Als wir in Zürich ankamen, schneite es. Das Taxi
brachte uns zum Tagungsort Swissôtel, wo die 20. Kapitalanleger-Tagung
stattfand. Das war der Beginn zweier Tage, die wir so schnell nicht
vergessen werden. Höhepunkte waren unsere Begegnungen mit Bill McLaren und
Jim Rogers. Aber der Reihe nach.
Das Teilnehmerfeld war erlesen. Banken, Versicherungen, Investmentfonds, z.T.
erste Adressen mit großen Research-Abteilungen hatten gemeldet.
Bill McLaren,
Branchen-Veteran, betrat die Bühne: „Geschichte wiederholt sich ständig“,
sagte er, holte den Dow-Jones-Chart der achtziger Jahre aus der Tasche und
legte ihn auf den Overhead-Projektor (Notebook nein danke). Dann platzierte
er den aktuellen Chart des Dow-Jones-Index darunter. Etwa so:
* zwei Monate gegeneinander Zeit versetzt
Als nächstes legte Bill McLaren seine Vorhersage für den Verlauf des Nasdaq
auf den Overhead-Projektor, eine alte, vom vielen Zeigen zerkratzte, aus dem
Jahr 2000 stammende Folie. Man erkannte, dass er zwei Jahre vor dem Boden im
Oktober 2002 eine Vorhersage gemacht hatte, die den tatsächlichen Boden um
knapp eine Woche verfehlte. Staunen und Raunen.
„Von Mitte 2002 bis Mitte 2004 passte das 80er-Jahre-Muster ganz gut“, so
Bill McLaren weiter, „aber ich habe mir verschiedene Pattern angeschaut und
finde jetzt, dass die Kurse im Dow dem 40erJahre-Muster nachfolgen werden.“
Er zog eine Folie mit dem 40er-Jahres-Muster aus der Tasche und legte sie
auf den Overhead-Projektor. Etwa so:
* ein halbes Jahr gegeneinander Zeit versetzt
„Ok“, so Bill McLaren: „Die Geschichte wiederholt sich, nichts ist neu.
Böses Seitwärtslaufen im ersten Halbjahr, anschließend ein Push nach oben im
zweiten Halbjahr. In 2006 endet diese Bewegung, wahrscheinlich in einer Art
Kapitulations-Kaufpanik. That’s it, thank you. Ob man sich den Ablauf auch
anders vorstellen könnte?“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.
„Well, nein, eigentlich nicht. Nein ganz und gar nicht, die Bewegung wird
genauso kommen. History repeats over and over again.“
Bill McLaren wurde zu anderen Charts gefragt. Bonds, Gold, Weizen. „Keine
Ahnung“, sagte er, „habe ich mir schon lang nicht mehr angesehen.“ Zum
Dollar? War das jetzt das Tief?
Er griff sich eine leere Folie und malte mit dem Filzer eine typische
Abwärtstrend-bewegung auf. „Dieser Trend hier“, so Bill und meinte damit den
Dollar, „fällt hart, sehr hart. Ein solcher Trend dreht nicht einfach so. Wo
war die Kapitulationsbewegung? Gebt dem Dollar Zeit für eine Bodenbildung.
Wenn er 90 Tage kein neues Tief gemacht hat, dann kann man noch mal reden.“
„Weitere Fragen?“, so der Moderator. „Nein? Thank you Bill McLaren.“
Bill McLaren war der bullischste Referent der gesamten Veranstaltung. Und
man wird ihn überprüfen können.
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Prof. Dr. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe,
verneinte eine harte Landung in den USA und China. Japans rapider Verfall
der Sparquote erstaunte ihn; insbesondere, dass die über 60jährigen Japaner
ihre Ersparnisse stark angreifen würden. Der Ölpreis bleibt seiner Meinung
nach hoch; die private Verschuldung in den angloamerikanischen Ländern nimmt
wegen der dort stark steigenden Häuserpreise weiter zu, die finanziellen
Belastungen bleiben hoch. US-Unternehmen hätten Spielräume für weitere
Preiserhöhungen und die US-Politik nannte er „expansiv“.
