19. September 2009
Gewaltige Konjunkturhausse voraus?
Die Wirtschaftskrise ist laut OECD vorbei. Gleiches hört man aus dem Mund
des Fed-Chefs Bernanke. Und nicht nur das: Indikatoren wie der
ECRI-Leading-Index scheinen eine gewaltige Konjunktur-Hausse für die USA
vorher zu sagen. Niemals zuvor seit seiner Existenz erreichte die
Wachstumsrate des Indikators mit 22,9 Prozent einen derart hohen Wert wie
aktuell (folgender Chart).
Stehen die Weltmärkte demnach vor einem gigantischen Comeback? Die
Aktienmärkte haben seit März 2009 einen deutlichen Anstieg vollzogen. S&P
500 und DAX konnten knapp 60 Prozent zulegen, der Banken-Index stieg um
160 Prozent und der XAU-Goldminen-Index gar um 170 Prozent.
An dieser Stelle sollte man die Frage stellen, ob dieser Anstieg nicht
bereits einen Großteil der laufenden konjunkturellen Erholung vorwegnimmt.
Der ECRI-Leading-Index hat bisher 55 Prozent seiner Abwärtsbewegung wieder
aufge-holt, der Dow Jones Index liegt hier bei etwa 45 Prozent. Damit
zeigt der Dow Jones Index an, dass die Aktienmärkte auf der Höhe der Zeit
sind. Man sollte nicht den Fehler machen, ECRI und Dow Jones Index absolut
gleich setzen zu wollen. In 2003 erholte sich der ECRI ebenfalls stärker
als der Dow Jones Index. Eine weitere Frage ist, ob das zyklische
Erholungspotential ausreicht, um die alten Höhen wiederzugewinnen und dazu
noch eine Schippe draufzulegen. Solche Muster konnten nach dem zweiten
Weltkrieg regelmäßig beobachtet werden.
Bis vor kurzem galt der amerikanische Verbraucher als „unkaputtbar“. Wie
der folgende Chart zeigt, ist der Absturz der realen Einzelhandelsverkäufe
im Jahr 2008 derart drama-tisch, dass er auf das Niveau des Jahres 1999
zurückfiel.
In den Jahren 1973/74 und 1979 bis 1983 kam es zu a,b,c – Reaktionen
(siehe Kreise obiger Chart). Das bedeutet, dass nach dem ersten Einbruch
eine nicht nachhaltige Erholung einsetzte, der ein zweiter Einbruch der
Einzelhandelsverkäufe folgte. Ein ähnliches a,b,c – Muster wurde in den
30er Jahren im Bezug auf das Wachstum der US-Industrieproduktion
registriert (nächster Chart).
Damals brach die Industrieproduktion vom Sommer 1929 bis zum Herbst 1930
ein. Sie erholte sich anschließend über einen Zeitraum von einem knappen
Jahr, bevor ab Mitte 1931 ein zweiter Einbruch erfolgte. Dieser erreichte
Mitte 1932 sein finales Tief. Was spricht dafür, das sich die
Weltwirtschaft weder in einer V-, W-, J-, U- oder sonstigen Erholung
befindet, sondern in einer a,b,c-förmigen Abfolge?
Seit 1970 ist die US-Kapazitätsauslastung in ihrer Tendenz fallend.
Reichte die Auslastung im Jahr 1973 noch an die 90-Prozent-Marke heran, so
erreichten die Spitzen in den 80er und 90er Jahren nur noch die
85-Prozent-Marke.
In dieser Dekade wurden zwei scharfe Einbrüche registriert. Der erste
Einbruch (2000 bis 2002) konnte nicht mehr vollständig aufgeholt werden,
der zweite Einbruch (2008/09) führte die Kapazitätsauslastung in den
Bereich unter 70 Prozent zurück. Dort wird sie nicht bleiben, aber es ist
fraglich, ob die Werte aus den 70er oder 80er Jahren in den kommenden
Jahrzehnten jemals wieder erreicht werden können. Es sein denn, die
US-Industriekapazitäten werden reihenweise demontiert. Betrachtet man den
folgenden Chart der US-Industrieproduktion seit 1920, so könnte man sogar
zu dem Schluss kommen, dass – nach rasanten Sprüngen der
Industrieproduktion in den 30er und 40er Jahren und eines sich seit den
70er Jahren stets abflachenden Wachtums – das Ende des Wachstums um die
Jahrhundertwende herum erreicht wurde. Jedenfalls bewegt sich die
US-Industrieproduktion auf dem Niveau des Jahres 1999.
Zehn Jahre Stagnation, das ist historisch betrachtet einmalig. In den 30er
Jahren kam es zwar auch zu einem Einbruch, aber bereits im Jahr 1937
konnte der Stand von 1929 leicht übertroffen werden. Allerdings zog erst
der Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg die US-Industrieproduktion
aus ihrem Loch heraus. Klar ist, dass die US-Industrieproduktion für das
US-BIP eine immer kleinere Rolle spielt (derzeit etwa 20 bis 25 Prozent).
Man könnte hier einiges durch die Verlagerung von Industriearbeitsplätzen
in die Schwellenländer erklären.
Eine Größe, die für die US-Wirtschaft in ihrer Gesamtheit eine große Rolle
spielt, ist – neben dem oben genannten US-Einzelhandelsektor – der Zuwachs
der Arbeitsplätze im Industrie- und Dienstleistungssektor („Nonfarm
Payroll“). Nachfolgend stellen wir die Nonfarm-Payroll-Kurve in absoluter
Form dar (roter Verlauf). Die Zahl der Arbeitsplätze wuchs in den USA
stetig mit einer bemerkenswerten Konstanz.
Diese Konstanz endete jedoch zu Beginn dieser Dekade. Wir haben eine
Trendgerade eingezeichnet (blau), die dies veranschaulicht. Das
US-Arbeitsplatzwachstum hat sich klar verlangsamt.
Fazit: Die aktuelle Erholungsphase dürfte die Form einer ordentlichen
Zwischenerholung annehmen. Dabei können Wachstumsraten im Vergleich zum
Vorjahresquartal erzielt werden, die sich durchaus sehen lassen können.
Insbesondere das Q1 2010 sollte – allein wegen des Basiseffekts – als
herausragendes Quartal in die Annalen eingehen. Dies ändert aber nichts
daran, dass die Gefahr einer rezessiven Phase in a,b,c - Form ohne Zweifel
vorhanden ist. Die Wachstumstrends für die USA, die ihren Ursprung in dem
gewaltigen Transmissionsmechanismus 2. Weltkrieg hatten, laufen langsam
aber sicher aus. Neue Impulse sind nicht in Sicht – diese werden in
anderen Weltregionen gesetzt. Mittelfristig sind in den USA schmerzhafte
Anpassungsprozesse erforderlich, die sich mit dem Wort „Deleveraging“ am
besten beschreiben lassen. Dieser Schrumpfungsprozess gilt nicht nur für
die Verschuldung privater und öffentlicher Haushalte, sondern auch für
Fabriken und Einkaufszentren.
In unserem Ausblick für das Jahr 2009 zeigten wir den folgenden Chart und
schrieben, dass die wirtschaftliche Dynamik, dies sich seit der
industriellen Revolution entfalten konnte, der Vergangenheit angehört.
Verfolgen Sie die Entwicklung der
Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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