28. April 2007
Stimmung!
Die Erfassung von Marktstimmungen ist nicht einfach. Beispielsweise mag
ein Fonds-Manager bullisch positioniert sein, antwortet aber in einer
Umfrage mit neutral, weil er glaubt, dass die Märkte eine Pause einlegen
werden. Und schon liegt eine Diskrepanz zwischen finanzieller und
gedanklicher Positionierung vor. Und dann gibt es noch diejenigen, die so
antworten, wie sie glauben, dass die meisten denken. Sie erhoffen sich
damit eine Durchsetzung ihres Standpunktes. Dieser Effekt dürfte jedoch
bei entsprechend großer Beteiligung vernachlässigbar sein. Dass es
außerdem in hohem Grade unsinnig ist, so zu agieren, dürfte auch klar
sein.
Damit sind wir auch schon bei einem wichtigen Punkt: Die Einbeziehung des
Sentiments - „gedankliche Positionierung“ – in seine
Investment-Überlegungen erscheint immer dann besonders sinnvoll, wenn sich
die Marktstimmung in einer Extremsituation befindet. Ich kann mich noch
gut an ein Beispiel erinnern: Im Frühjahr 2003 fragte ein damals bekannter
Börsenbriefschreiber die Leser eines auch heute noch führenden deutschen
Online-Finanzportals nach ihrer Markteinschätzung. Unglaubliche 90 Prozent
der Leser gaben an, dass sie bärisch gestimmt seien. Das Sentiment war
derart mies, dass der Börsenbriefschreiber meinte, die Masse müsse sich
irren. Er blieb weiterhin bärisch.
Als Börsenbrief-Herausgeber kommuniziere ich mit vielen Lesern
(telefonisch oder per E-Mail). Darunter sind Dauerbullen und Dauerbären
aus Überzeugung, die Wechsler sowie die „Mainstream-Reiter“. Man ist immer
versucht, aus dem Feedback Rückschlüsse auf die tatsächliche Stimmung zu
ziehen. Das klappt jedoch nicht immer, sondern nur dann, wenn Zuschriften
und Anrufe plötzlich stark zunehmen und sich alle auf einer Seite
befinden. Aber das geschieht pro Jahr vielleicht ein- oder zweimal und
manchmal auch gar nicht.
Schon brauchbarer sind Veröffentlichungen bekannter Institute, die sich
auf einen weit entfernt liegenden Horizont beziehen. In den Jahren 1999
und 2000 waren massenweise Futurologen unterwegs, die einen Dow von 40.000
Punkten sowie eine sozusagen unendliche Ausdehnung der „New Economy“
prophezeiten. Heute ist diese positive Trendfortschreibung lediglich in
Ansätzen erkennbar. DB-Research hat jüngst für Deutschland ein durchaus
positives Szenario bis 2020 gezeichnet.
http://www.welt.de/finanzen/article830335/Warum_die_Globalisierung_Deutschland_nuetzt.html
Ich finde es bemerkenswert, dass für Deutschland ein durchschnittliches
jährliches Wachstum von 1,5% bis 2020 angenommen wird, in dem verlinkten
Zeitungsartikel aber Ziele für den DAX von 40.000 bis 50.000 Punkten
genannt werden. Lediglich 12,5 Jahre trennen uns von 2020. Der DAX müsste
bis dahin jedes Jahr um 14% steigen, um sich diesen Punkteständen
anzunähern. Das durchschnittliche Wachstum pro Jahr betrug in der
Vergangenheit nicht mehr als 6 bis 7 Prozent. Ein DAX-Zielwert von 50.000
Punkten wird in der Studie nicht genannt (ich meine, sie gewissenhaft
gelesen zu haben). Dennoch wird der Wert in dem Zeitungsartikel zitiert.
Die Herkunft ist demnach schleierhaft.
Jedenfalls sind derartige über das Ziel hinaus schießende Extrapolationen
typisch für Endphasen von Bullenmärkten. Doch dies kann auch ein
Einzelfall sein. Nichtsdestotrotz: Ein DAX von 40.000 oder 50.000 Punkten
wäre in einem Bärenmarkt und in der Anfangsphase eines Bullenmarktes
niemals durch die Zeitungen gegeistert. Niemand hätte gewagt, derartiges
von sich zu geben.
Dennoch muss man sich fragen, warum die Phase der Euphorie weiterhin auf
sich warten lässt. DAX, Dow und S&P500 befinden sich schließlich in
steilen Aufwärtstrends. Ein Mix aus folgenden Faktoren wäre für ein
Extremsentiment ideal: Kurse steigen weiter + Hausbau zieht deutlich an + Yen-Carry-Trade kein Thema + US-Wirtschaft
klettert aus dem Tal + „Tech ist zurück“ + Ängste schwinden + Aussage
Steinbrück: „Deutschland befindet sich auf einem dauerhaft hohen
Wirtschaftniveau“.
Geschähe dies, liesse
sich die bärische Seite plausibler vertreten.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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