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China ist nicht der entscheidende Faktor
„1990 exportierte China fünf Mal mehr Öl,
als es einführte. Ab 1993 importierte China mehr Öl, als es ausführte.
Seit 2003 importiert es mehr Rohöl als Japan. 2004 importierte das Reich
der Mitte 120 Millionen Tonnen Rohöl und Ölprodukte. Die OPEC schätzt, das
rund 23% des Nachfrage-Wachstums nach Öl, in den nächsten 30 Jahren, von
China ausgehen wird.“ (aus Wikipedia.de)
Eine Tageszeitung rief in diesen Tagen die Deutschen dazu auf, Öl und
Benzin zu sparen. Wenn die Verbraucher sich derart wehren, müssten die
Ölkonzerne die Preise an unseren Tankstellen senken, so die These. Leider
sind diese Zusammenhänge nicht so einfach: Die Deutschen sparen bereits
massiv, ohne dass dies nennenswerte Auswirkungen auf den Weltölverbrauch
hat. Der Verbrauchswert von 1979 – 3,3 Mio. Barrel pro Tag – wird nach
menschlichem Ermessen nie mehr erreicht werden. Im Jahr 2004 wurden
durchschnittlich 2,6 Mio. Barrel Öl pro Tag konsumiert.
Im vergangenen Jahr reduzierten 11 Länder ihren Ölverbrauch gegenüber dem
Vorjahr. 8 davon – darunter Deutschland, Österreich und die Schweiz – sind
Teil des europäischen Kontinents. Bemerkenswert: Auch in Japan und
Südkorea schrumpfte 2004 der Ölkonsum. „Auf der Anklagebank“ befinden sich
hingegen Länder, deren Ölverbrauch im
vergangenen Jahr deutlich stieg. Wir der folgende Chart zeigt, sind dies
China, die Ukraine, Kuwait, Singapur und Venezuela.
Bei Durchsicht der Tabelle fällt auf, dass Ost- und Südosteuropa (Ukraine,
Tschechische Republik, Polen, Rumänien, Frühere Sowjetunion) auf der einen
Seite sowie die Erdöl produzierenden Länder (Kuwait, Venezuela,
Kasachstan, Saudi Arabien, Algerien, GUS, Iran, Ver. Arab. Emirate) auf
der anderen Seite die größten Verbrauchszuwächse nach China für sich
verbuchen. Für den Mehrverbrauch Osteuropas dürfte der wirtschaftliche
Aufschwung einen Großteil der Erklärung liefern. Doch der Konsumschub
dürfte nicht von Dauer sein: Die schwache Geburtenrate in Osteuropa wird
sich in den kommenden Jahren zunehmend verbrauchsmindernd auswirken.
Anders hingegen liegt der Fall in China und in den Erdöl fördernden
Ländern. Die chinesische Bevölkerung wird in den kommenden 20 Jahren um
etwa 150 Mio. Einwohner wachsen. Das allerdings dürfte nach Erkenntnissen
der US-Census-Behörde der letzte Bevölkerungszuwachs Chinas für lange Zeit
sein, da sich ab 2025/30 die Ein-Kind-Politik massiv bemerkbar
machen wird.
Über China wurde in letzter Zeit so viel geschrieben, dass die genannten
Zusammenhänge in breiten Teilen der Investmentgemeinde bekannt sein
dürften. Weitgehend unbekannt hingegen ist die dramatische
Bevölkerungszunahme in den Erdöl fördernden Ländern. Saudi-Arabien als
Land mit den – angeblich – größten Ölreserven der Welt lässt sich als prominentes
Beispiel anführen.
Wie der folgende Chart zeigt, dürfte sich die dortige Bevölkerungszahl in
den kommenden vierzig Jahren von jetzt 27 auf dann knapp 50 Mio. Einwohner
fast verdoppeln.
Und Saudi-Arabien steht nicht allein. In den Vereinigten Arabischen
Emiraten und in Kuwait liegt die Geburtenrate derzeit bei 3,0 und im Irak
bei 4,3 Kindern pro Frau. Nimmt man Staaten wie den Iran, Yemen, Syrien,
Jordanien sowie Palästina hinzu, so dürfte diese Region, die um ein
einiges kleiner als China ist, im Bevölkerungswachstum mit China in den
kommenden 25 Jahren gleichauf liegen und es in den anschließenden Jahren
übertreffen. 2004 war der Nahe Osten bereits die wachstumsstärkste Region
der Welt, was den Ölverbrauch angeht.
Hinzu kommt, dass die Intensität des Ölverbrauchs pro Einwohner in
Saudi-Arabien eine andere ist als diejenige in China. Während in den
kommenden Jahren Millionen von Chinesen weiterhin auf dem Land leben
werden und weiterhin andere Energieformen (z.B. Kohle) nutzen, kann die
Bevölkerung Saudi-Arabiens ohne den massiven Einsatz von Erdöl kaum
überleben (Stichwort Meerwasserentsalzung). Der Pro Kopf Verbrauch in
Saudi-Arabien befindet sich derzeit auf US-Niveau und ist damit 12mal
höher als in China. Selbst wenn sich dieses Verhältnis in den kommenden
Jahren reduzieren sollte: Die Hebelwirkung jedes zusätzlichen
saudi-arabischen Einwohners auf den Ölpreis ist deutlich höher als die
eines zusätzlichen Einwohner Chinas. Ganz zu schweigen vom pro
Kopf-Verbrauch Kuwaits und den arabischen Emiraten, die das US-Niveau um
jeweils das doppelte übertreffen. Betrachtet man die kommenden 20 Jahre, so dürfte
klar geworden sein, dass der Bevölkerungszuwachs der Ölförderländer und
dort speziell Saudi-Arabiens den Ölverbrauch stärker anstacheln sollte als
derjenige Chinas.
Ein Umstand macht die Situation besonders explosiv. Nämlich die einfache
Tatsache, dass die Erdöl fördernden Länder vor der vielleicht wichtigsten
Entscheidung ihrer Geschichte stehen. Sie müssen die Frage beantworten, ob
Sie ihre endlichen Ölreserven für ihre wachsende Bevölkerung oder für die
Vermehrung ihres eigenen Wohlstands einsetzen wollen. Es ist die Wahl
zwischen Pest und Cholera.
Wählen die Scheichs den eigenen Wohlstand und optieren für die
Beibehaltung der massiven Einnahmen aus den Ölgeschäften, so wird die
eigene Bevölkerung zunehmendem Leidensdruck ausgesetzt, was sich in einer
revolutionären Explosion entladen könnte. Bedienen die Scheichs zuerst die
eigene Bevölkerung, werden die fehlenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu
einem Verlust des gewohnten Lebensstandards der Finanzelite und zu einer
Erschlaffung der wirtschaftlichen Investitionstätigkeit führen. Einen
Ausweg aus dieser Sackgasse wird es für die Saudis kaum geben. Die
Vereinigten Arabischen Emirate sind das einzige Land, das versucht, diesem
Teufelskreis zu entgehen und sich mit der Tourismusindustrie ein zweites
Standbein aufzubauen (siehe Wochenend-Wellenreiter vom
19. August 2005).
Ob es gelingt? Die wahrscheinliche Antwort lautet nein.Robert Rethfeld
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