Europa und Deutschland sah er in einer aufsteigenden Bewegung. Der
Inflationsdruck werde nicht von den Rohstoffen, sondern vom Staat
produziert. Die Zahl der Beschäftigten in Deutschland steigt seit 2003 –
wenn auch nur leicht; und der Anteil der Schwarzarbeit sinkt zum ersten Mal
seit 30 Jahren. Seiner Meinung nach ist Deutschland Weltmeister in der
Kostenkontrolle auch deshalb Exportweltmeister. Die Ausrüstungsinvestitionen
in Deutschland nahmen 2004 um 6% zu, d.h. die Unternehmen investieren
wieder. Auch der private Verbrauch nahm um 1,5 Prozent zu. Walter erwartet,
dass die Deutschen in 2005 vermehrt Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen sowie
Computer kaufen werden, da sich hier ein Bedarf nach Ersatzinvestionen
aufgestaut hat. Finanziert werden soll das Ganze durch die Reduzierung der
Sparquote.
Zur weltwirtschaftlichen Situation sprach er von einem „gewollten
Dollar-Verfall“. Ziel der US-Administration ist es, die Importe zu dämpfen
und die Exporte zu erhöhen, um so das Handelsbilanzdefizit zu verringern.
Walter glaubt, dass der Auslöser für eine Finanzkrise vom Bondmarkt kommen
wird („sprich: steigende Zinssätze“). Aber er sieht diese Krise frühestens
für 2006 am Horizont.
Zur Diskussion um die Aufwertung der chinesischen Währung trug Walter seine
Ansicht bei, dass eine Inflationsrate in China oberhalb von 5% bei
steigender Wachstumsrate die chinesische Führung zu einer Aufwertung ihrer
Währung veranlassen könnte. Und wenn Aufwertung, dann gleich richtig (um
15-20%).
Die EZB wird voraussichtlich bei 1,40 – 1,45 Dollar für den Euro mit
Interventionen einschreiten. Für Russland ist Walter „noch 5 Jahre ein Bulle
und danach 45 Jahre ein Bär“ und nannte dafür demografische Gründe. Konkrete
Vorhersagen zu einzelnen Märkten für das Jahr 2005 hörte man so gut wie
nicht, aber wenigstens sagte er das offen.
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Ein vollkommen anderes Thema brachte
Prof. Dr.
Jeffrey Sachs mit. Als Direktor des Earth Institute an der Columbia
University (New York) hatte er just eine Woche zuvor der UNO einen Bericht
zu praktischen Maßnahmen in der Entwicklungshilfe vorgelegt. Sachs
präsentierte sich als engagierter, sich für seine Regierung schämender
Redner. Er wetterte offen gegen Bush und nannte die Nicht-Anerkennung des
Kyoto-Protokolls als ein Grund dafür, ein weiterer waren die geopolitischen
Absichten der US-Administration.
Der Durchbruch in der Lebensmittelversorgung ist für Sachs der Hauptgrund
für den Aufstieg Asiens. Hohe Ernteerträge lassen sich dort erreichen, wo
Dünger eingesetzt wird. Der Einsatzgrad von Dünger korreliert direkt mit dem
Reichtum eines Landes. In den armen Regionen Afrikas werden die Felder
ausgelaugt und Nährstoffe dem Boden entzogen, die nicht durch Dünger ersetzt
werden. Der steigende Bevölkerungsdruck führt zu einer weiteren Verschärfung
der Situation in Afrika.
50 bis 60 von 1000 Kindern sterben in den afrikanischen Ländern südlich der
Sahara an Malaria. Malaria ist eine der Hauptursachen für die hohe
Kinderzahl in Afrika. Wenn man weiß, dass nicht alle Kinder durchkommen, um
die Altersversorgung der Eltern zu sichern, wird die Zahl der Kinder erhöht.
Sub-Sahara-Afrika hat einen dritten Nachteil: Länder wie Ruanda und Burundi
sind schwer zugänglich; Investitionen finden häufig nur an Küsten statt.
Ernährung, Krankheit, physische Geografie: Mit diesen drei Schlagwörtern
lässt sich das Problem der Mitte Afrikas beschreiben, und eben nicht nur
durch die ohne Zweifel vorhandene Korruption der Regime.
Im Zeitraum 2025 – 2050 wird Asien führen, so Sachs. 2025 wird China das
gleiche Bruttoinlandsprodukt aufweisen wie die USA, um 2050 wird es 50 bis
100% größer sein als das der USA. Heute stellt Asien zwischen 60 und 65
Prozent der Weltbevölkerung, erwirtschaftet aber nur 20% des weltweiten
Bruttoinlandprodukts. Kann die Welt weiter wachsen und Asiens Wachstum
tragen? 70% der Erdölreserven befinden sich in einem 1000 km-Radius um
Bagdad. Kohle und Teersände werden zunehmend wichtiger, auch Uran wird eine
Renaissance erleben. Wegen des Energieknappheit und Klimawandel könnte es zu
Nationalismen kommen.
