19. Januar 2008
150 Jahre Rezessionen
Die landläufige Meinung, dass eine Rezession als eine Phase definiert ist,
in der zwei Quartale hintereinander ein Minus-Wachstum auftritt, wird von
der offizielle US-Instanz für die Ermittlung von Rezessionen (dem NBER)
nicht geteilt. Vielmehr ist eine Rezession eine Phase wirtschaftlicher
Kontraktion. Also eine Phase in der eine Volkswirtschaft nicht wächst,
sondern schrumpft. Solche Phasen wurden in den USA von 1850 bis 1940 viel
häufiger notiert als nach dem 2. Weltkrieg.
Dr. Conrad Mattern (Conquest Investment Advisory AG) erklärt das Abflauen
der Rezessionen nach dem Ende der großen Depression in den USA (um 1940)
damit, dass die Fed erst seitdem so arbeitet, wie man es heute von ihr
kennt. Der Eingriff der Fed in den natürlichen Wirtschaftskreislauf hat
offensichtlich dazu geführt, dass Rezessionen seltener geworden sind. Der
Preis sind höhere Inflationsraten als zuvor und damit eine zusätzliche
staatliche „Steuer“, die die Reallöhne in Schach hält.
Das interessante: Nominal performte der Dow Jones Index vom Ende der
großen Depression bis jetzt deutlich besser als in der Zeit von 1850 bis
etwa 1940. Der grüne Pfeil auf dem folgenden Chart verdeutlicht dies.
Aber das ist eine Täuschung!
Real – also inflationsbereinigt – ist die Börsenphase von 1860 bis etwa
1910 die stärkste Phase im zurückgerechneten Dow Jones Index (grüner Pfeil
nächster Chart).
Diese Periode der Industrialisierung (zwischen US-Sezessionskrieg und dem
1. Weltkrieg) war für die USA der Zeitraum, der die Voraussetzung schuf,
um nach dem 1. Weltkrieg die weltweite Führungsrolle übernehmen zu können.
China dürfte sich derzeit in einer ähnlichen Periode befinden.
Die 60 Jahre nach dem 2. Weltkrieg brachten für die USA real einen
insgesamt weniger steil verlaufenden Anstieg bei deutlich höherer
Volatilität. Aktuell hat der Dow Jones Index real sein Hoch vom 14. Januar
2000 noch nicht erreicht.
Fazit: Die aktive Rolle, die die US-Zentralbank seit dem Ende der großen
Depression im Wirtschaftskreislauf spielt, hat real betrachtet weder die
Volatilität aus den Märkten heraushalten können noch zu einem stärkeren
Anstieg der Aktienmärkte geführt.
Bleibt der Verdienst der Fed, dass die Zahl der Rezessionen in der aktiven
Zeit der US-Zentralbank abgenommen hat. Eine ständige und kontrollierte
Geldentwertung (zwischen 2 und 3 Prozent) schafft offensichtlich ein
Rezessions-feindliches Umfeld. Außerdem scheinen Rezessionen, in denen die
Inflationsrate nicht unter null fällt, weniger dramatisch für die
Aktienmärkte zu verlaufen als Rezessionen in einem deflatorischen Umfeld.
Interessanterweise traten zwischen 1900 und 1960 US-Rezessionen in 7er und
8er Jahren regelmäßig auf. Die durchschnittliche Dauer dieser Rezessionen
betrug ein knappes Jahr. Danach verlagerte sich das Rezessionsgeschehen an
den Anfang einer Dekade (1970, 1980, 1990 und 2001 waren Rezessionsjahre).
Für die Rezession von 2008 erwarten wir eine Dauer, die sich am
Durchschnittswert orientiert.
Der Konjunkturzyklus lebt und wird auch weiterhin einer der
verlässlichsten Merkmale des Wirtschaftskreislaufs bleiben. Die US-Fed
kann diese Rezession abmildern, indem sie dafür sorgt, dass die
Inflationsrate in den USA positiv bleibt. Die Fed befindet sich aktuell um
etwa 125 Basispunkte hinter der Kurve. Sie müsste den Leitzins am 30.
Januar von 4,25% auf 3,00% senken, um der Wirtschaft Impulse geben zu
können und um ein Abrutschen in ein deflatorisches Umfeld zu verhindern.
Bernanke, gib Gas, das ist kein Einstand nach Maß!
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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