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Über den Zusammenhang zwischen Börsenboom
und der Jagd nach dem Wolkenkratzer-Höhenrekord gibt es viele Meinungen,
aber kaum Analysen. Wir hoffen, mit den nachfolgenden Zeilen diese Lücke
zu füllen. Das Ergebnis vorab: In den meisten Fällen kann ein Zusammenhang
nachgewiesen werden, der durch den folgenden Ablauf gekennzeichnet ist:
Die Planung von Wolkenkratzern erfolgt in einer Zeit starker Börsenrallies
bzw. im Umfeld einer Börseneuphorie. Die Auslastungsquote wird meist viel
zu optimistisch angesetzt. Noch während der Bauphase erreicht die
Börseneuphorie ihren Höhepunkt. Zur Fertigstellung hat sich die Börse noch
nicht wieder vom wirtschaftlichen Abschwung erholt, oft steht das Gebäude
jahrelang halb leer. Beispielsweise hatte das Empire State Building in den
30er Jahren den Spitznamen „Empty State Building“ verpasst bekommen. Den
genannten Ablauf werden wir in der Folge Normalschema nennen.
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Der erste Wolkenkratzer wurde 1885 fertiggestellt. Es war das Home
Insurance Building in Chicago mit einer Höhe von 42 Metern. Doch der
Appetit auf Weltrekorde begann erst mit der Planung des Manhattan Life
Insurance Buildings in New York um 1891. Man wollte das erste Hochhaus
bauen, dass die 100-Meter-Marke übertraf. Das Manhattan Life Insurance
Building wurde 1894 mit einer Höhe von 106 Metern vollendet. Die
Fertigstellung erfolgte in einer Phase der Depression, nachdem der
Aktienmarkt im Mai 1893 in einer Panik zusammengebrochen war. Man sprach
damals an der New Yorker Börse vom „Industrial Black Friday“ (5. Mai
1893). Fazit: Das Normalschema stimmt.
1895 (die Wirtschaft hatte sich keineswegs von der Panik erholt) begann
die Planung für das Park Row Building in New York. Es wurde 1899 mit einer
Höhe von 119 Metern eröffnet. Die Aktienkurse stiegen von 1896 bis 1899 in
einer Art „Jahrhundert-Endrally“ – wie diese auch Ende des 18ten und Ende
des 20ten Jahrhunderts der Fall war. Fazit: Die Planer waren mutige Leute,
die auch in einer wirtschaftlich schlechten Phase das Geld zusammenbekamen
und den Bau – wohl unter dem Eindruck des bevorstehenden
Jahrhundertwechsels – durchzogen. Hier lässt sich nicht vom Normalschema
sprechen.
Zwischen 1903 und 1905 verdoppelte sich der Dow Jones Index. Der Besitzer
der Singer-Nähmaschinen-Fabrik begann 1905 mit den Planungen des „Singer
Buildings“ in New York, die Fertigstellung erfolgte im Jahre 1908. Das
Hochhaus maß 187 Meter und übertraf damit die Höhe des Park Row Building
mit einigem Abstand. Ein Jahr vor der Vollendung des Baus - im Oktober
1907- traf die New Yorker Börse eine der heftigsten Paniken überhaupt. Der
alterwürdige J.P. Morgan rettete die Börse nach einem Gespräch mit dem
US-Präsidenten, als er mit dem Kauf von Aktien begann und im andere
folgten.
Das Singer-Building verlor seinen Status als höchstes Gebäude der Welt
schon ein Jahr später an den „Met Life Tower“ (213m), dessen Bau 1907 –
noch vor dem Aktienmarktcrash - beauftragt wurde. Fazit: Das Normalschema
stimmt in beiden Fällen.
