31. Januar 2009
Stunde Null
Etwa alle 75 Jahre wird die ökonomische Uhr auf null gestellt, damit die
nachfolgenden Generationen eine Chance haben, den Wiederaufbau zu leisten.
Wie heißt es so schön im Lebenszyklusmodell der Generationen: Die erste
Generation baut auf, die zweite Generation baut aus und die dritte
Generation baut ab. Nach der ersten Weltwirtschafts-krise (Tiefpunkt:
1857) folgte 75 Jahre später die zweite Weltwirtschaftskrise (Große
Depression; Tiefpunkt: 1932). Aktuell sind bereits 77 weitere Jahre
vergangen. Zwischen den Tiefpunkten der großen Finanzkrisen vergehen in
der Regel zwischen 65 und 85 Jahren.
Die Generation, die jetzt an der Reihe ist, wird die Gelegenheit zum
Aufbau haben. Und eine zweite wird folgen, die das Geschäft ausbauen wird.
Die kreative Zerstörung gibt Raum für Neues. Die Krise bedeutet auch einen
Neuanfang, ein Zurückdrehen der Uhr auf die Stunde Null.
Alles was die Politik jetzt tun kann, ist die Zeit bis zur Stunde Null für
die Bevölkerung so verträglich wie möglich zu gestalten. Denn noch
befinden sich Märkte, Wirtschaft und Gesellschaft auf der Seite des
Abbaus, der Schrumpfung, der Deflation, des Deleveraging, der
Bilanzverkürzung, der Veringerung von Risiken.
Die 24. internationale Kapitalanlegertagung in Zürich, die am 27. und 28.
Januar im Vorfeld des Davoser Weltwirtschaftsgipfels stattfand, war von
solchen Gedanken überlagert. Wie Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von
Barclays Capital, formulierte: Das Pendel schlägt zurück auf
Interventionismus und Sozialismus. Keine Bankanleihe wird ohne
Staatsgarantie verkauft. Noch gesunde Banken erleiden
Wettbewerbsnachteile, weil die Staatseingriffe den Wettbewerb verzerren.
Die gesunden Banken werden selbst zu Bedürftigen.
Als Mitglied der Friedrich-von-Hayek-Stiftung unterstrich Polleit die
Worte Friedrich-von-Hayeks, dass „eine Gesellschaft, die den Wettbewerb
beseitigt oder die Gewinne sozialisiert, die eigene Dynamik zerstört.“ Zur
Lösung der Finanzkrise gab es von Thorsten Polleit den Vorschlag, den
problematischen Teil des Anlagevermögens der Banken auf der Aktivseite der
Bilanz einer Regierung einzubuchen. Diese „troubled assets“ werden an den
Goldpreis gebunden. Im Gegenzug wird eine Ausgleichsforderung bei den
Banken eingebucht. Eine Goldpreisbindung hätte den Vorteil, dass die
Forderung so sicher wie das sprichwörtliche Fort Knox wäre. Wollte man
alle „toxic assets“ mit physischem Gold absichern, würde der Goldpreis auf
etwa 8.000 Euro steigen müssen.
Gegen einen solchen Vorschlag spricht u.a., dass Staaten über
unterschiedlich hohe Goldbestände verfügen. Großbritanniens
Premier-Minister Gordon Brown hat als UK-Finanzminister in den Jahren 1999
bis 2002 die Hälfte des Goldbestandes verkauft. Darüber lacht heute noch
die ganze Welt. Alan Greenspan warnte die Briten damals:
„Gold repräsentiert noch immer das ultimative Zahlungsmittel. Im Jahr 1944
konnte Deutschland nur deshalb noch Material kaufen, weil es mit Gold
bezahlte. Fiat-Money (also nicht durch einen Sachwert gedecktes Geld) wird
im Extremfall von niemandem akzeptiert. Gold wird immer akzeptiert.“
http://tinyurl.com/39o2v7
Wie gering das Vertrauen in Fiat-Money im Einzelfall bereits ist,
berichtete Tagungsleiter Philipp Vorndran (Flossbach & von Storch). Ein
Bekannter bunkert Euro-Scheine. Aber nicht irgendwelche, sondern nur die
mit X, P, und N vor der Seriennummer gekennzeichneten. Diese Buchstaben
stehen für Deutschland, Niederlande und Österreich. Die Kredit-Spreads
zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten des Euro-Systems weiten sich aus,
so dass eine solche Unterscheidung als nicht ganz abwegig erscheint.
