11. August 2007
Fallout mit Viruscharakter
Für die meisten Investoren ist die aktuelle Situation an den Finanzmärkten
aus eigener Erfahrung nicht zu bewerten. 2000 kam es zu keiner
Bankenkrise, 1998 fiel lediglich ein großer Hedge Fonds (LTCM) der Krise
zum Opfer, auch in den Rezessionen der 80er Jahre kam es zu keiner
Kreditklemme. Man muss bis in die Jahre 1973/74 zurückschauen, um eine
ähnliche Situation wie aktuell zu finden. Auch damals fielen die
Häuserpreise. Die Liquiditätskrise kulminierte in Deutschland im Juni 1974
mit dem Zusammenbruch der Herstatt-Bank. Allerdings gab es damals keine
Finanzinstrumente wie CDOs, ABS, CDX. Der Markt für Optionsscheine bildete
sich gerade und Hedge Fonds waren nahezu unbekannt.
Der „Fallout“ der so genannten „Sicherungsinstrumente“ verbreitet sich
derzeit rasend schnell wie ein Computervirus um die Welt. Sogar die als
Equivalent zu Cash angeseh-enen langweiligen Geldmarktfonds scheinen von
diesem Virus verseucht zu sein. Ein Analyst schrieb mir dieser Tage, dass
er trotz intensiver Recherche nicht in der Lage war, einen in Deutschland
zugelassenen Geldmarktfonds zu finden, der zu 100 Prozent in erstklassigen
Staatsanleihen anlegt. Seiner Meinung nach enthalten alle Geldmarktfonds
zwischen 4 und 25 Prozent ABS-Papiere und einige noch erheblich mehr. Das
Wall Street Journal berichtete in der vergangenen Woche über den Umstand,
dass Geldmarktfonds „mortgage backed securities“ enthalten.
Und ausgerechnet in diese Fonds fliehen die Anleger. Laut AMG-Data flossen
in der vorletzten Woche 36,23 Mrd. US-Dollar in US-Geldmarktfonds, so viel
wie noch niemals zuvor (schwarzer Pfeil).
Das frühe Eingreifen der Zentralbanken mittels Kreditspritzen wirft Fragen
auf. Wie kann es sein, dass ein solcher Eingriff bereits erfolgen muss,
obwohl der DAX gerade einmal 10 Prozent vom Top gefallen ist und der Dow
Jones Index erst gut 5 Prozent verloren hat? Auch nach intensiven
Recherchen kann ich keine Situation finden, in der die Zentral-banken
weltweit und koordiniert in einer derart frühen Phase einer
Abwärtsbewegung in die Märkte so massiv eingegriffen haben. Wir erinnern
uns: Noch am Dienstag hatte die US-Fed den Leitzins unverändert gelassen
und dabei die Inflationsrisiken betont. Ist es vorstellbar, dass die
US-Fed von den Ereignissen am Donnerstag und Freitag überrollt wurde? War
sich auch die EZB sich der Schärfe des Problems vorab nicht bewusst?
Offensichtlich nicht, oder hätte Trichet sonst eine Zinserhöhung für das
nächste Meeting angekündigt? Für die USA preisen die Märkte jetzt eine
Zinssenkung beim nächsten Meeting im September zu 100 Prozent ein.
All das, was bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist, spiegelt nicht
wider, was derzeit bei Banken und Brokern los ist. Dort wird jeder Stein
nach „Viren“ umgedreht. Während die Bafin bei deutschen Instituten
„herumstochert“, hat es sich die amerikanische Börsenaufsicht SEC zur
Aufgabe gemacht, die großen Broker und Banken der USA nach faulen Papieren
zu durchleuchten. Das Ergebnis dieser Untersuchung dürfte der eigentliche
Lackmus-Test für die Finanzbranche sein. Außer Bear Stearns hat noch kein
großer Broker zugegeben, Verluste in größerem Ausmaß aus faulen Krediten
erlitten zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SEC Öl ins
Feuer gießen möchte. Auch wenn es sich herausstellen sollte, dass Goldman
Sachs, Merrill Lnych und Co. in ihrer Substanz gefährdet sein würden,
würde die SEC so etwas nicht nach außen geben. Nur die offensichtlichen
Dinge würden bekannt gegeben.
Was bedeutet dies für die Märkte? Unsere Indikatoren befanden sich Anfang
vergangener Woche „am Anschlag“. Sie waren absolut überverkauft und
bildeten teilweise untere Extrema aus, für die historisch betrachtet keine
vergleichbaren Daten existieren. Der zwischenzeitliche Anstieg linderte
die überverkaufte Situation. Worauf wir jetzt bei einer Fortsetzung der
Abwärtsbewegung an den Aktienmärkten achten, ist die Ausbildung positiver
Divergenzen in unseren Indikatoren. Dann wäre der Weg für eine
zwischen-zeitliche Markterholung frei.
Solange die Finanzkrise nicht in eine Phase wirtschaftlichen Abschwungs in
den USA einmündet, besitzen die Zentralbanken wahrscheinlich das Vermögen,
einen größeren „Meltdown“ zu verhindern. Doch sobald offensichtlich werden
sollte, dass die Finanzkrise eine US-Rezession getriggert hat, dürften die
Zentralbanken nicht mehr in der Lage sein, die dann in Bewegung geratende
Abwärtsspirale aus Gewinneinbrüchen und Arbeitsplatzverlusten aufzuhalten.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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