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Prof. Dr. Helmut Becker,
Universität Tokio, berichtete aus Japan und China. Für Japan rief er das
Ende der Deflation und die Gesundung der Banken aus; den Nikkei sieht er
2005 steigen. China sah er nicht so rosig. Wie kann es Japan gut gehen, wenn
China eine Krise erleidet? Japan exportiert lediglich 9,8% der Güter, die es
herstellt. Davon gehen 25% nach China und ein weiteres Viertel in die USA.
Natürlich würde eine Krise in China nicht an Japan vorbei gehen, aber die
Belastung würde sich in Grenzen halten.
Im Jahr 2030 werden 500 Mio. Chinesen älter als 60 Jahre sein, Absicherungen
wie Rentenversicherungen oder Pensionskassen gibt es so gut wie keine. Doch
wirtschaftlicher Optimismus und ein steigendes nationales Bewusstsein gehen
in China momentan Hand in Hand. Man sieht sich jetzt dort, wo man als
scheinbar älteste Kulturnation der Welt immer schon hin wollte: Auf dem Weg
zur globalen Supermacht, die den letzten starken Vertreter der westlichen
Zivilisation – die USA – bald hinter sich lässt.
Die Scharte, als China sich vor 600 Jahren anschickte, die Welt mittels
riesiger Segelschiff-Flotten zu erobern, scheint endlich ausgewetzt werden
zu können. Damals wurde die Flotte, die zwischen 1405 und 1433 bis an die
afrikanische Küste gelangte, vom damaligen Herrscher kurzerhand eingemottet,
weil man sich auf den Kampf gegen die Mongolen konzentrieren wollte. Eine
Chance zur Öffnung Chinas und zum Aufstieg zu einer Welt beherrschenden
Macht war vertan. Keine 100 Jahre später entdeckte Kolumbus Amerika und
Europa eroberte die Welt.
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Tagungsleiter
Philipp Vorndran, Leiter Globale Strategie CSAM Frankfurt, sah in
Rückgängen bei den Rohstoffpreisen eine Kaufgelegenheit. Der chinesische
Yuan ist stark unterbewertet, und in spätestens drei bis vier Jahren sieht
er den Dollar wieder steigen. Von den Anstrengungen in Euroland zur
Kostenkontrolle und von staatlichen und privaten Anstregungen zur Senkung
der Lohnkosten zeigte er sich wenig beeindruckt, das alles reicht längst
noch nicht aus. Am Ende der Veranstaltung merkte er an, dass kaum ein
Referent über Geopolitik sprach und auch das Thema „Merger“ nicht im Fokus
stand.
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Felix Zulauf, Zulauf Asset Mangement,
erwartet die Fed Funds Rate zur Jahresmitte zwischen 3 und 3 1/2 Prozent.
Die Aktienmärkte könnten besonders in der ersten Jahreshälfte bis zu 15%
fallen, dann Anstieg. Zulauf erwartet einen Euro von unter 1,20 in der
ersten Jahreshälfte, sieht also eine Dollarrallye kommen. Den Yen sieht er
gegenüber dem Euro an Stärke gewinnen. 2006 sollten steigende Zinsen der
Party ein Ende bereiten. Öl-Service-Werte bleiben attraktiv, wobei
Korrekturen nicht ausgeschlossen werden können. Zulauf verlieh seinem Ärger
über den Euro Ausdruck, der Kerneuropa schwächt und die Ränder begünstigt.
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Interessant war die Aussage von Dr.
Giuseppe Benelli, CIO der Vontobel-Gruppe, dass die
Versicherungsgesellschaften voraussichtlich auch in den kommenden Jahren nicht
oder nur sehr gering in Commodities investieren werden. Die Umstellung der
aus Anleihen und - in geringerem Maße – Aktien bestehenden Portfolios würde
sehr langsam erfolgen.
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Als Dr. Jens Ehrhardt im Januar 2000
zuletzt Referent der Kapitalanleger-Tagung war, verließen die Teilnehmer bei
der Erwähnung seiner „Hausaktie“ Kali+Salz
den Saal; auf dem Höhepunkt der Spekulationsblase interessierte sich niemand
für diesen „Langweiler“, der damals bei 13 Euro notierte. Seitdem
verdreifachte sich der Kurs. In diesem Jahr blieb das Publikum auf seinen
Plätzen. Dr. Ehrhardt betrachtet das Jahr 2005 als moderates Aktienjahr. Er
erwartet weder eine Baisse noch eine Hausse und empfahl unter anderem
mittelgroße Hongkong-Aktien, da dort sehr gesunde Bilanzrelationen
vorherrschen.
