19. August 2006
Der Einfluss der Globalisierung auf die Inflationsrate
Die Aussage „Globalisierung dämpft die Inflationsrate“, ist eine weit
verbreitete Ansicht. Harte Fakten dafür sind jedoch selten zu bekommen.
Der Ende Mai ausgeschiedene EZB-Direktor Otmar Issing wird in einem
Bericht der „Zeit“ vom 1. Juni dafür kritisiert, dass er dem Einfluss
der Globalisierung auf die Inflation zu wenig Bedeutung beigemessen hat.
Und auch FED Governeur Kohn hat in einer am 16. Juni gehaltenen
Rede zugeben müssen, dass die Einflüsse der Globalisierung noch zu
wenig erforscht sind. Kohn macht in seiner Rede wenigstens den Versuch,
diese Auswirkungen zu erfassen. Er geht davon aus, dass die
US-Importpreise durch den Effekt der Globalisierung seit Mitte der 90er
Jahre um 1 bis 1,5 Prozent geringer gewachsen sind als die
US-Kerninflationsrate. Damit sei die US-Kerninflationsrate um ein halbes
bis ein Prozent geringer gestiegen, als das ohne Globalisierung der Fall
gewesen wäre. Kohn bezieht sich deshalb auf die Kerninflationsrate
(Normale Inflationsrate ohne Lebensmittel und Energie), weil sie nach
Meinung der FED den realen Einfluss der Inflation auf die US-Wirtschaft
besser widerspiegelt als die normale Inflationsrate.
Die Kerninflationsrate beträgt in den USA derzeit 2,6 Prozent. Rechnet
man den Einfluss der Globalisierung heraus, käme man auf 3,1 bis 3,6
Prozent. Rechnet man dann noch den vom US-Büro für Arbeitsmarktstatistiken
seit Ende der 90er Jahre verwendeten so genannten „hedonistischen“ Faktor
heraus (Inflationsverringerung aufgrund von angeblichen
Qualitätssteigerungen), so sollte sich die Kerninflationsrate aktuell
zwischen 3,6 und 4,1 Prozent bewegen. Der hedonistische Faktor reduziert
die offizielle US-Inflationsrate schätzungsweise um etwa 1 Prozent (siehe
u.a. Schätzungen von Bill Gross von Pimco). Unter Herausrechnung beider
Effekte würde sich die Kerninflationsrate auf einem Niveau befinden, das
den Level von Ende der 80er/ Anfang der 90er Jahre widerspiegelt (blauer
Kreis nächster Chart).
Doch ist diese Schlussfolgerung nicht rein hypothetisch? Schließlich
ist die Globalisierung nicht wegzudiskutieren. Und doch lässt sich daraus
eine wichtige Erkenntnis ableiten: Es ist unwahrscheinlich, dass sich die
Inflationsspitzen, die sich an den Märkten zur Mitte und zum Ende der 70er
Jahre gebildet hatten, sich in diesem Jahrzehnt in gleichem Maße in den
Charts reflektieren.
Dieser Effekt erklärt auch, warum der Goldpreis um so viel stärker
gestiegen ist als die offizielle US-Inflationsrate.
Im Umkehrschluss ergibt sich das folgende Szenario: Die Inflationsrate
scheint (bereinigt durch den dämpfenden Einfluss der Globalisierung und
des hedonistischen Effekts) durchaus einen Punkt erreicht zu haben, der
einen Inflationspeak zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigt. Eine
Abschwächung der Inflationsrate von jetzt an dürfte angesichts der
negativen US-Zinsstrukturkurve mit der Erwartung einer Rezession in den
USA spätestens im Jahr 2007 verbunden sein.
Insgesamt hat sich die „Inflationsspanne“ durch diese Einflüsse
deutlich nach unten verlagert. Damit steigt die Gefahr, dass es in einer
Rezession zu einer deutlicheren Deflation kommt, als das bei früheren
Rezessionen der Fall war.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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