10. Oktober 2009
Dow 10.000 - die große runde Zahl
Der Dow Jones Index hat in seiner Geschichte jahrzehntelange Kämpfe mit
großen, runden Zahlen ausgefochten. Mit großen runden Zahlen sind genau
drei gemeint: Die 100-, die 1.000- sowie die 10.000 Punkte-Marke.
Das erste Viertel des 20. Jahrhunderts stand finanztechnisch ganz im
Schatten des Kampfes mit der 100-Punkte-Marke. Am 12.01.1906 - drei Monate
vor der weitgehenden Zerstörung San Franciscos durch ein Erdbeben mit der
Stärke 7,8 - übertraf der Dow Jones Index zum ersten Mal 100 Punkte. Die
Freude währte nur etwa einen Monat; der Markt begann eine dramatische
Abwärtsbewegung, die in der Panik von 1907 endete. Die New Yorker Börse
konnte damals nur durch das beherzte Eingreifen J.P. Morgans vor dem
Zusammenbruch gerettet werden.
Im September 1909, ein Jahr nach Produktionsbeginn des Model T durch Henry
Ford, fand der nächste Besuch der 100-Punkte-Marke statt. Auch dieser
währte nur kurz. Erst sieben Jahre später, getrieben durch die Gewissheit
des Sieges der Alliierten, drückte sich der Markt in einer zweijährigen
Rallye wieder über diese Linie.
Diesmal war der Aufstieg nachhaltiger. Während die großen, blutigen
Schlachten des ersten Weltkriegs tobten (u.a. Verdun), bewegte sich der
Dow von September bis Dezember 1916 oberhalb der 100-Punkte-Hürde. Am
21.11.1916 wurde mit mehr als 110 Punkten ein neues Allzeithoch markiert.
Doch auch dies war nicht das Ende des Bärenmarktes. Die Preise purzelten
nochmals, bevor sie 1919 zu einem neuen Höhenflug ansetzen sollten.
Die Friedenskonferenz in Versailles hatte begonnen, die Alliierten –
besonders Frankreich - erhofften sich einen Nachkriegsboom durch deutsche
Zahlungen. Am 3.11.1919 wurde mit 119,62 Punkten ein neues Allzeithoch
gesetzt. Doch Rezession und Inflation und Revolution bestimmten die
Nachkriegswirren; bis Mitte 1921 verlor der Dow fünfzig Prozent an Wert.
Nach einem weiteren Überwindungsversuch im Jahr 1923 erfolgte das
nachhaltige Zurücklassen der großen runden Zahl erst Mitte des Jahres
1924; von dort sollten die Kurse sich innerhalb der nächsten fünf Jahre
beinahe vervierfachen.
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Der nächste Kampf des Dow Jones Index mit eine großen runden Zahl begann
im Jahr 1966. Der Nachkriegs-Bullenmarkt hatte sich erschöpft; im Jahr
zuvor waren die ersten US-Truppen nach Vietnam entsendet worden. Revolten
und Proteste an den Universitäten begannen, die 1968 ihren Höhepunkt
erreichen sollten. Die Beatles und Stones erreichten Mitte der sechziger
die ersten großen Erfolge ihrer Karriere.
Am 09.02.1966 wurde der Dow kurz vor dem Erreichen der 1.000-Punkte-Marke
bei 995,15 Punkten gestoppt. Auch der zweite Überwindungsversuch
scheiterte. Der Dow musste am 3.12.1968 bei 985,21 Punkten die Segel
streichen. Einen Monat zuvor war Richard Nixon in einer der knappsten
Entscheidungen der Geschichte zum Präsidenten der USA gewählt worden – im
Jahr 2000 sollte sich ein ähnliches Drama wiederholen.
Die 1.000-Punkte-Marke wurde zum ersten Mal am 14.11.1972 überwunden.
Knapp zwei Monate später – am 11.01.1973 - wurde mit 1051,70 Punkten ein
Hoch erreicht, das erst zehn Jahre später übertroffen werden sollte. 1973
war das Jahr des Watergate-Skandals und der Ölkrise. In Deutschland kam es
1972 zum einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen den damaligen
Bundeskanzler Willy Brandt; das Votum scheiterte. Ein gewaltiger Rutsch
der weltweiten Aktienmärkte folgte, der den Dow bis Ende 1974 um fast 50
Prozent gegenüber dem Hoch von 1973 fallen ließ. Der „Tod der Aktien“
wurde in diversen Magazinen verkündet. Das hielt den Dow nicht davon ab,
die 1.000-Punkte-Marke bereits 1976 wieder anzugreifen.
