21. Oktober 2006
Schlafender Riese "Euro/Dollar"
„In der Mitte des Raumes liegt ein schlafender Riese. Auf seinem Bauch
liegt der Edelstein. Alle anderen sind die Zwerge, die sich anschleichen
und lange warten, ob der Riese auch wirklich gut schläft. Dann greift
einer zu. In diesem Moment erwacht aber der Riese und fängt alle Zwerge,
die sich nur retten können, wenn sie die Wand des Raumes erreichen“ (aus
einem Web-Magazin für Kinder).
Schaut man auf die großen Anlagearten an den Weltmärkten, so befinden sich
die Aktienmärkte in vollem Schwung nach oben. Die US-Bonds drehten ein
Pirouette und fallen derzeit. Die Rohstoffe versuchen, einen Boden
auszubilden. Nur der Riese „Euro/ Dollar“ schläft seit einigen Monaten in
einer Handelsspanne zwischen 1,25 und 1,30. Am 27. Oktober 2006 wird genau
ein halbes Jahr vergangen sein, seitdem der Kurs des Euro zum ersten Mal
in diese Handelsspanne eindrang. Fünf Cents in sechs Monaten; da ist die
unergiebige Ausbeute. Für „Länge und Enge“ dieser Handelsspanne gibt es in
diesem Jahrzehnt im Euro keinen Präzedenzfall.
Der Tag wird kommen, an dem der Euro aus seinem Schlaf erwacht. Wie wird
dies geschehen? Langsam oder ruckartig? Wir vermuten, dass der Euro sehr
schnell in einen deutlichen Trend übergehen wird, ähnlich wie dies aktuell
die weltweiten Aktienmärkte vorexerzieren. Die uns vorliegenden COT-Daten
weisen darauf hin, dass sich eine solche Ausbruchsbewegung nach oben
vollziehen dürfte. Wir haben als Beispiel für unsere Arbeit die
COT-Auswertung für den Japanischen Yen online gestellt.
http://www.wellenreiter-invest.de/freiindizes/2006.10.16.cot.yen.pdf
Was geschähe an den Börsen, wenn sich dieses Equilibrium auflösen würde?
Szenario 1: Der US-Dollar schwächt sich ab
Der Euro bricht nach oben aus und auch der Yen gewinnt an Stärke. Dies
würde dazu führen, dass sich der sogenannte Yen-Carry-Trade (Geld zu
günstigen Zinsen in Japan leihen und US-Bonds kaufen) immer weniger lohnen
würde. Eine mögliche Folge wäre ein Rückgang des Interesses an US-Bonds.
Sollten die US-Bonds fallen, würde dies automatisch steigende
US-Langfristzinsen bedeuten. Steigende US-Zinsen würden die Konjunktur
belasten, da sie der Kreditexpansion entgegenarbeiten. Der
US-Hausbausektor hätte ebenfalls mit wieder steigenden Zinsen zu kämpfen.
Ausländische Exporte in den Dollar-Raum würden teurer. Durch teure Importe
und steigende Rohstoffpreise würde die US-Inflationsrate tendenziell
steigen.
Szenario 2: Der US-Dollar wird stärker
Der US-Dollar bricht gegenüber Euro und Yen nach oben aus. Die von vielen
Chart-Technikern wahrgenommene Schulter-Kopf-Schulter-Formation im Euro
würde sich vollenden. In diesem Fall würde die Fortsetzung des
Yen-Carry-Trade dazu führen, dass sich die US-Bonds weiterhin starker
Nachfrage erfreuen würden. Fallende Langfristzinsen wären die Folge.
Billige Kredite würden die Liquidität weiter ausweiten und dies würde die
US-Konjunktur unterstützen. Importe würden preiswerter und würde die
Inflationsrate sinken lassen. Rohstoffe würden sich verbilligen.
Wenn George W. Bush und seine Mitstreiter neben dem Ölpreis auch den
US-Dollar im Griff hätten; wie würden sie ihn sich backen wollen? Wir
glauben, dass die erste Priorität wäre, das Equilibrium zu erhalten. Der
aktuell „fixe“ Wechselkurs zwischen Euro und US-Dollar sorgt dafür, dass
sich die Märkte in Ruhe entwickeln können. Die zweite Priorität wäre ein
steigender US-Dollar. Im Szenario 2 würden die US-Multinationals, die Ihr
Geld hauptsächlich im Ausland verdienen (z.B. McDonalds, Microsoft, Intel,
Procter&Gamble) im Ausland weniger US-Dollars erwirtschaften und das
könnte die Marge zusammenfallen lassen. Ansonsten aber würde ein
steigender US-Dollar als Konjunkturspritze dienen und mögliche
Inflationsgefahren eindämmen. Ein Vehikel für die Erreichung von Szenario
2 wäre eine Anhebung des US-Leitzinses. Ein anderes ist die Steigerung der
Attraktivität des US-Aktienmarktes, die viele Fonds dazu zwingt, ihren
US-Aktienanteil zu erhöhen.
Szenario 1 (fallender US-Dollar) hat hingegen das Potential, Unruhe in die
„Goldilocks-Economy“ zu bringen. Steigende Zinsen würden die US-Konjunktur
belasten und insbesondere den bereits angeschlagenen Hausbau-Sektor
treffen. Ein fallender US-Dollar würde zusätzlich zu inflationären
Tendenzen in den USA führen. Eine Zinssenkung würde den US-Dollar
gegenüber anderen Währungen unattraktiver machen und das Szenario 1
heraufbeschwören. Insofern ist davon auszugehen, dass die US-Fed den
Leitzins erst dann senken wird, wenn es nicht mehr anders geht (und nicht
etwa, wenn die Aktienmärkte steigen und die Konjunktur noch einigermaßen
brummt). Eine Leitzinssenkung ist immer die „Ultima Ratio“.
Noch liegt der „Riese Euro/Dollar“ auf dem Boden und schläft. Wenn er
erwacht, wird er die „Zwerge“ jagen und sie fangen. „Zwerg Anleihenmarkt“
und „Zwerg Aktienmarkt“, nehmt Euch in Acht: Der Währungsmarkt ist viel
größer als ihr!
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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