Frachtraten auf Höhenflug
Die „Baltic Exchange“ ist eine Börse mit Sitz
in London. Schiffsbroker vermitteln den See-Transport von „Bulk Cargo“ wie
Erdöl, Kohle, Weizen und Eisen zwischen Schiffs- und Frachtinhabern. Für
jeden Transport wird eine Frachtrate vereinbart, die je nach Angebot und
Nachfrage schwankt.
Ein täglich aktualisierter Index – der Baltic Dry Index (BDI) –
repräsentiert den Durchschnitt aller See-Frachtraten. Dieser Index weist
gegenüber vielen anderen Indizes eine Besonderheit auf: Spekulation ist
ausgeschlossen. Ein Erdölproduzent bestellt nicht mal eben auf Verdacht
einen Supertanker.
Der selten erwähnte Index – 244 Treffer bei Google bei „Seiten auf Deutsch“
sind nicht gerade viel – lässt sich durchaus als Gradmesser ökonomischer
Aktivität zu Rate ziehen. Und das sowohl fundamental als auch
charttechnisch. Fundamental bedeuten steigende Frachtraten steigenden
Nachfrage nach Frachtschiffen und damit steigende ökonomische Aktivität.
Fallende Frachtraten stehen hingegen für wirtschaftliche Abkühlung.
Auch charttechnisch sind solche Zusammenhänge darstellbar. Zunächst ist
festzustellen, dass zwischen Frachtrate und Rohstoffpreisen ohne Zweifel ein
Zusammenhang besteht. Der folgende Chart zeigt eine parallele Bodenbildung
von BDI und CRB-Rohstoff-Index in den Jahren 1999 und 2001.
Bei näherer Betrachtung des Charts fällt der
extreme Anstieg des BDI zwischen dem November 2001 und Februar 2004 auf: Der
Index verfünffachte sich, während der CRB-Index „nur“ um 50 Prozent zulegen
konnte.
Da der CRB-Index energielastig ist, überrascht es nicht, dass zwischen
Frachtrate und Erdölpreis ebenfalls ein Zusammenhang besteht.
Schnell kommt man auf den Gedanken, dass die
Höhe der Frachtrate etwas mit dem Thema Inflation zu tun haben könnte.
Steigende Rohstoffpreis plus steigende Frachtraten sind schließlich ein
doppelter Kostenfaktor, der Herstellung und Vertrieb eines Produktes
verteuert und Eingang in die Endverbraucherpreise finden sollte.
Mit Hilfe des oberen Charts lässt sich tatsächlich ein Zusammenhang zwischen
Fracht- und – in diesem Fall - der US-Inflationsrate (CPI) nachweisen. Der
CPI bildete ebenfalls 1998 und Ende 2001/Anfang 2002 ein Tief. Doch der
anschließende rasante Anstieg des BDI wurde vom CPI in dieser Form nicht
reflektiert; der CPI stieg vergleichsweise bescheiden.
Nun könnte man argumentieren, dass Veränderungen der Transportkosten nicht
entscheidend für den Endverbraucherpreis sind, da sie nur einen Bruchteil
der Gesamtkosten repräsentieren. Die untere Grafik zeigt die
Transportkostenanteile pro Branche. Sie betragen zwischen 2 und 8 Prozent.
Transportkostenanteile in Prozent
Quelle: US-Department of Transportation, 1999
Die Zahlen stammen allerdings aus dem Jahr 1999, die Frachtraten befanden sich
damals auf niedrigem Niveau. Über neueren Zahlen verfüge ich nicht. Man darf
aber durchaus annehmen, das der Anteil der Transportkosten an den Gesamtkosten
um einige Prozentpunkte gestiegen sein dürfte. Hinzu kommt, dass die
Rohstoffpreise seitdem ebenfalls stark gestiegen sind.
Diese Zusammenhänge stützen die Ansicht einiger Marktteilnehmer, dass der mehr
und mehr hedonistisch geprägte CPI die Inflation sehr viel niedriger wiedergibt,
als sie tatsächlich ist. Bill Gross weist in seinem
Monatskommentar eindrucksvoll auf diesen Effekt hin.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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