Der Wellenreiter
                          Wirtschaftsthemen der Zeit

 

   

10. März 2006
Wirtschaftszyklus und "Asset Allocation"
 

Gibt man bei Amazon.de die Suchbegriffe „Wirtschaftszyklus“ oder „Konjunkturzyklus“ ein, so erhält man eine Ansammlung von Werken, die sich zwar – teils wissenschaftlich – mit diesen Zyklen beschäftigen, denen aber ein entscheidendes Element fehlt: Die Verbindung zwischen dem Wirtschaftszyklus und der „Asset Allocation“. Oder anders gesagt: Die Frage „Wie investiert man in welchem Stadium eines Wirtschaftszyklus?“ wird nicht beantwortet.

Das einzige mir bekannte Buch, das sich dieser Frage ausführlich widmet, ist Martin Prings Klassiker „The All Season Investor“. Das Buch erschien im Jahr 1992 bei John Wiley and Sons, Inc. und ist meines Wissens noch nicht in deutscher Sprache erschienen. Ich kann nur hoffen, dass sich ein Verlag findet, der dieses Werk in deutscher Sprache auf den Markt bringt.

Pring unterteilt den Wirtschaftszyklus in sechs Phasen. Der Schlüsselchart des Buches, der sich auch auf seiner Website wieder findet, ist der folgende:

Quelle: http://www.pring.com/aatheory.htm

Pring beschreibt darin in idealisierter Form, welche Art Wertpapier man in welchem Stadium des Wirtschaftszyklus favorisieren sollte. Kurz nach Beginn der Rezession sollte man in Bonds investiert sein (Phase Eins). Inflation und Zinsen überschreiten in dieser Phase ihren Höhepunkt. Steigende Bonds (fallende Zinsen) beginnen, die Wirtschaftstätigkeit anzuregen.

In der zweiten Phase versprechen die Aktienmärkte interessant zu werden. Die verbesserte Gewinnsituation der Unternehmen, die erhöhte Industrieproduktion sowie die verbesserte Kapazitätsauslastung zeigen, dass die Nachfrage in Gang kommt. Unternehmen erhalten ihre „Pricing Power“ zurück und regen die Inflation an.

Als Folge beginnen die Commodities zu steigen (Phase Drei). Zum Thema Gold schreibt Pring in seinem Buch, dass Gold und Goldaktien ein spezieller Fall sind und in der Regel zeitlich vor den anderen Commodities drehen.

In der vierten Phase – es ist die erste Phase der Erholung – toppen die Bonds als Folge des erhöhten Inflationsdrucks aus, in der fünften Phase erzielen die Aktien ihr Hoch, u.a. weil sich die Kredite verteuern und dies Auswirkungen auf die Gewinnsituation hat. Die sich verringernde Verbraucher-Nachfrage führt schließlich zum Ende des Commodities-Bullenmarktes (Phase Sechs).

Wir betonen, dass der Verlauf des Wirtschaftszyklus nicht immer diesem idealisierten Zustand entspricht. Beobachtern wird nicht entgangen sein, dass der CRB-Rohstoff-Index bereits seit Ende 2001 steigt, also lange vor den Aktienmärkten mit seinem Aufstieg begann. Normalerweise reagieren die Commodity-Preise auf Inflationsdruck, doch der war in den USA in den Jahren 2001, 2002 und 2003 offiziell kaum vorhanden.

Trotz der Unzulänglichkeiten dieses idealtypischen Verlaufs hilft der obige Chart, sich die Abfolge eines Wirtschaftszyklus bewusst zu machen. Eine Inversion der Zinsstrukturkurve bedeutet nach Pring, dass sich die Märkte in Phase Vier befinden. In dieser Phase haben die Bonds getoppt, was bedeutet, dass die Zinsen am langen Ende steigen. Deshalb ist es gut möglich, dass sich nicht nur die US-Leitzinsen, sondern auch die Langfrist-Zinsen in Richtung fünf Prozent bewegen. Beispielsweise könnten der US-Leitzins im Mai bei fünf Prozent und die Langfrist-Zinsen bei 4,80 Prozent liegen, was eine deutliche Inversion bedeuten würde. Steigen die Langfrist-Zinsen stärker, wäre die Fed gezwungen, den Leitzins weiter anzuheben. 

Der idealisierte Zyklus – und das sind gute Nachrichten für die Besitzer von Rohstoff-Werten – „schreibt vor“, dass nach den Bonds zunächst die Aktienmärkte und erst dann die Rohstoffmärkte toppen. Ein typisches Beispiel ist der Zeitraum 1987/88, als zunächst die Bonds (nicht auf dem Chart), die Aktien (Sept. 1987) und die Rohstoffe (Juli 1988) ihr Hoch erzielten.

Unseres Erachtens nach befindet sich der US-Wirtschaftszyklus irgendwo zwischen Phase Vier und Phase Fünf, also einem Zeitraum, in dem die Zinsstruktur bereits invertiert, die Aktienmärkte jedoch noch einen letzten Schub erhalten. In unseren Frühausgaben vom 1. und 3. März haben wir diese Einschätzung mit dem Verhalten weiterer Indikatoren begründet.

Damit sich dieser Zyklus in seiner idealisierten Form durchsetzt, müsste jetzt folgendes geschehen: Die Zinsen müssten weiter steigen, die Inflation müsste deutlich anziehen (möglichst auf fünf Prozent). Das würde dem Aktienmarkt Gelegenheit geben, sein Top zu bilden. Die Rohstoffe würden – zusammen mit der Inflation -  noch weiter laufen und als letzte Anlageklasse austoppen.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

 

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Robert Rethfeld
 

 

 

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