14. Oktober 2006
Striptease im Börsenfieber
Eine wunderliche Meldung lief vor einigen Tagen über die
Nachrichten-Ticker:
„Dschidda.
Im islamisch-konservativen Königreich Saudi-Arabien hat ein Mann auf der
Straße einen Striptease hingelegt, um so seinem Frust über Verluste an der
Börse Ausdruck zu verleihen. Der Mann aus Dschidda hatte sich viel Geld
geliehen, mit dem er Aktien kaufte. Als diese innerhalb weniger Minuten
rapide an Wert verloren, riss sich der glücklose Anleger vor einem
Bankgebäude die Kleider vom Leib. Polizisten trugen Ihn fort, während er
voller Verzweiflung schrie, seine Freunde würden nun auf Ihn herabsehen.“
Ohne Frage müssen die Schmerzen der Investoren an den Börsen von
Saudi-Arabien und Dubai derzeit ein peinigendes Niveau erreicht haben.
Beide Länderindizes verloren im Laufe dieses Jahres jeweils etwa 50
Prozent ihres Wertes. Von einer Markterholung kann auch jetzt keine Rede
sein. In Dubai waren auf dem Höhepunkt der Aktienblase KGVs von über 40
gemessen worden (kommt einem bekannt vor).
Im Gegensatz dazu hält der Boom im Immobiliensektor in der Golf-Region
unvermindert an. In den vergangenen drei Jahren sind die Immobilienpreise
in einigen Regionen Dubais um 1.000 Prozent gestiegen. Nicht nur in Dubai
und Saudi-Arabien, sondern in auch Abu Dhabi, Qatar und jetzt auch in
Kuwait explodieren die Immobilienmärkte nach oben. Wen wundert dies,
möchte man fragen, bei einer Versiebenfachung des Ölpreises seit 1998?
Davon profitiert nicht nur die Golfregion, sondern fast alle
ölproduzierenden Länder:
- In
Calgary (der Ölhauptstadt Kanadas) ist kein Ende des Immoblienbooms
absehbar. Über vier Millionen Quadratmeter neue Büroflächen werden dort
gerade entwickelt. Kanadas größter Erdgas-Produzent EnCana Corp. beginnt
im kommenden Jahr mit dem Bau des höchsten Bürogebäudes Kanadas westlich
von Toronto.
- In
Deutschland titelt Bild: „Die Russen kommen: Bei Schalke eingekauft •
Einstieg bei Airbus • Noch mehr Energie für alle Deutschen!“
Offensichtlich ertrinkt Russland in Liquidität, die verzweifelt
Anlagemöglichkeiten sucht.
-
Venezuela plant, in den kommenden sechs Jahren mehr als 100 Milliarden
US-Dollar in heimische Infrastrukturprojekte wie Straßen, Brücken und
Häfen zu investieren.
Zurück in die die Golfregion: Selbstsicher wird argumentiert, dass die
Immobilienblase in der westlichen Welt (speziell in Großbritannien,
Irland, Spanien, Dänemark, Niederlande und Australien) zwar geplatzt sein
möge, dies aber kaum Auswirkungen auf Dubai haben dürfte, da die Preise in
Dubai sich noch immer unterhalb der westlichen Immobilienpreise befänden.
Zitat: „Es könnte auch sein, dass sich herausstellt, dass die Immobilien
im Westen stark überbewertet sind, und dass diese Märkte auf das in Dubai
herrschende Preisniveau zurückfallen. Wo wäre in diesem Fall das Kapital
besser geschützt?“ Quelle:
http://www.ameinfo.com/98618.html
Aus diesen Zeilen spricht eine nicht zu verhehlende Genugtuung über den
Immobilien-preisverfall im Westen gepaart mit der Überzeugung, dass der
Immobilienmarkt in Dubai nichts blasenartiges an sich hat. Das Problem des
Autors ist die Verwechselung relativer mit absoluten Preisniveaus. Ein
Beispiel: US-Immobilien waren lange Zeit im Vergleich zum deutschen Markt
sehr preiswert. Das hat sich im Laufe der letzten Jahre geändert. Dennoch
spricht man im US-Markt von einer „Immobilienblase“, während der deutsche
Markt weit davon entfernt ist. Ein altes Sprichwort lautet: „Hochmut kommt
vor dem Fall“.
Die große Frage lautet: Wann ist ein Exzess ein Exzess? Ein Preisverfall
um 25 Prozent im Ölpreis bedeutet eine Einschränkung der Liquidität in den
ölexportierenden Ländern. Die Geldkoffer füllen sich zwar noch, aber nicht
mehr selben Tempo wie vorher. Entscheidend für die Aufrechterhaltung eines
Booms ist jedoch der beständige Nachschub an ausreichend hoher Liquidität.
Lässt dieser Nachschub auch nur in geringem Maß nach, kann das hell
lodernde Feuer ins Stocken geraten. Das allein würde reichen, um das
Vertrauen der Anleger nicht nur an den Aktienmärkten der Golfregion,
sondern auch an den Immobilienmärkten nachhaltig erschüttern. Und genauso,
wie der Ölboom nicht nur die Golfregion, sondern auch Russland, Kanada und
Venezuela beflügelt hat, dürfte ein Abflauen des Booms nicht nur Dubai,
Abu Dhabi, Qatar, Kuweit und Saudi-Arabien, sondern auch Russland, Kanada
und Venezuela treffen. Würde eine Krise auf diese Länder beschränkt
bleiben oder würde sich daraus ein globales Krisenszenario entwickeln
können? Jeder mag diese Frage für sich selbst beantworten. Ich jedenfalls
halte die Wahrscheinlichkeit für ein globales Krisenszenario durchaus für
hoch.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
|