12. September 2009
Teuerung voraus?
Man spricht landläufig von einer Teuerung, wenn die Preise für Waren, die
Teil eines vorab definierten Warenkorbs sind, steigen. Genauso spricht man
von einer Verbilligung, wenn die Preise für Waren fallen. Der Preis des
Warenkorbs bildet idealerweise die Lebenshaltungskosten ab. Ich habe
bewusst nicht die Begriffe Inflation und Deflation gewählt, weil klar ist,
dass dafür die unterschiedlichsten Definitionen existieren (z.B. die
Ausweitung der Geldmenge ist Inflation etc.).
Die US-CPI (Consumer-Price-Index) soll die Lebenshaltungskosten eines
typischen Städtebewohners abbilden. Robert Shiller hat die
US-Lebenshaltungskosten bis 1871 zurückgerechnet, und für die Zeit zurück
bis 1800 gibt es stimmige Schätzwerte. So lässt sich die US-CPI bis ins
Jahr 1800 zurückverfolgen (nächster Chart).
Es ist zu erkennen, dass sich die US-Lebenshaltungskosten im Zeitraum
zwischen 1800 und 1900 in einer Handelsspanne bewegten, die eher
deflationär geprägt war. Lediglich in Kriegszeiten (US-Sezessionskrieg
1861 – 1865) stiegen die Lebenshaltungskosten. In der ersten Hälfte des
vergangenen Jahrhunderts sorgten der erste und der zweite Weltkrieg für
Teuerungssprünge in den USA.
Nach dem Verlauf der 150 Jahre zuvor hätte man erwarten müssen, dass sich
die Preisentwicklung nach der Beendigung des zweiten Weltkriegs beruhigt.
Eigentlich hätte jetzt – ähnlich wie nach dem ersten Weltkrieg oder nach
dem Sezessionskrieg – eine zehn bis zwanzigjährige deflationäre Phase
eintreten müssen. Doch dazu kam es nicht. Dafür werden Gründe genannt
(z.B. der weltweite Wirtschaftsboom zwischen Anfang der 40er und Anfang
der 70er Jahre), die zwar zutreffen, aber nicht an den Kern des Geschehens
heranreichen. Die Kernaussage ist: Die Große Depression hat das gewohnte
Muster zerstört. Entscheidend ist häufig nicht das Ereignis selbst,
sondern die Reaktion auf ein Ereignis. Man sagt, Angst ist ein schlechter
Ratgeber. Angst war der Ratgeber für Leute wie Keynes. Dieser erfand ein
von der FED kopiertes Reaktionsmuster. Die Philosophie der US-Zentralbank
lautet seither: Inflation lässt sich kontrollieren, Deflation nicht.
Deshalb muss alles getan werden, damit eine Volkswirtschaft nicht in eine
länger anhaltende Phase fallender Lebenshaltungskosten eintaucht. Die
Methode: Die Märkte werden so lange mit Geld geflutet, bis die Wirtschaft
aus der Talsohle raus ist.
Das Beispiel Japan wurde in den vergangenen Jahren immer wieder als
Mustervorlage für eine Deflation gebracht. Doch taugt die
Arbeitslosenquote in Japan von fünf Prozent oder weniger nicht als
Vorbild. Diese Art Deflation ist mit der großen Depression (bis zu 25
Prozent Arbeitslosigkeit) nicht zu vergleichen. In Japan leben etwa 25
Dollar-Milliardäre, und das trotz jahrzehntelang stagnierendem BIP. Warum
wird die Deflation durch die Zentralbanken in Sippenhaft genommen, wenn
sie sich in derart unterschiedlichen Ausprägungen zeigt?
Die Geldflutung bewirkte, dass Amerikaner und Europäer sechzig Jahre lang
auf fallende Lebenshaltungskosten warten mussten. Aldi und Lidl senken die
Preise um 20 Prozent: Den Verbraucher freut es. Die Arbeitslosenstatistik
weist für Deutschland 3,5 Mio. Arbeitslose aus, was einer AL-Quote von 8,3
Prozent entspricht. Noch 2005 lag diese Quote bei 13 Prozent.
Ist Deflation in jedem Fall eine Katastrophe? Man sollte eine solche Frage
nicht mit einem pauschalen Reflex beantworten. Eine deflationäre
Entwicklung bewirkt das, was kein Kyoto-Protokoll erreichen kann: Einen
Rückgang des CO2-Ausstoßes in den USA (nächster Chart).