Kurz vor dem Dekadenwechsel 1909/10 wollte sich Frank Woolworth den
Höhenrekord mit dem Bau seiner Hauptverwaltung am Broadway holen. Er
beauftragte den Bau des Woolworth-Buildings (241m) im Jahr 1910, als sich
der Dow Jones Index in der Nähe eines 4-Jahres-Hochs befand. Das Gebäude
wurde 1913 fertig gestellt; es sollte den Höhenweltrekord für 17 Jahre
behalten. Der Aktienmarkt befand sich 1913 unterhalb des Niveaus von 1910;
nur ein Jahr später brach der erste Weltkrieg aus und die New Yorker Börse
wurde für ein halbes Jahr komplett geschlossen. Fazit: Auch hier trifft
das Normalschema zu.
Die Börseneuphorie der 20er Jahre leitete einen bisher nicht gekannten
Wettlauf um das höchste Gebäude der Welt ein. Gleich drei Gebäude (40Wall
St.; Chrysler Building; Empire State Building) wetteiferten um den Titel
des höchsten Wolkenkratzers der Welt. Alle drei Gebäude wurden 1928 bzw.
1929 vor dem Crash beauftragt. Der Wettlauf sorgte für ein extrem
schnelles Bautempo. Die Gebäude wurden in der Reihenfolge 40Wall St
(1930), Chrysler Building (1930; 282m ohne Aufbauten) und Empire State
Building (1931; 381m ohne Aufbauten) fertig gestellt. Alle drei Gebäude
hielten den Höhenweltrekord, die beiden ersten jeweils für kurze Zeit, das
Empire State Building für 42 Jahre. Fazit: Normalschema mit zusätzlich
extremen Wettbewerbsdruck.
Der zweite Weltkrieg zerstörte weitere hochfliegende Pläne, auch
diejenigen von Albert Speer für den Bau der Ruhmeshalle in Berlin, die
320m hoch werden und 180.000 Menschen Platz bieten sollte.
Als David Rockefeller der New York Port Authority zu Beginn der 60er Jahre
den Bau eines World Trade Centers vorschlug und es 1962 zu einem
Architektenwettbewerb kam, dachte man noch an ein 50- bis maximal
90-stöckiges Gebäude. Erst kurz vor Baubeginn im Jahr 1966 wurde
entschieden, die Twin Towers zu den höchsten Gebäuden der Welt zu machen.
Im Januar 1966 erreichte der seit 1949 laufende Nachkriegsbullenmarkt
seinen Höhepunkt. Die Fertigstellung des ersten Turms (417m) erfolgte
1972, die des zweiten – gleich hohen - Turms ein Jahr später.
Bereits 1974 übernahm der Sears Tower (443m) in Chicago die Position des
höchsten Gebäudes. Die Einzelhandelskette Sears war damals der größte
Retailer weltweit und entschied im Jahre 1969 - als der Dow Jones Index
das Hoch aus dem Jahr 1966 nur knapp verfehlte – alle Angestellten der
Region in einem Gebäude unterzubringen und das World Trade Center zu
übertrumpfen. Sowohl die Twin Towers in New York als auch der Sears Tower
in Chicago hatten über die nächsten – wirtschaftlich schweren – Jahre eine
hohe Leerstandsquote. Auch in diesen beiden Fällen stimmt das
Normalschema, sogar die Wettbewerbsituation vom Ende der 20er/Anfang der
30er Jahre wiederholte sich.
Ausgerechnet Malaysia machte sich zu Beginn der 90er Jahre daran, den
Sears Tower als höchstes Gebäude der Welt abzulösen. Baubeginn der „Petronas
Towers“ (umstrittene 452m) war im Jahr 1993, vollendet wurden der Bau
ausgerechnet im Jahr der Asienkrise 1998. Wie der folgende Chart des
malaysischen Aktienmarktindex zeigt, wurde der Stand der 90er Jahre noch
nicht wieder erreicht.
Auch hier wiederholte sich der aus den USA bekannte Ablauf der
Entscheidung für einen solchen Bau in einer Börsenhochphase und der
Eröffnung in einer Rezession/Depression. Das Normalschema stimmt.
