Der arktische Eispanzer schmilzt in einem - historisch betrachtet -
unvorstellbar schnellen Ausmaß. Gleichzeitig entreißt die Menschheit dem
Erdboden jede Menge Materialien zum eigenen Nutzen. Ob Erdöl, Kupfer oder
Gold: Alles muss verbrannt, verbaut oder gehortet werden. Und je mehr
Menschen hinzukommen und je mehr arme Menschen zu wohlhabenden Menschen
werden, desto stärker steigt der Bedarf an Ölplattformen, Schaufelbaggern
und Presslufthämmern. Und je mehr fossile Brennstoffe wir verbrennen,
desto mehr schädigen wir unsere äußerst dünne Erdatmosphäre, desto höher
steigen die Meeresspiegel, desto heftiger werden die Hurrikane und desto
stärker wird sich die Natur gegen den Menschen wenden. Wer die
letztgenannte Erkenntnis bezweifelt, der muss nur ein Blick in die
Schadensstatistik der Münchener Rück werfen.
Der oben genannte Prozess ist in weiten Teilen die Folge des einfachen
ökonomischen Gesetzes von Angebot und Nachfrage und sich daraus ergebenen
und sich selbst verstärkenden „Teufelskreisen“. Wächst die Menschheit,
wächst die Nachfrage. Wächst die Nachfrage, wird mehr gefördert und
produziert. Wird mehr gefördert und produziert, verändern sich die
klimatischen Bedingungen. Lassen Sie es mich bitte so einfach sagen, wie
es da steht, obwohl die Zusammenhänge komplexer sind.
Was muss geschehen, damit dieser Teufelskreis unterbrochen wird? Ganz
einfach: Es muss weniger Menschen geben. Weniger Menschen schaffen eine
geringere Nachfrage. Fällt die Nachfrage, wird weniger produziert und
gefördert. Und wenn weniger produziert und gefördert wird, sind die
Umweltschäden geringer.
Wie soll sich die Zahl der Menschen verringern? Ganz einfach: Weniger
Kinder gebären. Dieser Prozess läuft in den alten Industriestaaten
bereits. Es kommt so, wie es kommen soll. Später werden erst China und
dann Indien folgen. Zuletzt wachsen nur noch einige afrikanische Staaten.
Ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wird die Anzahl der Menschen auf
unserem Planeten zurückgehen.
Die westliche Welt ist Vorreiter. Sie hat als erstes die
Industrialisierung sowie das damit einhergehende Bevölkerungswachstum
erfahren. Und die westliche Welt erfährt als erste den Prozess der
Deindustrialisierung und des Bevölkerungsrückgangs.
Nachzügler ist die östliche Welt mit deren prominentesten Vertretern China
und Indien. Die östliche Welt erfährt gerade ihre Phase der
Industrialisierung, der unweigerlich eine Phase der Deindustrialisierung
folgen wird, wenn bei abnehmender Bevölkerung die Nachfrage nach Gütern
nachlässt. Doch das wird erst in einigen Jahrzehnten der Fall sein.
Ausnahmen von der Regel sind die USA - die auch in absehbarer Zukunft ein
ordentliches Bevölkerungswachstum aufweisen können – und Japan, das als
Teil der östlichen Welt schon sehr früh als industrialisiertes Land gelten
konnte.
Wann und wie die Weltbevölkerung „peakt“, lässt sich nicht genau vorhersagen. Aber dass dieser Peak im Verlaufe dieses Jahrhunderts
eintreten wird, ist so gut wie sicher. Nach der mittleren Prognosevariante
der UNO dürfte die Weltbevölkerung gegen Ende dieses Jahrhunderts „austoppen“.
Die UNO rechnet jedoch damit, dass Krankheiten (z.B. AIDS) diesen Prozess
nach vorn ziehen könnten. Der frühestmögliche Zeitpunkt für den Beginn des
Schrumpfungs-prozesses der Weltbevölkerung wird von der UNO auf die Jahre
um 2040 taxiert.
Einige der Leser werden jetzt sagen: Was geht mich das an, ich habe keine
Kinder und bis dahin bin ich längst unter der Erde. Eben. Je weniger Leute
Kinder haben, desto weniger verantwortlich fühlt man sich. Das hier und
heute ist wichtiger als die mittelbare Zukunft. In den 70er Jahren war das
anders. Damals gab es viele Familien mit Kindern. Man ging gegen Atomkraft
und für die Umwelt auf die Straße.
Heute ist der Prozess der Erosion der Natur viel weiter fortgeschritten
als vor 30 Jahren, aber das regt kaum jemanden auf. Die klimatischen
Folgen waren damals zwar vorhersehbar, aber längst nicht so sichtbar wie
heute. Das dumme ist, dass die klimatischen Erosionsprozesse mit
zeitlicher Verzögerung auftreten. Selbst wenn die Weltbevölkerung bereits
heute austoppen würde, würden die Meeresspiegel nicht aufhören zu steigen
und die Atmosphäre würde nicht aufhören, sich zu erwärmen.
Hat die Politik schon jemals an diesen Entwicklungen etwas ändern können?