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Als letzter Programmpunkt stand „Gemeinsames Gala-Dinner“ auf dem Programm.
Mit dem Lift ging es in den 30. Stock, wir kamen etwas spät und begannen, es
uns am letzten verfügbaren Tisch bequem zu machen. Ein kleiner, älterer Herr
rauschte herein und fragte uns, ob er sich zu uns setzten dürfe. Der ältere
Herr war Jim Rogers.
Sprechen die großen Legenden miteinander, war eine meiner Fragen. John
Templeton, Warren Buffett, George Soros, Jim Rogers? Sie alle sind
bekanntlich im US-Dollar auf der Short-Seite positioniert bzw. halten
Gegenpositionen in Euro oder Yen. Nein, lautete die Antwort Rogers. Dafür
brauchen sie sich nicht abzustimmen, das wisse jeder selbst.
„The Dollar will disappear.“, sagte Jim Rogers dann noch beiläufig. Ich
fragte nach: „You mean disappear? (also verschwinden?). Ja, sagte er, aber
nicht nur der Dollar, sondern alle anderen großen Währungen mit. Der Dollar
würde aber zuerst verschwinden; der Euro könnte dann zeitweise seine
Position als Leitwährung einnehmen. Jim Rogers ist für Gold wenig bullisch
(andere Commodities gefallen Ihm besser). Was Rogers ebenfalls sagte: Seine
kleine Tochter (19 Monate alt) hat eine Nanny, die nur chinesisch spricht.
Außerdem sei sein „Baby-Doll“ in Zucker und zur Absicherung in Gold
investiert.
Geopolitisch ist er Bush-kritisch eingestellt. Die USA sind „Over-extended“
und auf dem absteigenden Ast. Ich sprach ihn auf das Thema EU-Beitritt der
Türkei an. „70 Mio. new customers“, sagte er nur, „so go ahead with it.“ Die
demografischen Verhältnisse in Europa sind “horrible”, deshalb sollte man
den Binnenmarkt frei machen für Länder wie die Türkei, die noch eine gesunde
demografische Entwicklung aufweisen. Als lohnende Investments nannte Rogers
neben Zucker noch Blei, Zink, Zinn, Baumwolle und Kaffee. Für den
Aktienmarkt 2005 und 2006 ist er bärisch.
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Ein großes Lob geht an den Veranstalter – die
ZfU in Thalwil. Die Veranstaltung war perfekt organisiert; die Betreuung
war es auch.
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Fazit: Uns brachte die Veranstaltung eine Vertiefung und auch eine
Verbreiterung der Kenntnisse. Doch auch die Erkenntnis liegt nicht fern,
dass Prognosen nun einmal Prognosen sind. Wer sich von einer solchen
Veranstaltung Hinweise und Tipps für das eigene Handeln erwartet hatte,
wurde zwar bedient. Doch eine solche Veranstaltung lebt von den
Widersprüchen, von den Nischen, nicht vom Konsens. Das muss man wissen, wenn
man dort hinfährt. Es nutzt auch nichts, vollkommen unvoreingenommen an die
Sache heranzugehen, dann wird das Gehirn hoffnungslos überfordert. Am besten
ist, man hat seine Modelle für die Marktentwicklungen in den kommenden
Jahren im Kopf und nimmt sie zu einer solchen Veranstaltung mit. Anhand der
Aussagen der Referenten, in Fragerunden und in den vielen Nebengesprächen
kann man die Modelle auf Plausibilität abklopfen und erhält so ein
geschärftes Bild.
Insgesamt herrschte für Aktienmarkt eine leicht negative Stimmung. Der
Anleihenmarkt wurde zumeist als „gefährlich“ eingestuft; ein Anziehen der
Zinsen sollte noch in 2005 oder spätestens 2006 erfolgen. Für Dollar war man
kurz- und mittelfristig überwiegend bullisch, langfristig bärisch
eingestellt.
Das große Thema waren nach wie vor die Commodities. Es herrschte die fast
einhellige Meinung vor, dass sich die Rohstoffe in einem langfristigen
Bullenmarkt befinden. Für Gold und Silber sagten die meisten eine Pause in
der Aufwärtsbewegung voraus (nichts schlimmes, aber eben eine Pause).
Bullisch war man für die Agrarprodukte Zucker, Kaffee, Weizen, Mais,
Sojabohnen, Baumwolle.
Anmerkung: Die Referate und Begegnungen wurden aus dramaturgischen Gründen
nicht in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest