04. Juli 2009
Inflation als Sonderfall der Geschichte
Der Ölpreis erreichte im Juli 2008 ein Preishoch von 147 US-Dollar (US-Crude).
Bis Mitte Februar 2009 fiel der Ölpreis um 75 Prozent auf 35 US-Dollar.
Diesem starken Pendel-schwung folgte eine Preisverdoppelung auf 72
US-Dollar bis Juni 2009. Aktuell bewegt sich der Ölpreis bei 64 US-Dollar.
Stellt die aktuelle Korrektur lediglich eine Pause im Aufwärtstrend dar
oder der beginnt jetzt eine schwächere Phase?
Dem Ölpreis wohnt ein 30-Jahres-Zyklus inne. Nach diesem war ein Hoch um
das Jahr 2010 zu erwarten.
Derartige Langfrist-Zyklen sind selten exakt. Deshalb gilt: Das Auftreten
eines Hoch-punktes bereits in 2008 ist durchaus mit dem oben geäußerten
zyklischen Gedanken vereinbar.
Historisch ist die Entwicklung des Ölpreises einer der wichtigsten
Taktgeber für die Entwicklung der Inflationsrate. Der starke Fall des
Ölpreises und die Entwicklung des derzeit vorherrschenden deflationären
Umfeldes bedingen sich – eins geht nicht ohne das andere.
Wie stark einzelne Börsen von der Entwicklung des Ölpreises abhängig sind,
zeigen die Verläufe der Börsen-Leitindizes in Russland und Norwegen. Der
russische Leitindex brach mit dem Rutsch des Ölpreises im Herbst 2008
zusammen, konnte sich aber – ebenso wie der Ölpreis – zwischen Februar und
Juni 2008 verdoppeln.
Eine ähnliche Aussage gilt für Norwegen.
Es steht außer Frage, dass Erdöl ein knappes Gut ist. Die Förderung wird
ständig aufwändiger und teurer. Doch Erdöl ist gleichzeitig ein Gut,
dessen Preis sich weitgehend frei an den Spot- und Futuresmärkten
entwickelt. Neben dem politischen Gezerre um den „richtigen“ Preis für
Erdöl folgt der Ölpreis dem ökonomischen Gesetz von Angebot und Nachfrage.
In einer Phase der Rezession müsste die Nachfrage nach Erdöl künstlich
hoch gehalten werden oder das Angebot verknappt werden, um den Ölpreis zu
stabilisieren. Letzteres gelang der OPEC im vergangenen Herbst nicht; die
Marktkräfte waren stärker.
Wenn der Ölpreis tatsächlich Marktkräften folgt, so kann man davon
ausgehen, dass er auch den übrigen Marktgesetzen unterliegt. Eines davon
lautet: „Je höher die Margen, desto interessanter der Markt und desto
umfangreicher sind die Markteintrittsversuche“. Auch andere Unternehmen
wollen den Rahm abschöpfen. Eine solche Entwicklung ist z.B. bei den
unzähligen Nachahmerprodukten des Apple-iPhone zu beobachten.
Der Energiemarkt ist ähnlich, aber die Entwicklungen verlaufen dort
träger. Dafür sind sie nachhaltiger. Ende des 19. Jahrhunderts war
Petroleum derart im Überfluss vorhanden, dass es zu großen Preiskrisen
kam. Erst der Umstand, dass sich der Verbrennungsmotor im frühen 20.
Jahrhundert gegen den Elektromotor durchsetzen konnte und Henry Ford die
automobile Massenfertigung begann, machte aus Erdöl wieder ein „kostbares
Gut“. Der Verbrennungsmotor in all seinen Varianten eroberte alle
Kontinente. Die letzte größere Eroberung fand in China statt, wo sich das
Straßenbild in den vergangenen 20 Jahren um 180 Grad verändert hat –
damals dominierte das Fahrrad, heute das Auto.
Im Jahr 1980 erreichte der Ölpreis mit 40 US-Dollar einen Hochpunkt, der
erst ein Viertel-Jahrhundert später überwunden werden konnte. Ab 1982 kam
es zu einem starken Börsenboom in den Industrieländern. Das kam nicht von
ungefähr. Der stagnierende Ölpreis sorgte für ein Disinflationsszenario
(niedrige Inflationsrate). Ein Disinflationsszenario ist für die
Aktienmärkte die beste aller Welten. Die Kredite sind verhältnismäßig
preiswert und die Investitionstätigkeit wird allgemein angeregt, ohne dass
steigende Energiepreise und/oder eine hohe Inflationsrate das Wachstum
konterkarieren.