Bringen Abkommen und Vorschriften etwas? Ich glaube nicht. Die Dinge gehen
ihren natürlichen Lauf, die Nachfrage wird in wenigen Jahrzehnten
automatisch nachlassen. In den alten Industriestaaten geschieht dies
bereits jetzt. Wer auch immer beklagt, dass die Binnennachfrage in
Deutschland nicht anspringt, sollte sich vielleicht einmal darüber
Gedanken machen, dass Binnennachfrage und Bevölkerungsentwicklung durchaus
in einem Zusammenhang gesehen werden müssen.
Von Berufsoptimisten und selbsternannten „Deutschland-Beratern“ wird das
Wirtschaftswunder der 50er Jahre heraufbeschworen. Wenn wir nur mehr
anpacken würden! Wenn wir wieder optimistischer denken würden! Wenn wir
unser Ideenpotential ausreizen würden! Ja dann würde alles besser werden.
Wir können das!
In einer Untersuchung hat man festgestellt, dass Nobelpreisträger ihre
preisgekrönten Entdeckungen meist in jungem Alter (meist zwischen 25 und
35 Jahren) machen. Im restlichen Leben gelingt Ihnen ähnliches nicht mehr.
Die deutsche Bevölkerung wird immer älter. Die Chance auf einen
Nobelpreisträger wird immer geringer.
Was mich in dieser ganzen Debatte nervt, ist die Tatsache, dass ständig an
irgendwelchen Symptomen herumgedoktert wird, ohne das Unvermeidliche zu
akzeptieren. Wenn man als unvermeidlich akzeptiert, dass
-
Deutschland sich in einer fortgeschritteneren „Weltphase“ als China
befindet,
-
das sich das Wirtschaftswunder der 50er Jahre nicht wiederholen lässt,
-
dass der Schrumpfungsprozess bereits läuft,
dann kann man unverkrampft und befreit nach vorne schauen. Und erst dann
lassen sich die Chancen erkennen, die sich aus dieser Konstellation
ergeben. Als Exportweltmeister liefern die deutschen Unternehmen dorthin,
wo die Güter- und Konsumnachfrage besonders hoch ist. Gleichzeitig bleibt
die Binnennachfrage konstant. Das ist ein für dieses Stadium der
Bevölkerungsentwicklung vollkommen normaler Vorgang. Dieses
„Gleichgewicht“ kann – unter Beibehaltung der üblichen Schwankungen des
Wirtschaftszyklus – durchaus noch einige Jahrzehnte so weiterlaufen, bis
auch in der östlichen Hemisphäre Sättigungstendenzen auftreten.
Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung wird der Mangel an qualifizierten
Arbeitskräften in Deutschland immer größer werden. Die OECD spricht von
einer Sockelarbeitslosigkeit von etwa 7 Prozent. Das sind Arbeitslose, die
praktisch nicht vermittelbar sind.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) befürchtet, dass
der seit Jahren anhaltende Stillstand der Bildungsentwicklung in
Kombination mit der abnehmenden Zahl jüngerer Arbeitskräfte schon bald zu
einem
Mangel an qualifizierten Fachkräften führen könnte. Ab etwa 2010
greifen die demografischen Faktoren und die Arbeitslosigkeit dürfte sich
zurückentwickeln, so das IAB.
Frei nach dem Motto: „Was uns nicht umwirft, macht uns stärker“ bedeutete
der Fall der Mauer und die Integration Ostdeutschlands, dass die
Herausforderungen, die sich sowieso für Deutschland ergeben hätten, um
einige Jahre vorgezogen wurden. Man denke an die zusätzliche Belastung der
Rentenkasse, an die erzwungene höhere Verschuldung, an die komplette
Deindustrialisierung großflächiger Landstriche sowie an die in der
damaligen DDR bereits deutlich niedrigere Geburtenrate.
Deutschland hatte als erstes Land der alten Industriestaaten die Chance,
mit diesen Herausforderungen umzugehen. Deutschland ist sozusagen die
Avantgarde einer Entwicklung, die zwangsweise irgendwann auf alle anderen
Staaten dieser Welt zukommen wird. Wir haben die Chance, Wirtschaftszweige
und Technologien aufzubauen, die später von immer mehr Ländern benötigt
werden. Und Deutschland scheint sie nutzen zu wollen.
Man denke an die Themen
-
Entwicklung alternativer Energien (Deutschland ist Vorreiter)
-
„Landwirte zu Energiewirten“
-
Entwicklung neuer Mobilitätskonzepte
-
„Umgang mit schrumpfenden Städten“
Wir werden uns auf eine Welt einstellen müssen, in der unsere Kinder und
Enkel andere klimatische Bedingungen vorfinden werden, als wir selbst es
erlebt haben. Jedoch hatte die westliche Welt die Chance, die Phase der
Industrialisierung unter klimatisch normalen Bedingungen und mit Hilfe der
Nutzung fossiler Brennstoffe abzuschließen. Die östliche Hemisphäre wird
dieses nicht wiederholen können, sondern muss ihre Phase der
Industrialisierung unter anderen Bedingungen und mit anderen Mitteln
vollenden.
Vor eineinhalb Jahren haben Klaus Singer und ich ein Buch mit dem Titel
„Weltsichten / Weitsichten“ geschrieben. Darin habe ich mein Szenario für
die Entwicklung der Welt zwischen 2005 und 2045 dargelegt.
Erfreulicherweise ist die erste Auflage des Buches fast vergriffen, so
dass wir eine zweite Auflage folgen lassen können.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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