Leider werden Amerikaner und Europäer bald keine Gelegenheit mehr haben,
weitere Erkenntnisgewinne aus der Deflation zu ziehen, denn die Teuerung
kommt zurück. Spätestens im Dezember dürfte sich die Inflationsrate in den
USA wieder im Plus befinden. Das ist dem sogenannten „Basiseffekt“
geschuldet. Der scharfe Einbruch der US-CPI zwischen September und
November 2008 und die anschließende langsame Erholung führen dazu, dass
sich die aktuellen Zahlen bald wieder über den Zahlen des Vorjahresmonats
befinden werden. Die Kurve dürfte dann so aussehen (nächster Chart):
Der Bounce dürfte von Oktober bis Dezember laufen (blauer Kreis). Die
Kernrate (rote Linie; ohne Energie und Lebensmittel) hält sich weiterhin
im Plusbereich. Dies zeigt, dass vor allen Dingen der drastische Einbruch
der Rohstoffpreise im vergangenen Jahr die Ursache für die Deflation ist.
Wie weit kann die US-Inflationsrate steigen? Allein der Basiseffekt pusht
die Rate von minus zwei auf plus ein Prozent. Alles was darüber hinaus
geht, muss durch einen echten Anstieg der Lebenshaltungskosten ausgewiesen
werden. Die Erfahrung zeigt, dass die Preise für Öl und Kupfer gute
Inflationsindikatoren sind. Erdöl bewegte sich im Rahmen seines
hundertjährigen Trendkanals im vergangenen Juli am oberen Ende (siehe
Pfeil nächster Chart).
Gestern rutschte der Ölpreis (Crude) wieder unter die 70-Dollar-Marke.
Eine ausgeprägte saisonale Schwäche des Ölpreises zwischen Oktober und
Februar lässt erwarten, dass sich der Preis für Öl in den kommenden
Monaten in Richtung 50-Dollar-Marke bewegen wird. Das bedeutet, dass vom
Ölpreis in den kommenden Monaten keine Unterstützung des oben genannten
Basiseffekts zu erwarten ist.
Der folgende Chart zeigt, dass sich Kupfer im Rahmen seines Trendkanals
bewegt. Auch hier war das obere Ende des Trendkanals Mitte 2008 erreicht.
Seit Jahresbeginn 61,8% seiner Abwärtsbewegung gutgemacht. Auf dem
Tageschart – hier nicht erkennbar – lauern wichtige Widerstände. Die
Frage, die sich diejenigen, die eine Hyperinflation auf USA zukommen
sehen, beant-worten müssen, ist die folgende: Kann es dem Ölpreis
gelingen, aus seinen Langfrist-Trendkanal nach oben zu überwinden? Kann
beispielsweise die 1000-Dollar-Marke angelaufen werden? Schafft Kupfer das
gleiche Kunststück? Eine Hyperinflation ohne deutlich steigende
Rohstoffpreise (in US-Dollar) ist schlichtweg nicht vorstellbar.
Betrachtet man die Entwicklung der US-Inflationsrate seit 1900
(prozentuales Wachstum der CPI gegenüber dem Vorjahresmonat) mit Hilfe
eines langfristigen gleitenden Durchschnitts, so ist zu erkennen, dass er
seit Beginn der 80er Jahre laufende Abwärtstrend weiterhin Bestand hat.
Selbst wenn man für den Zeitraum von 1980 bis heute die
Inflationsstatistik von „Shadow Stats“ zugrunde legen würde, würde sich
ein – wenn auch nicht so ausgeprägter – Abwärtstrend ergeben.
Fazit: Eine Hyperinflation deutet sich in der Regel Jahre vorher durch
steigende Inflationsraten an. In Deutschland stieg die Inflationsrate – im
Vorfeld der Hyperinflation von 1923 - bereits seit 1914. Auch in
Argentinien und Brasilien gab es lange Vorläufe.
Hingegen zeigt der Inflationstrend in den USA seit fast 30 Jahren nach
unten. Erdöl und Kupfer zeigten einen kräftigen Bounce, aber das reicht
gerade einmal – in Zusammen-arbeit mit dem Basiseffekt -, die
Inflationsrate auf knapp über Null steigen zu lassen. Wir halten die
Gefahr einer Doppel-Dip-Rezession mit wieder fallenden Inflationsraten (=trendbestätigend)
derzeit für größer als die Gefahr einer Hyperinflation. Verfolgen Sie die
Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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