12. August 2006
Das Ende der Rohstoff-Hausse
Die Rohstoffhausse begann am 10. Dezember 1998. Wer an diesem Tag ein
Fass Rohöl (Crude) erwerben wollte, musste dafür exakt 10 US-Dollar und 72
Cents bezahlen. Die offizielle US-Inflationsrate lag bei 1,5 Prozent. Die
Russland- und LTCM-Krise war vorbei; Alan Greenspan hatte durch sein
„beherztes“ Eingreifen (Leitzinssenkungen) schlimmeres für die
Aktienmärkte verhindert. Zwei Jahre zuvor war das Buch
„The Death of
Inflation“ von Roger Bootle erschienen. Das Buch war damals leidlich
berühmt (immerhin wurden 50.000 Exemplare in den USA verkauft) und löste
kontroverse Diskussionen aus. Tenor des Buches war, dass der
Weltwirtschaft eine längere Periode mit Null-Inflation bevorstünde. Die
Zinssätze würden zwischen 2 und 4 Prozent schwanken, Einzelhandelspreis-
und Lohnsteigerungen würden der Vergangenheit angehören. Würde man dieses
Buch allein auf Deutschland oder Japan beziehen, würde Bootle Recht
behalten haben. Aber die Weltwirtschaft hat sich bekanntlich anders
entwickelt. Die Nachfrage nach Rohstoffen speziell in den Schwellenländern
zog gewaltig an. Inflation ist in den meisten Ländern dieser Welt ein
großes Thema. In den USA befindet sich die offizielle Inflationsrate
oberhalb von 4 Prozent, die inoffizielle dürfte irgendwo bei 5 oder 6
Prozent liegen.
Das Wort „Deflation“ taucht in diesen Wochen nicht auf, weder für die
US-Fed noch für die Anleger. Die Angst vor den Auswüchsen steigender
Inflation lastet auf den Märkten. Und doch spricht gerade jetzt eine
Vielzahl von Indizien dafür, dass sich die Themen Inflation und Rohstoff-Hausse
bald von selbst erledigen.
Weit verbreitet ist derzeit die These, dass ein steigender Ölpreis die
Weltwirtschaft ins Stolpern bringen wird. Die Angst vor der Stagflation
(Inflation bei Wachstumsstillstand) geht um. Ein solches Phänomen trat in
den 70er Jahren auf, als der Ölpreis stark anzog und die Weltwirtschaft
ins Stolpern brachte. Damals spielten wir als Kinder sonntags auf der
Autobahn, obwohl das streng verboten war. Dieser Ölpreis-Schock war
politisch motiviert. Damals erreichten die USA ihren
Öl-Produktionshöhepunkt. Die OPEC zog die Schlinge im Nachgang des Yom-Kippur-Krieges gegenüber der westlichen Welt an, indem sie ein
Öl-Embargo verhängte.
Der Reichtum der arabischen Öl-Imperien entstand nach 1973, als die
vorher dort operierenden westlichen Ölgesellschaften verstaatlicht wurden.
Die Öl-Einnahmen sorgten für Schlaraffenländer, in denen die Bürger keine
Steuern oder Abgaben zahlen müssen und die Arbeit von ausländischen
Gastarbeitern erledigt wird. Die Welt in Dubai ist eine künstliche Welt
mit künstlichen Maßstäben und am ehesten mit der Spätphase des römischen
Reiches zu vergleichen, als Bürger Steuerfreiheit genossen und die Arbeit
von Sklaven erledigt wurde. Doch das römische Reich zerfiel. Im
englischsprachigen Sprachraum existiert der Begriff „Regression to the mean“.
Das heißt, Extreme jeder Art kehren irgendwann in die neutrale Zone
zurück. Das wird in Öl-Ländern Arabiens nicht anders sein. Siehe dazu auch
den Artikel
„Babylon und Börsenboom“ vom August 2005.