Den Zusammenbruch des Bankensystems und die Madoff-Erfahrung der
US-Amerikaner könnte man auch als „The death of trust“ bezeichnen. Wer die
Risiken von den Banken- auf die Staatsbilanzen transferiert haben möchte,
sollte sich darüber im klaren sein, dass der Staat - als Garant unseres
Geldsystems – diese Risiken nicht halten kann, ohne ebenfalls eine
Vertrauensverlust zu erleiden. Und für ein Finanzsystem, das auf reines
Vertrauen (Fiat-Money) aufgebaut ist, ist ein Vertrauensverlust in den
Staat fatal. Die Bürger werden sich etwas suchen, zu dem sie Vertrauen
haben. Viele werden sich an das Greenspan’schen Motto halten („Gold wird
immer akzeptiert“). Gold lässt sich immer in die Währung zurücktauschen, die gerade gilt.
Dennoch war die Einschätzung zu Gold nicht vorbehaltlos bullish. Paul van
Eeden, Cranberry Capital Inc., fand, dass der Goldpreis anhand seines
Bewertungsmodell derzeit den fairen Wert übertrifft. Man sollte jedoch bei
fallenden Kursen physisches Gold nachkaufen. Seiner Meinung nach sei
physisches Gold dem Kauf von Goldminenaktien vorzuziehen. Das Kapital für
Junior-Minenaktien sei aufgrund der aktuellen Risikoaversion so gut wie
nicht zu bekommen. Südafrikanische Minen sollte man vermeiden. Niemand
möchte eine Goldpreisbindung, so Paul van Eeden. Aber: Ein ausschließlich
auf Vertrauen basiertes Geldsystem bezeichnete er als „Schwachsinn“. Das
aktuelle System sei bereits „so gut wie insolvent“.
Prof. Dr. Helmut Becker beleuchtete die aktuelle Finanzmarktsituation
Japans. Japanische Banken halten nur geringe „Subprime“-Risiken. Dort gebe
es auch keine Kreditklemme. Das Problem sei der steigende Yen, der die
internationalen Kundenbeziehungen wegbrechen lässt. Japans GDP hängt zu 20
Prozent von den Exporten ab. In Japan herrschte sechs Jahre lang
Nullzinspolitik. Eine solche Politik sei für Assekuranz-unternehmen
tödlich. In Japan sind einige Lebensversicherer in Konkurs gegangen.
Außerdem gilt: Die Sparer werden bei einer Nullzinspolitik benachteiligt.
Von 660 Mrd. US-Dollar Carry-Trade-Volumen in 2007 sei aktuell nichts mehr
übrig geblieben. Als Vorteile für Japan seien ein funktionierender
Bankenapparat sowie ein niedriger Verschuldungsgrad der Unternehmen
anzusehen. Allein Toyota verfügt über ein Barvermögen von 17 Mrd.
US-Dollar.
Der derzeitige Star am Bärenhimmel, Nouriel Roubini, verkündete die
Botschaft, dass der Abschreibungsbedarf für die US-Banken mittlerweile 3,6
Bio. US-Dollar betragen würde. Bei einem derzeitigen Eigenkapital von 1,5
Bio. US-Dollar sei das US-Banken-System insolvent. Das gleiche gelte für
das Banken-System in Großbritannien. Dennoch sieht er die Risiken eines „Finanz-Meltdowns“
als „reduziert“ an. Das Hoch in der US-Arbeitslosen-quote beziffert er bei
9 bis 10 Prozent. Er sieht die USA in einer „Stag-Deflation“. Geringe
Nachfrage und steigende Arbeitslosigkeit verhindert Lohnsteigerung und
damit Inflation. Rohöl sieht er in einer Spanne von 30 bis 40 US-Dollar.