Auch wenn es gegen Ende der 70er /Anfang der 80er Jahre durchaus
Bemühungen gab, Energie einzusparen, wirkte die Börsenentwicklung diesen
Anstrengungen entgegen. Speziell in den USA wurde der Anteil der
Energiekosten im Vergleich zum stetig wachsenden verfügbaren Einkommen
immer geringer. Warum also nach Alternativen zum Ölmonopol suchen, wenn
ausreichend Erdöl zu einem akzeptablen Preis vorhanden ist?
Der stetige Anstieg des Ölpreises von Anfang 2002 bis Mitte 2008 führte zu
einer verstärkten praktischen Erprobung alternativer Antriebs- und
Energiekonzepte. Man könnte diese Zeit eingeschränkt mit dem Zeitraum von
Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre vergleichen. Doch im
Gegensatz zu damals deutet sich aktuell kein disinflationärer
Aktienmarktboom an. Im Gegenteil: Die Märkte drohen zu stagnieren, die
Finanzierung stockt und die Sparquote steigt. Ein Ölpreis auf einem Niveau
von 70 US-Dollar ist für ein solches wirtschaftliches Umfeld zu teuer.
Dies erklärt, warum die Suche nach alternativen Energiekonzepten im
Gegensatz zu den 80er Jahren jetzt nicht abbricht, sondern sogar noch
verstärkt wird. Auch wenn die Durchdringung der Landschaft mit Windkraft-
oder Solaranlagen selbstverständlich auch Nachteile hat, so ist ein Zug
ins Rollen gekommen, der kaum noch aufzuhalten ist. Die Entwicklung von
Hybrid- und Elektromotoren ist der vorerst letzte Schritt auf dem Weg nach
neuen Geschäftsmodellen, die sich abseits vom Erdöl gruppieren wollen.
Lehnt man sich zurück und schaut sich die Entwicklung der letzten zehn
Jahre im Zeitraffer an, so erscheint der Zug in Richtung alternative
Energien in voller Fahrt. Man denke nur an den Plan, mittels
Solarkraftwerken in Nordafrika Strom für Europa zu generieren („Stichwort:
Desertec“). Auch wenn hier noch nicht alle Fragen beantwortet sind,
stellen wir uns die Frage, was ist, wenn die Anfangsinvestionen in Solar-
und Windkraftwerke getätigt sind. Ist es dann nicht so wie im Falle von
Atomkraftwerken, deren Bau viel Geld verschlang? Jetzt aber – da die
Bauwerke abgeschrieben sind - wird der Strom preiswert produziert. Wäre
es mit einem Projekt Desertec oder auch mit den vielen Photovoltaik-Lagen
auf den Dächern nicht ähnlich? Sicher, es wären Ersatzin-vestitionen zu
tätigen. Aber der große Inflationsschub ginge von solchen Anlagen nicht
mehr aus.
„Energie ist kostbar“. Dieser einfache Satz beschreibt den „Business Case“
der Erdöl produzierenden Länder (und Unternehmen). Was aber wäre, wenn
Energie nicht mehr kostbar wäre? Russland, die Golfstaaten und auch
Venezuela stünden vor größeren Problemen. Profitieren würden die bisher
auf den Erdölimport angewiesenen Industrienationen wie die USA, Europa
oder auch Japan. Aber auch die Schwellenländer China und Indien würden
dadurch Ressourcen einsparen.
Wie der folgende Chart zeigt, hat sich der US-Konsumentenpreis-Index (CPI)
zwischen 1800 und etwa 1950 in einer Handelsspanne bewegt. Erst nach dem
zweiten Weltkrieg begann der Siegeszug der Inflation.
Möglicherweise bleibt der ölpreisbedingte Inflationsanstieg der
vergangenen 60 Jahre ein Sonderfall der Geschichte. Der US-CPI könnte
abermals in einer Handelsspanne ein-pendeln, wenn die alternativen
Energien an Raum gewinnen. Null-Inflation als Normalfall?
Möglicherweise war der abrupte Erdöl-Preisverfall der zweiten Jahreshälfte
2008 der Ausdruck einer sich verändernden Marktsituation. Das Monopol des
Rohstoffs Öl wird langsam, aber sicher eingekreist. Wir glauben, dass die
relative Bedeutung von Öl in der Energieversorgung über lange Jahre hin
abnehmen wird. Unter diesen Voraussetzungen erscheint ein Comeback des
Ölpreises in Richtung Juli-2008-Hoch äußerst fraglich. Der oben
beschriebene 30-Jahres-Öl-Zyklus dürfte seinen Zenit überschritten haben.
Dies ist ein Beitrag zur laufenden Inflations-/Deflationsdebatte. Wir
finden, dass die monetären Aspekte zwar wichtig sind, aber dass in dieser
Debatte zu wenig auf den technischen Fortschritt geachtet wird. Letzterer
wirkt der Entstehung von Inflation entgegen. Verfolgen Sie die
Finanzmarktsituation in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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