Eine Versiebenfachung des Ölpreises aufgrund der Aufstiegs der
Schwellenländer und dort besonders der Wandlung Chinas von einer rein
politischen zu einer politischen und wirtschaftlichen Weltmacht kam der
arabischen Führungselite zugute.
Die arabischen Ölstaaten befinden sich in einem Wettlauf mit der Zeit.
Sie wissen, dass die Ölvorräte sich dem Ende zuneigen. Sie wollen die
laufenden Einnahmen dazu nutzen, alternative Industrien (z.B. Tourismus)
aufzubauen. Man schaue nur auf Dubai und die vielen dortigen Baustellen.
Die Abhängigkeit Arabiens von den großen Ölverbrauchern der Welt ist so
hoch wie nie. Wer soll denn die Arbeiter bezahlen, wenn keine Petrodollars
mehr fließen? Unter diesen Umständen ist eine Boykottsituation wie in den
70er Jahren nicht vorstellbar.
Ein Stagflationsszenario aufgrund einer Erreichung des
Welt-Produktionspeaks in Öl wäre eine andere Möglichkeit. Doch hier
streiten sich die Gelehrten. Wann genau im Rahmen der kommenden Jahre der
Produktionspeak erreicht sein wird, ist kaum vorhersagbar.
Falls in der nahen Zukunft weder eine Boykottsituation noch ein
Produktionspeak auftritt, dürfte der Ölpreis ganz normal durch Angebot und
Nachfrage beeinflusst werden. Bei Betrachtung der inversen
Zinsstrukturkurve in den USA sowie der Schwäche der Sektorindizes wie
Nasdaq, Halbleiterwerte, Einzelhandel und Transports liegt die
Schlussfolgerung nahe, dass weltweit eine Abschwächung des
Wirtschaftswachstums bevorsteht, die sich in den USA besonders stark
auswirken könnte (Stichwort Rezession). Unter diesen Umständen muss von
einem Rückgang der Ölnachfrage ausgegangen werden. Beispielsweise hatte
sich der Ölpreis im Vorfeld und während der letzten Rezession (2001)
halbiert.
Wie der folgende Chart zeigt, ist der August normalerweise einer der
Monate mit dem stärksten Ölpreisanstieg.
Doch trotz der Israel/Libanon-Konflikts, trotz der Teil-Schließung
eines wichtigen Ölfeldes in den USA, trotz der angespannten Situation in
Nigeria und der unveränderten Unbeugsamkeit des venezuelanischen
Präsidenten Chavez gegenüber den USA kann der Ölpreis im Vergleich zum
April-Hoch bisher wenig zulegen.
Die Versiebenfachung des Ölpreises geschah in gut sieben Jahren. Schon
den Autoren der Bibel sind die sprichwörtlichen sieben fetten und sieben
mageren Jahre eine Erwähnung wert.
Ein steigender Ölpreis induziert eine steigende Inflationsrate, ein
fallender Ölpreis eine fallende Inflationsrate. Hinzu kommt, dass bei
einer Abschwächung des weltweiten Wirtschaftswachstums auch die
Industrierohstoffe - zu denen unter anderem Kupfer, Stahl, Aluminium und
Silber zählen - unter mangelnder Nachfrage leiden würden.
Fazit: Wir gehen davon aus, dass der Ölpreis sein Jahreshoch entweder
bereits gesehen hat oder es lediglich noch marginal überschreiten wird.
Wir gehen weiterhin davon aus, dass Rohstoffe allgemein kurz vor dem Ende
des Haussezyklus stehen. Gold als „Fluchtwährung“ mag hier eine Ausnahme
darstellen, aber auch hier sehen wir keine explosionsartigen Entwicklungen
nach oben mehr. Eine Wiederaufnahme der Rohstoff-Hausse dürfte erst dann
erfolgen, wenn die Rezession in den USA ihren Tiefpunkt überwunden haben
wird.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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