|
Überraschungen und Börsenkurse
Krieg und Sterben als Gewohnheit: Wie sollte
bei 50 Millionen Toten im 2. Weltkrieg jeder einzelne von allen betrauert
werden? Man nannte die Menschen nach dem Krieg „abgestumpft“, „dösig“
krochen sie unter ihren Trümmern hervor. Doch die Abstumpfung war
offensichtlich reiner Selbstschutz auf dem Weg zurück ins „normale“ Leben.
Negativ konnte nichts mehr überraschen.
Betrachten wir den Dow Jones Index in jenen Jahren. Als Hitlers Überfall
auf Polen am 1.9.1939 den zweiten Weltkrieg auslöste, war der
US-Aktienmarkt kaum beeindruckt. Im Gegenteil: die Kurse stiegen bis zum
11.9. kräftig (blauer Kreis). Falsche Wahrnehmung? Sicher. Zu diesem
Zeitpunkt unterschätzte man Hitler.
Schaut man sich den weiteren Verlauf des Dow an, so fällt der brutale
Kurssturz auf, der im Mai 1940 stattfand (schwarzer Kreis). Dort musste
etwas Gewaltiges geschehen sein. Aber es musste auch überraschend gekommen
sein, sonst wären die Investoren nicht so in Panik geraten.
Keiner – nicht einmal der deutsche Führungsstab – hätte gedacht, dass
Paris nur fünf Wochen nach dem Beginn des Westfeldzugs von deutschen
Truppen erobert werden würde. Ich habe noch - die kürzlich im Fernsehen
gezeigten - Bilder in Erinnerung, die Hitler im frühen Morgengrauen
mit seinem Führungsstab unter dem Pariser Triumphbogen zeigen. In diesem Moment musste er alles für möglich gehalten haben.
Der Überfall auf Pearl Harbour am 7.12.41 – in allen Publikationen als ein
Schockerlebnis für die US-Bevölkerung genannt – wirkte offensichtlich an
der Börse nicht sehr stark (brauner Kreis). Kurzfristig ging es sogar
aufwärts. Offensichtlich war den Börsianern der Kriegseintritt der USA –
hervorgerufen durch die Kriegserklärung Hitlers an die USA einen Tag nach
Pearl Harbour – das wichtigere - und zugleich positive - Ereignis.
Was brachte die Börsenkurse in den USA dazu, im April 1942 eine V-förmige
Wende auszubilden und einen neuen Bullenmarkt zu beginnen? Die Wende des
Kriegsgeschicks im Pazifik spielt wahrscheinlich eine zentrale Rolle.
Unter www.shoa.de findet man eine umfangreiche Zeitleiste, die zum
18.04.42 – zehn Tage vor dem Börsentief - folgendes schreibt:
„Überraschender Luftangriff auf Tokio hat große psychologische Folgen.“
Da ist es wieder, das Wort „überraschend“, und oben drauf das Wort
„psychologisch“. Japan schien auf einmal verwundbar. Dieses Ereignis wurde
durch den Gewinn der Schlacht um Midway durch die USA einige Wochen später
bestätigt, bei der laut shoa.de „die Überlegenheit der Japaner zu Wasser
und in der Luft gebrochen und eine Wende im Pazifikkrieg eingeleitet
wurde. Die Initiative im Großen ging auf die USA über“.
Der Dow Jones Index stieg von April 1942 bis zum Mai 1946 fast
ununterbrochen und konnte sich in diesen 4 Jahren mehr als verdoppeln.
----------
Lassen Sie uns 60 Jahre nach vorn springen, in den September 2001. Die New
Yorker Anschläge auf die Twin Towers kamen für die Börsenwelt völlig
überraschend (schwarzer Kreis, nächster Chart). Etwas Neues war da, was es
vorher nicht gab: Eine Bedrohung, die es schaffte, die USA in ihrem
Finanzzentrum ernsthaft zu verwunden. Innerhalb weniger Stunden kippte das
Weltbild der Börsianer. Der Dow fiel nach den Anschlägen um 1500 Punkte,
Panik brach aus.
Am 20. März 2003 nahmen die USA das Heft des Handelns in die Hand und
begannen den Irakkrieg. Wie kritisch man auch immer dieser Aktion
gegenüber steht: Die US-Börse signalisierte ihre Zustimmung 10 Tage vorher.
Der Bärenmarkt war vorbei, die Aktienmärkte steigen seitdem.
Offensichtlich geschah an dieser Stelle genau das, was gut 60 Jahre zuvor
der Angriff auf Tokio und die Schlacht um Midway bewirkten: Man hatte das
Gefühl, den Gang der Dinge wieder selbst zu bestimmen und nicht mehr
länger Opfer zu sein.
Fazit: Das psychologische Element des Eintretens überraschender Ereignisse
– positive wie negative - kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Während die Ankündigung von Neuwahlen durch Bundeskanzler Schröder
unerwartet kam und für den Dax positive Folgen hatte, rechneten viele
Londoner insgeheim mit Anschlägen in ihrer Stadt; die Börse zeigte sich
nur kurzfristig beeindruckt.
Was könnte als nächstes die Börsenwelt überraschen? Ein Anschlag auf Rom?
Nein. Die Festnahme Osama Bin Ladens? Nein. Der Rücktritt Chiracs? Nein.
Es ist ja das Wesen des überraschenden Ereignisses, das man es nicht
vorhersehen kann.
----------
In unserem neuen Online-Video werfen wir – mit Hilfe verschiedener
Saisonalitätsvarianten des Dow Jones Index – einen Blick auf den
voraussichtlichen restlichen Jahresverlauf. Lassen Sie sich
überraschen.Robert Rethfeld
|
Kostenloses
Abonnement des Wochenend-Wellenreiters:
Bitte
hier klicken, E-Mail-Adresse eintragen und absenden.
Alle
Wochenend-Wellenreiter seit dem Jahr 2002 sind im
Archiv verfügbar. |
|
|
Robert Rethfeld
Impressum/
Datenschutz/
rechtl. Hinweise/
Haftung/
Disclaimer |