Ob die Petronas Towers den Sears Tower tatsächlich überragen, kann man
nach diversen Kriterien anzweifeln. Hingegen erfüllt das 2003 vollendete
„Taipeh 101“-Gebäude (509m) alle Kriterien. Baubeginn war 1997, als sich
der taiwanesische Leitindex TSEC auf Rekordhoch bei 10.000 Punkten befand.
Fertig gestellt wurde der Bau im Jahr 2003, unbestritten inmitten einer
schwierigen wirtschaftlichen Phase. Der TSEC hatte sich seit 1997 mehr als
halbiert. Auch hier lässt sich das Normalschema anwenden.
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Wenden wir uns der Zukunft zu und schauen uns die Zeitpläne für diejenigen
Gebäude an, die für einen neuen Höhenweltrekord in Frage kommen.
Zunächst vielleicht die Anmerkung, dass sich keine deutsche Stadt – auch
nicht Frankfurt – an der Rekordjagd beteiligt. Der Commerzbank-Turm steht
mit 259m auf Platz 72 und der Messeturm (257m) auf Platz 77 der
Liste der
höchsten Gebäude der Welt. In der europäischen Rangfolge stehen die
Frankfurter Türme an zweiter und dritter Stelle. Nur der Ende 2003 in
Moskau eröffnete Triumph-Palace überragt beide. Es gibt Pläne für einen
Wolkenkratzer in London, der den Triumph-Palace ausstechen soll.
Anmerkung: Auch der Messeturm wurde in einer Rezession (1991) eröffnet.
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Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der „Burj Dubai“
(Turm von Dubai) bald alle anderen Wolkenkratzer mit weitem Abstand
überragen. Die Höhe soll 705 Meter betragen, die Fertigstellung ist für
das Jahr 2008 geplant. Das Gebäude befindet sich seit September 2004 im
Bau. Der am früheren Ort des World Trade Centers geplante Freedom Tower
soll hingegen „nur“ 547m hoch werden. 547m entsprechen 1776 Fuß und
repräsentieren damit das Geburtsjahr der Vereinigten Staaten von Amerika.
Eine nachträgliche Höhenveränderung erscheint deshalb ausgeschlossen. Der
Bau soll 2006 beginnen und 2010 vollendet sein. Damit scheint
festzustehen, dass das amerikanische Jahrhundert der
„Wolkenkratzer-Vorherrschaft“ im Jahr 1998 mit der Eröffnung der Petronas
Towers zu Ende ging.
Bleibt als Wettbewerber des „Burj Dubai“ noch das „Shanghai World
Financial Center“ im Rennen. Die Eröffnung ist für 2007 geplant, die Höhe
soll 492m betragen. Damit wird das „Shanghai W.F.C.“ für voraussichtlich
ein Jahr die Höhenrekord-Krone innehaben, bevor sie der „Burj Dubai“ im
Jahr 2008 übernimmt. Der Baubeginn des Shanghai W.F.C war bereits 1995;
nach einer zwischenzeitlichen Einstellung des Baus wegen Problemen mit dem
Untergrund werden die Bauarbeiten seit 2003 fortgesetzt.
Zwischenfazit: Die Jagd nach Höhenweltrekorden folgt einem Normalschema.
Baubeginn ist in der Regel in einer bullischen oder gar euphorischen
Aktienmarktphase, die Fertigstellung erfolgt fast ausschließlich in einer
Phase wirtschaftlicher Rezession oder gar Depression. Ist es nicht genauso
interessant wie bedenklich, dass in den Jahren 2007 und 2008 die
Fertigstellung von zwei Gebäuden ansteht, die jeweils einen neuen
Höhenweltrekord aufstellen werden?
Es ist kein Zufall, dass die Jagd nach dem Höhen-Weltrekord in zwei
Städten stattfindet, in denen derzeit Infrastrukturmaßnahmen mit bis vor
kurzem unvorstellbaren Ausmaßen ausgeführt werden. In Shanghai werden
ganze Stadtviertel umgesiedelt und neu bebaut, an der Peripherie entstehen
Neubausiedlungen. Slumähnliche Behausungen am Standrand sind dennoch keine
Seltenheit.