Die Deflation sollte im gesamten Jahr 2009 anhalten. Häuser werden erst
gekauft, wenn die Häuserpreise ihren Boden gefunden haben. Gleichzeitig
findet ein realer Schuldenanstieg statt. Die Antwort der Politik ist eine
US-Neuverschuldung von 2 Bio. US-Dollar. Es drohen Staatsbankrotte.
Roubini geht davon aus, dass US-Staatsanleihen unter diesen Umständen
wenig gefragt sein werden: Die Zinsen dürften steigen. Das US-Finanzsystem
müsse bereinigt werden: Die solventen Spieler müsse man am Leben erhalten,
die konkursreifen Banken sollten fallen gelassen werden. Schulden von
Haushalten und Banken müssen in jedem Fall reduziert werden, und das
notfalls durch „Vertragsbruch“. Die Kreditklemme könnte noch drei Jahre
andauern. Die Aktienmärkte sollten aufgrund weiterhin desaströser
Nachrichten unter Druck bleiben. Der S&P 500 könnte auf 500 bis 600 Punkte
fallen. Banken sind nicht „to big to fail“, sondern „to big to fix“. Man
denke nur an die Schweizer Banken, die im Verhältnis zum Schweizer BIP
überdimensioniert erscheinen. Die Schulden müssten auf die Seite der
Regierungen gebracht werden. Inflation kann keine Lösung sein, so Roubini.
Die US-Sparquote müsse in den Bereich von 6 bis 8 Prozent gebracht werden.
Obama sei positiv für den Markt. Wichtig sei eine nachhaltige
Vertrauensbildung.
Eugen Keller und Mario Mattera, beide Bankhaus Metzler, gehen davon aus,
dass in den USA die Deflation die Oberhand behalten wird. In Euroland
sollte es eher keine Deflation geben. Die Erholung sollte L-förmig
verlaufen. Im zweiten Quartal dürfte es zu einer „Scheinblüte“ kommen, im
dritten Quartal dürfte sich die US-Wirtschaft wieder nach unten bewegen.
Die Rating-Agenturen schauen derzeit intensiv auf die Staaten und deren
Verschuldungsausweitungen. Es dürfte zu weiteren Abstufungen kommen.
Keller und Mattera gehen von einem Gesundschrumpfungsprozess aus, der fünf
bis sechs Jahre andauern dürfte. Eine Reflationierung ist für die USA die
wahrscheinlichste Variante. Für eine Schuldnernation wie die USA sei dies
der beste Weg. In Europa – hier haben die Sparer das Oberwasser - wäre
eine anhaltende Inflation ein schlechter Weg. Deshalb handeln Politiker
gerechtfertigt unterschiedlich. Für den Euro sollte dies eine gute
Ausgangsposition sein. In den USA sind die Hauspreis-Risiken nur noch
gering, in anderen Ländern wie z.B. Spanien sind sie höher. Die Zinsen am
langen Ende dürften noch eine zeitlang niedrig bleiben. Der US-Dollar
dürfte bewusst abgewertet werden, so die Metzler-Experten.
Auch Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank betonte die Risiken. Er
sieht in dem Sterben der freien Märkte auch die Gefahr des Sterbens der
Demokratie. Gold sollte weiter steigen. Für die Aktienmärkte war Folker
Hellmeyer durchaus optimistisch: Sein Ziel für das zweite Halbjahr beträgt
5.700 bis 6.000 Punkte.