Der Höchststand wurde am 21.04.1976 bei 1.011,02 Punkten registriert. Die
USA feierten in jenen Jahr ihr 200-jähriges Bestehen, Nord- und Südvietnam
wurden zu einem kommunistischen Land vereint; Steve Jobs und Steve
Wozniak gründeten die Firma Apple Computer; ein Unternehmen, das auf den
Namen „Microsoft“ hört, wird in New Mexiko in das Firmenregister
eingetragen; und der Erdnuss-Farmer Jimmy Carter wird zum US-Präsidenten
gewählt.
Der nächste Überwindungsversuch startete im Jahr 1981. Doch auch dieses
Mal konnte der Dow die große runde Zahl nicht nachhaltig überschreiten. Am
27.04.1981 wurde mit 1024,05 Punkten ein Höchststand registriert. Der in
den siebziger Jahren begonnene Goldrausch war inzwischen vorbei, doch die
starke Inflation wütete weiter. Ronald Reagan trat sein Amt als
US-Präsident an; er und der Papst wurden später bei Attentaten verletzt.
Der Space Shuttle startete zu seinem ersten Flug.
Im Herbst 1982 war es endlich soweit, der Dow überwand die große runde
Zahl und schaute nicht mehr zurück; selbst ein Crash fünf Jahre später
konnte den Index bis zum Jahr 2000 nicht aufhalten.
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Nachfolgend sind beide beschriebenen Perioden auf einem Chart abgetragen.
Es zeigt nochmals den gravierenden Widerstand der großen runden Zahl – die
100 bzw. 1.000 Punkte-Marke ist durch die rote Linie gekennzeichnet.
Zweites liefert es einen weiteren Beweis für die Synchronität von
Bärenmärkten. Die Verläufe sind nicht deckungsgleich, aber ähnlich.
Es ist auch durchaus interessant, dass ein Crash jeweils fünf Jahre nach
der finalen Überwindung der großen runden Zahl stattfand (1924 – 1929;
1982 – 1987).
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Die nächste große runde Zahl ist die 10.000-Punkte-Marke. Nach allem, was
wir jetzt wissen, erscheint sie als ein gewaltiges Hindernis, dessen
Überwindung nicht innerhalb von wenigen Jahren Geschichte sein wird.
Findet der Verlauf analog den historischen Vorbildern statt, werden
wiederum 16 bis 18 Jahre vergehen, bevor diese Marke endgültig überwunden
sein wird.
Der Dow übersprang die 10.000-Punkte-Marke zum ersten Mal am 29.03.1999.
Der Höchststand wurde am 14.01.2000 mit 11.722,98 Punkten erreicht. Eine
Überschreitung von 11,7 Prozent ist durchaus nichts Ungewöhnliches, wie
uns die historischen Vorbilder zeigen.
Ungewöhnlich ist schon eher die Dauer, mit der sich der Dow oberhalb der
10.000-Punkte-Marke halten konnte. Die große runde Zahl des Nikkei ist
übrigens die 20.000-Punkte-Marke. Es wird denjenigen auffallen, die sich
ein Nikkei-Chart der neunziger Jahre ansehen.
Fazit: Die große runde Zahl lässt sich nicht so einfach überwinden; sie
wehrt sich tapfer. Ich gehe davon aus, dass noch viele Kämpfe mit dieser
Marke bestritten werden müssen, bevor einen nachhaltige Überwindung
stattfinden kann.
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Vor sechs Jahren – am 12. Dezember 2003 – veröffentlichten wir diesen
Wochenend-Wellenreiter zum ersten Mal unter dem Titel:
„Die große runde Zahl“. Drei Jahre später – erschien er in der
Mai-2006-Ausgabe des Smart Investors in abgewandelter Form in er Rubrik
„Prinzipien des Marktes“. Jetzt – wiederum sind drei Jahre vergangen -
ist die 10.000 Punkte-Marke ein weiteres Mal zum Greifen nahe. Wir
rechnen mit einer Überwindung, die aber wiederum nicht nachhaltig sein
sollte. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer
handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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