Noch beeindruckender liest sich jedoch, was sich derzeit in
Dubai
abspielt. Es ist nicht nur der „Burj Dubai“ (Kostenpunkt incl. der
umliegenden Infrastruktur 8 Mrd. US-Dollar), sondern auch die Aufschüttung
ganzer Inselgruppen, die derzeit vor der Küste Dubais im Gange ist. Allein
dort werden 5 Mrd. US-Dollar verbaut. Weitere Großprojekte sind die „Dubai
Marina“ – eine Stadt in der Stadt für etwa 100.000 Einwohner, deren
Errichtung 4 Mrd. Dollar kostet - sowie der Freizeitpark „Dubailand“, in
den 5 Mrd. Dollar investiert werden. Diese 4 Projekte zusammen
verschlingen mehr als 20 Mrd. Dollar. Zum Vergleich: In den deutschen
Bundeshaushalt wurden 2004 etwa 24 Mrd. Euro für „Verteidigung“
eingestellt.
Hinzu kommt, dass in Dubai im Jahr 2006 mit dem Bauprojekt „Dubai
Waterfront“ begonnen werden soll. Auf 440 qkm werden 10 Stadtteile für
insgesamt 750.000 Menschen errichtet. Dubai im Größenwahn? Ein Signal für
das Erreichen einer historischen Dimension?
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Beim Stichwort „historische Dimension“ kommen einem unwillkürlich der
Turmbau zu Babel („Babylon“) sowie der Bau der ägyptischen Pyramiden in
den Sinn. Die größte aller Pyramiden – die
Cheops-Pyramide
– war ursprünglich 147m hoch. Sie wurde in der Blütezeit des „alten
Reiches“ – zur Zeit der 4. Dynastie ca. 2580 v. Chr. – errichtet. Diese
Dynastie bedeutete nicht nur den Höhepunkt der altägyptischen Baukultur,
sondern auch die Hochblüte des ägyptischen Staatswesens und der
ägyptischen Kunst. Wie der Historiker Toynbee in seinem Werk „Studie zur
Weltgeschichte“ schrieb, begann der Abstieg des altägyptischen Reichs
während des Übergangs von der fünften zur sechsten Dynastie im Jahr 2424
v. Chr. - seit dem Bau der Cheops-Pyramide waren etwa 150 Jahre vergangen.
Das ägyptische Königreich brach in viele kleinere Staaten auseinander. Es
folgte eine Zeit der Wirren, die erst 400 Jahre später - mit dem Beginn
des Zeitalters des „mittleren Reiches“ - endete.
Der Turmbau zu
Babel ist keine Erfindung der Bibel, sondern existierte tatsächlich.
1913 grub ein deutscher Forscher die Fundamente des Turms aus, der als
Tempelanlage vom babylonischen König Nebukadnezar II. (604 bis 562 v.
Chr.) in der Blütezeit des neubabylonischen Reiches errichtet wurde. Die
Höhe betrug nach heutigen Schätzungen 91 Meter. Im Jahre 539 v. Chr.
endete die letzte Blütezeit des babylonischen Reiches; die Eroberung
Babylons durch den Perserkönig Kyros II. machte das Reich zu einer
persischen Provinz.
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Dubai ist auf Öl und Sand gebaut. Nimmt man das Öl weg, bleibt nichts als
Sand. Man kann die gegenwärtigen Infrastrukturmaßnahmen als fast schon
verzweifelten Versuch der Diversifikation weg vom Öl betrachten. Handel
und Tourismus sollen als Ersatzeinnahme-quellen aufgebaut werden. Es ist
eine gigantische Wette der Herrschenden auf den Machterhalt auch über das
Ölzeithalter hinaus. Ob sie aufgeht? Historisch betrachtet scheinen die
Chancen dafür gering.
Robert Rethfeld
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Robert Rethfeld
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