Der Wellenreiter
                          Wirtschaftsthemen der Zeit

 

   

13. Dezember 2008
Brown, Steinbrück und ein Lehrstück

Gibt es eine Antwort auf die Frage, welcher Ansatz der bessere zur Bewältigung der aktuellen „Einmal-im-Jahrhundert-Finanzkrise“ ist? Zur Wahl stehen einerseits der keynesianische Ansatz des britischen Premierministers Gordon Brown - der auch derjenige von George W. Bush/ Barack Obama ist – und andererseits der zugeknöpfte Ansatz des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück und der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dabei ist es hilfreich, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sich die große Depression von 1929 bis 1932 abgespielt hat. Letztendlich geht es darum, die Frage zu beantworten, was zuerst da war: Die Henne oder das Ei.

Tatsache ist, dass die Autoproduktion in den USA von 660.000 Einheiten im März 1929 auf 440.000 im August, 416.000 im September, 319.000 im Oktober, 169.500 im November und 92.500 im Dezember sank. Die Industrieproduktion begann ihren Abstieg bereits im Juli. Das Aktienmarkthoch wurde Anfang September 1929 erreicht, der Crash kam im Oktober. Wir stellen fest, dass die Konsumenten zuerst ihren Konsum deutlich einzuschränken begannen und erst daraufhin die Aktienmärkte crashten. Offensichtlich existiert eine Art „natürliche Konsumgrenze“, über die die Verbraucher in ihrer Gesamtheit nicht zu gehen bereit sind. Die aktuelle US-Rezession begann im Dezember 2007. Die Industrieproduktion erreichte ihren Hochpunkt im Januar 2008. Im September 2008 ging das langsame „Wegbröckeln“ der Industrieproduktion in einen scharfen Einbruch über. Die US-Autoproduktion sank von 884.000 Einheiten im November 2007 auf 530.000 Einheiten im November 2008. Es spricht schon Bände, dass die Automobilproduktion in den USA im März 1929 höher war als 80 Jahre später. Dazu ist zu berücksichtigen, dass 1929 etwa 130 Millionen Menschen in den USA lebten. Heute sind es mehr als 300 Millionen.

Der breite US-Aktienmarkt markierte sein hoch im Oktober 2007. Noch im September 2008, als der Konsum in den USA wegzubrechen begann, befand sich der breite US-Aktienmarkt mit einem Minus von 17% (S&P 500) außerhalb des Bärenmarktterritoriums. Dieses wurde nachhaltig erst im Oktober 2008 betreten. 

Ähnlich wie 1929, als die Zinsen kurz nach dem Börsencrash deutlich sanken, war es diesmal auch. Nach Beginn des Konsumentenstreiks im September 2008 kamen die Zinsen am kurzen und langen Ende deutlich herunter, weil die Nachfrage nach einer sicheren Kapitalanlage dramatisch anstieg. Geld horten statt konsumieren heißt die aktuelle Devise, die auch damals galt. Genauso wie damals wird das Geld jedoch nur in erstklassige Anleihen investiert. Das Vertrauen in zweitklassige Anleihen ist nicht vorhanden.

Das Hauptproblem scheint damals wie heute die Schnelligkeit zu sein, mit der der Konsum zusammenbrach. Anders als 1929 hatten Politiker und Zentralbanker genügend Zeit sich auf den weg brechenden Konsum vorzubereiten. Spätestens im Herbst 2007 musste allen Politikern klar gewesen sein, dass die damals Subprime-Krise genannte Krise eine Kredit-, Investitions- und Konsumkrise auslösen würde. Zinssenkungen und die Bereitstellung von noch so viel Geld durch die Zentralbanken konnten aber die Rezession nicht verhindern. Es muss doch ernüchternd sein, wie wenig diesem natürlichen Konjunkturzyklus entgegen gearbeitet werden kann. Ein Nobelpreisträger wie Paul Krugman kritisiert die deutsche Regierung für ihre vergleichsweise bescheidenen Konjunkturspritzen. Krugman ist sich mittlerweile sicher, dass ein Japan-Szenario droht und dass ein solches unbedingt verhindert werden muss. Unsere Politiker stehen hingegen in der Tradition der Bundesbanker, die mit ihrer Anti-Inflationspolitik erfolgreich waren. Die Erfahrungen aus der Hyperinflation von 1923/24 sind sicher noch immer einer der Bestimmungsfaktoren für die reservierte Haltung deutscher Politiker gegenüber Konjunkturspritzen. Auch wir können uns von dieser Haltung nicht frei machen. Ein Japan-Szenario droht unserer Meinung nach nicht. Vielmehr müssen die USA und Großbritannien aufpassen, was sie mit ihrer hektischen Betriebsamkeit auslösen.

Unsere nordwestlichen Nachbarn sind heute ein weitgehend de-industrialisiertes Land. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Briten als die Erfinder der industriellen Revolution gelten. Heute müssen Industriegüter meist importiert werden. Das Land hat den Wechsel von der Industrie- zur Finanzwirtschaft konsequent vollzogen. London wurde schon nachgesagt, das es die Finanzmetropole New York in ihrer Bedeutung bald ablösen würde. Mit dem Zusammenbruch dieser Geschäftsmodelle leidet London. Die Immobilienpreise fallen. Das Pfund befindet sich auf dem Weg zur Parität mit dem Euro - noch Anfang 2007 war der Euro um 40% geringer bewertet. Nicht zuletzt aufgrund der schwachen Währung und der sich dadurch verteuernden Importe hält sich die Inflationsrate in Großbritannien oberhalb von 4 Prozent, während sie in Deutschland auf 2,4 Prozent gefallen ist. Übrigens hält sich hartnäckig das Gerücht, dass eine Inflation beherrschbar ist (einfach Zinsen erhöhen), während eine Deflation nicht gestoppt werden kann. Außer - Japan mit einer Arbeitslosenquote von 4% - ist mir kein Beispiel einer langjährig andauernden Deflation bekannt. Die Ängste der US-Amerikaner vor einer Deflation und deren Folgen erscheinen überhöht. Staatsbankrotte gehen meist nicht mit einer starken Währung und Deflation, sondern häufig mit einer schwachen Währung und Inflation einher. Eine fallende Währung bedeutet, dass – in diesen Zeiten dringend benötigtes - Kapital abgezogen wird.

Fazit: Hektisches Inflationieren ist keine Antwort auf eine schwere Finanz- und Wirtschaftskrise. Die oben genannten Abläufe zeigen, dass offenbar eine Art „natürliche Konsumgrenze“ existiert, die auch nicht durch noch so ausgefeilte Maßnahmen überwunden werden kann. Diese Grenze ist nicht statisch, sondern variiert je nach vorhergehender Blase. In den USA waren die Grenzen des Konsums in dem Moment absehbar, in dem die Preise für Häuser zu fallen begannen. Zur Frage Henne oder Ei: Erst kam der Konsumentenstreik und dann der Aktienmarktcrash. Das war sowohl im Oktober 1929 als auch im Oktober 2008 so. Während der Crash von 1929 für fast alle am Markt beteiligten - auch für Politiker und Zentralbanker - überraschend kam, war der tiefe Kurssturz vom Oktober 2008 abseh- und vorhersehbar. Trotzdem konnte dieser Sturz durch keine noch so ausgefeilte Politik verhindert werden. Auch jetzt sollten hektische Maßnahmen vermieden werden. Der Staatsbankrott dürfte diejenigen Staaten zuerst treffen, die jetzt in hektischen, ausgabewütigen Aktionismus verfallen. Inseln sind in diesem Klima durchaus gefährdet.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest


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Robert Rethfeld
 

 

 

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