Der Wellenreiter
                          Wirtschaftsthemen der Zeit

 

   

09. September 2009
Wahl-Zwischenruf: Kurskorrekturen dringend erforderlich

Am 27. September wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Im Gegensatz zu Ländern wie USA, Frankreich und Großbritannien sind bei uns gefestigte demokratische Strukturen erst nach 1945 nachweisbar. Das Kaiserreich ging 1918 mit dem verlorenen ersten Weltkrieg unter, die Weimarer Republik war keine gefestigte Demokratie. Das „Dritte Reich“ war eine Diktatur. Die Westdeutschen mussten Demokratie erst mühsam lernen. In Ostdeutschland blieb das Wort Demokratie (trotz „Deutscher Demokratischer Republik“) bis zur Wende ein Fremdwort.

 

In Westdeutschland schien sich zunächst – ähnlich wie in den USA – ein stabiles Zwei-Parteien-System durchsetzen zu wollen. CDU/CSU und SPD vereinigten in den 70er Jahren gemeinsam mehr als 90 Prozent aller Stimmen bei Bundestagswahlen auf sich.

 

 

Doch seit den 70er Jahren erodierten die Anteile von Union und SPD. Seit 2002 beschleunigt sich der Verfall. Aktuell vereinigen beide nur wenig mehr als die Hälfte der Wählerstimmen auf sich (2009: Umfrage Forsa).

 

Ein Zwei-Parteien-System ist ein wünschenswerter Zustand, weil sich klare Mehrheiten ohne „Koalitionsgeklüngel“ herausbilden können. Rücksichten gilt es nur innerhalb der Parteien, nicht aber auf Dritte zu nehmen. Als eine Voraussetzung für ein stabiles Zwei-Parteien-System gilt, dass den Parteien die Erneuerung aus sich selbst heraus gelingt.

US-Demokraten und Republikaner machen das sehr geschickt: Wahlen sind „nationale Schlachten“. Im Prinzip ist der Wahlkampf (auch die innerparteilichen Vorkämpfe) als Zweier-Boxkampf mit Fortsetzungsgeschichte initiiert. Das Wahlvolk hat die Möglichkeit, sich auf zwei Figuren zu konzentrieren, was die Entscheidung einfacher macht und gleichzeitig Randfiguren keine Chance lässt. In Deutschland kommen Bürgermeisterwahlen diesem „Persönlichkeits-Fight-Gedanken“ am nächsten. Ein weiterer Vorteil eines solchen Systems: Diese unsäglichen „Großen Koalitionen“ - die die Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg bereits zweimal über sich ergehen lassen mussten - wären nicht möglich.

 

Die Umfragen im Vorfeld der Bundestagswahlen zeigen eine in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nie dagewesene Fragmentierung der Parteienlandschaft.

 

 

 

Angesichts der schlechten Erfahrung, die Deutschland mit einem Parteien-Gemisch in der Weimarer Republik gemacht hat, ist es erschreckend zu sehen, dass unser Land auf dem besten Weg ist, diesen Fehler zu wiederholen.

 

 


Zwischen 1928 und 1933 wurde die bürgerliche Mitte pulverisiert. Die NSDAP errang im März 1933 43,9 Prozent aller Wählerstimmen. 1933 bewegte sich die Arbeitslosenquote in Deutschland bei 32 Prozent.

 

Die aktuelle Arbeitslosenquote ist mit offiziellen 8,9 Prozent weit von jenen Werten entfernt. Und eigentlich – so zeigt der nächste Chart – ist es für die Bürger nicht entscheidend, ob jetzt auch noch eine fünfte oder sechste Partei (z.B. die Piratenpartei) eine wählbare Alternative darstellt. Ordnet man CDU/CSU und FDP dem „bürgerlichen Lager“ und SPD, Linke sowie Grüne dem „Linken Lager“ zu, so erhält man über die vergangenen 50 Jahre eine relativ stabile Beziehung zwischen den beiden Lagern (nächster Chart).

 

 

Der Chartverlauf zeigt es: (West)-Deutschland war bis 1990 deutlich bürgerlich geprägt. Mit der Wiedervereinigung kippte diese Stabilität: Im vereinigten Deutschland wurde das Linke Lager gleichwertig. Welches der beiden Lager sich bei der bevorstehenden Bundestagswahl prozentual durchsetzen kann, ist noch völlig offen. Aber wir stellen fest, dass sich die Komplexität eines Wahlkampfs deutlich reduzieren ließe, würden die Lager gleichzeitig als Partei fungieren.

 

Es ist grausam, in Talkshows fünf Spitzenvertretern und einem Mehrfachen an Zweit-personal zuhören zu müssen. Macht es doch wie in den USA. Inszeniert einen Zweier-„Fight“. Spitzt den Wahlkampf auf Personen zu, die wirklich Masse hinter sich haben. Dazu braucht es zwei Spitzenvertreter, die jeweils mindestens 40 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Wir wollen eine spannende, zugespitzte Auseinandersetzung, nicht aber einen fragmentierten Splitterparteienwahlkampf.

 

Ich plädiere für die freiwillige Rückkehr zum Zwei-Parteien-System. Oder wenn Ihr das nicht wollt, zur Einführung der 25-Prozent-Hürde per Volksentscheid. Nennt Euch „Bürgerliche“ und „Linke“, nennt Euch „Konservative“ und „Fortschrittspartei“, oder sonst wie. Schafft - nach der Wiedervereinigung unseres Landes - auch die Vereinigung der Parteien!

 

Vielleicht hilft dieses Gleichnis: Momentan tut Bayern München nur das Nötigste, der VfL Bochum rennt verzweifelt an, hat aber nicht die spielerischen Mittel. Energie Cottbus mischt ab und an die Landschaft auf, kann aber nicht wirklich etwas reißen.

 

Wir können es nicht mehr sehen. Wir wollen Weltklasse-Spieler, wir wollen ein elektrisiertes, euphorisches Stadion, wir wollen Real Madrid gegen FC Barcelona, und das bei jeder Bundestagswahl!

 

Und wir wollen kein zweites Weimar.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

P.S. Ein kostenloses 14tägiges Schnupperabonnement erhalten Sie unter www.wellenreiter-invest.de
 

Kostenloses Abonnement des Wochenend-Wellenreiters: Bitte hier klicken, E-Mail-Adresse eintragen und absenden.

Alle Wochenend-Wellenreiter seit dem Jahr 2003 sind im Archiv verfügbar.


 

 

 



Robert Rethfeld
 

 

 

Impressum/
Datenschutz/
rechtl. Hinweise/
Haftung/
Disclaimer