Felix Zulauf, Zulauf Asset Management, sieht den Verbraucher in einer drei
bis fünf Jahre andauernden Phase des „Deleveraging“. Während die Banken in
den USA über eine bessere Eigenkapitalausstattung als die europäischen
Banken verfügen, ist in Europa der Konsument besser aufgestellt, so
Zulauf. Die Ausstattung der Banken mit Eigenkapital sei oberstes Gebot.
Die US-Haushalte haben in der Krise einen durchschnittlichen
Netto-Vermögensverlust von 20 Prozent hinnehmen müssen. Dies bewirke eine
auf Jahre andauernde Verhaltensänderung der US-Verbraucher. Der
chinesische Markt bricht ein. Davon betroffenen sind etwa 350 Mio.
Chinesen, die zwischenzeitlich ihren Lebens-standard verbessern konnten.
Bei einfachen Arbeitern ist der Lohn zu 25% variabel, sodass deutliche
Lohnverluste drohen. Dies dürfte für China politische Folgen haben. In der
Schweiz würde eine vernünftige Eigenkapitalaustattung der UBS die Schulden
der Eidgenossenschaft verdreifachen. Zulauf geht aufgrund hoher
Überkapazitäten nicht davon aus, dass die Inflationsraten steigen. Die
Zinsen für US-Staatsanleihen dürften längere Zeit niedrig bleiben, während
die Zinsen für Unternehmensanleihen anziehen sollten. Die Dollar-Nachfrage
sollte hoch bleiben. Der Kurs des Euro/Dollar dürfte in Richtung 1,20
fallen. Für den Euro kommt es aufgrund unterschiedlicher
Staatsver-schuldungen und wirtschaftlichen Entwicklungen innerhalb der
Eurozone zu einer Zerreißprobe. Der Rohstoff-Zyklus ist vorbei. Für den
Ölpreis geht Zulauf von einer Spanne zwischen 30 und 60 US-Dollar aus. Die
Preise für Grundnahrungsmittel könnten steigen. Gold sollte bei einem
Rückschlag in Richtung 700 Dollar nachgekauft werden. Der Glaube an die
Aktien dürfte erschüttert werden. Der S&P 500 dürfte zunächst Richtung 600
fallen, bevor er auf 900 steigen könnte.
Marc Faber sah das Jahr 2007 als Wasserscheide. Spätere Generationen
werden unterscheiden, ob man vor oder nach dem Jahr 2007 geboren ist.
US-Staatsanleihen seien die nächste große Blase, die Platzen wird. Die
geopolitischen Risiken dürften steigen. Das Kreditwachstum dürfte
kollabieren. In der 200jährigen Geschichte des Kapitalismus sei dies der
erste globale „Boom und Bust“.
Fazit: Niemals zuvor wurde in Zürich so negativ gedacht (Das gleiche gilt
übrigens für Davos). Es drängt sich der Eindruck auf, dass jetzt auch der
letzte Experte weiß, was die Stunde geschlagen hat. Das Boot ist randvoll
mit Pessimisten. Staatsbankrott, Enteignung und Interventionismus sind
Schlagworte, die bis zum Beginn der Finanzkrise im Sommer 2007 allenfalls
unter Verschwörungstheoretikern kursierten. Man darf nicht übersehen, dass
die Märkte in den vergangenen 15 Monaten vieles bereinigt haben. Fünfzig
Prozent der Weltaktienkapitalisierung (etwa 30 Bio. US-Dollar) sind
bereits vernichtet. Dennoch: Mit der Übernahme von Banken-Risiken in die
Staatsbilanzen verlagert sich das Risiko auf die Staatengemeinschaft. Da
das weltweite Währungssystem jedoch auf „Staatsvertrauen“ basiert (Fiat-Money),
kann gar nicht deutlich betont werden, wie wichtig es für die Politiker
ist, das Vertrauen in die Fähigkeit der Staatengemeinschaft zur Absorption
dieser Risiken wieder herzustellen. Der Goldpreis ist aktuell ein zuverlässiger
Gradmesser für das Staatsvertrauen. Ihn sollte man im Auge behalten.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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