächlich hinbekommen, die für das Jahr 2020 geplante halbe Million Autos zu produzieren (der Engpass liegt offenbar in der Produktion, nicht in der Nachfrage), würde der Sprung vom Nischen- zum Massenmarkt die Tür zu einer Etablierung unter mittelgroßen Autoherstellern öffnen.

 

Tesla hat die Chance, mittelfristig in seine Bewertung hineinzuwachsen. Wann genau ein charttechnischer Ausbruch nach oben geschieht, hängt davon ab, ob Tesla seine Pläne produktions- und kostentechnisch halten kann. Ein einsetzender E-Auto-Hype im Massenmarkt wäre hilfreich, so wie Apple vom iPhone-Hype getragen wurde. Deshalb ist ein Erfolg des Model 3 so wichtig für Tesla.

 

Man hat den Eindruck, dass die deutschen Autohersteller verunsichert sind. Es wird viel gebastelt und ausprobiert. Ich glaube, es ist eine Mentalitätsfrage. Der Hersteller-Automann atmet – sorry - Dieselgeruch ein. Auch die Navi-Funktionalität ist etwas, mit der vorsichtig zu Werke gegangen wird. Berührungsängste in Richtung Digital- und Elektrotechnik lenken von der klar definierten Aufgabe ab.

 

Ein E-Auto wie das Model S ist ein völlig anderes Fahrzeug. Es beschleunigt anders, es bremst anders, es ist im Stadtverkehr geräuschlos, es unterstützt die passive, entspannende Fahrweise (Autopilot). Die Bedienung erfolgt über ein großes Touch-Display. Schalter und Hebel sucht man vergebens.

 

Ich hoffe inständig – allein schon aufgrund der Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von der Automobilproduktion – dass es den deutschen Herstellern gelingt, den Automarkt mit Silicon-Valley-Augen zu betrachten. Noch ist Zeit, aber 2018/19 sollten sie voll dabei sein. Denn dann geht es um den Massenmarkt. Das Model 3 ist eine klare Kampfansage an VW, BMW und Co.

 

Disclosure: Über eine Position in der Tesla-Aktie verfüge ich nicht. Ich bin von Tesla nicht eingeladen worden noch wurde mir ein Honorar bezahlt. Ich habe die Tesla-Probefahrt aus reiner Neugier an der E-Auto- und Autopilot-Technologie ganz normal über das Internet gebucht, so wie das jeder tun kann. Durchgeführt wurde die Fahrt in Frankfurt am Main als Stadt- und Autobahnfahrt Richtung Messe, Westkreuz und Main-Taunus-Zentrum.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

 


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