Der Wellenreiter
                          Wirtschaftsthemen der Zeit

 

   

23. September 2006
Die Grenzen der Maßlosigkeit

In den USA wird im Wahlkampf eifrig über das Thema „Einkommens-Ungleichgewichte“ diskutiert. In Deutschland hat u.a. der Spiegel darüber berichtet. Die Researcher Thomas Piketty und Emanuel Saez haben Daten der US-Finanzbehörde verarbeitet und eine interessante Statistik erstellt. Danach hatte die höchste Einkommensklasse der USA (definiert als die obersten 1 Prozent aller Haushalte) im Jahr 2004 (letzte verfügbare Daten) einen Anteil von 19,5 Prozent am Gesamteinkommen aller US-Haushalte. Nur Ende der 20er Jahre („Roaring Twenties“) und im Jahr 2000 war deren Anteil noch höher.

 
Quelle: http://www.cbpp.org/7-10-06inc.pdf

Die Grafik zeigt sehr schön, dass die Zeit von der großen Depression bis in die 70er Jahre hinein dem alten Gewerkschaftsslogan „Wohlstand für alle“ ziemlich nahe kam. Die in den „goldenen Zwanzigern“ geschaffenen Unterschiede ebneten sich mehr und mehr ein.

Zu Beginn der 80er Jahre drehte sich das Bild und die Wohlhabenden begannen, ihren Anteil am Gesamteinkommen sukzessive zu erhöhen. In den Jahren 1985 bis 1987 erfuhr diese Verschiebung eine drastische Beschleunigung. Der Crash von 1987 führte zu einer siebenjährigen Pause in der Anteilserhöhung, die von 1995 bis 2000 eine weitere Beschleunigung erfuhr.

Da davon auszugehen ist, dass die Gewinne der Top-Verdiener hauptsächlich aus Wertpapier und Private-Equity-Vermögen generiert werden, dürften sich die Einkommens-Ungleichgewichte in 2005 und 2006 weiter vergrößert haben. Das Top des Jahres 2000 mit einem Anteil von 21,5 Prozent am Gesamteinkommen könnte bereits erreicht sein.

Der folgende Chart zeigt den Zusammenhang zwischen dem Anteil der Top 1%-Verdiener am Gesamteinkommen und dem Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500.

Immer dann, wenn die Aktien gemessen an ihrem Gewinn besonders teuer wurden, hat sich der Anteil der Topverdiener am Gesamteinkommen stark erhöht (bes. 20er und 90er Jahre). Dazu passt die Statistik, dass die obersten 1 Prozent aller Haushalte in 2004 insgesamt 41 Prozent aller Einkommenszuwächse abschöpften.

Uns waren die USA als das „Land ohne Neid“ bekannt. Jeder, der es „schafft“, wird – so glaubten wir Europäer bisher – in den USA mit Bewunderung überschüttet. Ist diese Zeit vorbei? Gibt es einen Punkt, an dem es Menschen verstärkt drängt, neidisch auf die Top-Verdiener zu sein? Gibt es quasi eine Gesetzmäßigkeit, die es den 1-Prozent-Top-Verdienern nicht ermöglicht, über Anteil zwischen 20 und 25 Prozent am Gesamteinkommen hinauszukommen, ohne dass eine automatische Korrektur einsetzt? Eine automatische Korrektur kann nach all dem, was wir wissen, nur in Form eines heftigen Liquiditätsentzuges stattfinden. Dies ist zum Beispiel in Form eines Aktienmarkt-Crashes oder eines starken Rückgangs möglich.

Ich glaube schon, dass es einen Punkt gibt, an dem der gesellschaftliche Konsens aufgebrochen wird. Man denke an die französische Revolution, der eine ständige Vergrößerung der Einkommenszuwächse zwischen den Staatsdienern und den „Massen“ vorausging. Heutzutage sind Revolutionen in den westlichen Staaten selten. Dafür erledigen die Wertpapiermärkte die Schmutzarbeit und sorgen ab und an dafür, dass irgendwann wieder alle in einem Boot sitzen. Um nicht missverstanden zu werden: Alle in einem Boot bedeutet nicht, dass keine Einkommensunterschiede vorhanden sind. Es heißt lediglich, dass die Ungleichheiten so weit zurückgeführt werden, dass ein gesellschaftlicher Konsens aufrecht erhalten werden kann.

Die Grenzen der Maßlosigkeit sind in den USA offensichtlich dann erreicht, wenn die obersten 1 Prozent aller Haushalte einen Anteil von 22 bis 24 Prozent am Gesamteinkommen für sich einbehalten.

Apropos gesellschaftlicher Konsens: In den USA könnte im Sommer/Herbst 2007 eine Streikwelle größeren Ausmaßes bevorstehen. Dann nämlich laufen die Verträge aus, die Ford und General Motors mit den Gewerkschaften abgeschlossen haben.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
 

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Robert Rethfeld
 

 

 

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