Spezial-Wellenreiter vom 15. Februar 2010
Spätrömische Dekadenz in Deutschland?
Die von FDP-Chef Westerwelle angestoßene Umverteilungsdebatte wirft die
Frage auf, ob sich Deutschland in einem Stadium „spätrömischer Dekadenz“
befindet. Diese Debatte wird zum Teil mit aberwitzigen Argumenten geführt.
Wir wollen nachfolgend beschreiben, was damals in Rom wirklich vor sich
ging. Anschließend wollen wir die entsprechenden Schlüsse daraus ziehen.
Der britische Historiker Toynbee analysierte in seinem Grundlagenwerk
„Studie zur Weltgeschichte“ sechsundzwanzig Hochkulturen und verglich
Gemeinsamkeiten der Aufstiegs- und Abschwungphasen. Er kam zu dem Schluss,
dass die jeweiligen Aufstiegsphasen von einer enormen Kreativität im
Umgang mit physischen und sozialen Herausforderungen begleitet und
begünstigt waren. Für den Zusammenbruch von Hochkulturen nannte Toynbee
drei Anzeichen: erstens den Verlust kreativer Energie der kreativen
Minorität, zweitens den Entzug der Unterstützung der regierenden
Minderheit durch das Volk und drittens den daraus resultierenden Verlust
sozialer Einheit. „Statt Siegen begegnen wir Niederlagen, ungelösten
Aufgaben, an denen die Gesellschaft zugrunde geht“, so Toynbee.
Der amerikanische Politikwissenschaftler Bruce Bartlett beschreibt in
seinem 1994 erschienenen Aufsatz „How excessive Government killed ancient
Rome“
(http://tinyurl.com/og8gt
)
Entwicklungen, die uns nicht ganz unbekannt vorkommen: In der Anfangszeit
des römischen Reiches waren die Steuersätze niedrig. Doch mit der Zeit
begannen die Kaiser, sich die Gunst ihrer Untertanen mit Wohltaten zu
erkaufen. So wurde bereits vor der Zeit des Augustus damit begonnen, etwa
200.000 römischen Bürgern kostenlos Weizen (später: Brot) zur Verfügung zu
stellen. Da die Einwohnerzahl Roms zur Zeit des Augustus etwa 1 Million
Einwohner umfasste, bekam jeder fünfte Einwohner kostenlose
Weizenrationen. Nichtsdestotrotz kamen die Steuereinnahmen unter Augustus
derart großzügig herein, dass ein großes Infrastukturprogramm aufgelegt
werden konnte. Straßen wurden repariert, Tempel, Thermen und Aquädukte
wurden gebaut. Unter Tiberius wurde das Programm zurückgefahren. 33 n.
Chr. kam es zu einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, die mit einer
starken Geldverknappung einherging. Der Staat kam aus dieser Krise nur
heraus, indem er eine Vielzahl von Krediten zu einem Zinssatz von null
vergab. Die Liquidität konnte so sichergestellt werden.
Der Bedarf des Staates an „Cash“ wurde größer. Aus der Zeit des Caligula
(37 – 41 n.Chr.) ist von Steuerflüchtlingen die Rede, denen übel
mitgespielt wurde.
Unter Nero (54 – 68 n. Chr.) begann die Abwertung der Gold- und
Silbermünzen. Den Münzen wurden weniger werthaltige Metalle hinzugefügt.
Diese Entwertung des Bargeldes war nur eine andere Form der
Steuererhöhung. Die römischen Bürger versuchten die Geldentwertung zu
umgehen, indem sie ihre alten Münzen sammelten und die Steuern mit den
weniger werthaltigen Münzen bezahlten. Der Abwertungswettlauf führte zu
einer kontinuierlichen Teuerung. Die Steuereinnahmen des Staates verloren
jedoch den Teuerungswettlauf. So schnell, wie die Preise stiegen, konnten
die Steuern nicht erhöht werden.
Anmerkung: Heutzutage wäre dies anders: Durch das progressive Steuersystem
würden Arbeitnehmer bei fortgesetzter Inflation (vorausgesetzt, es kommt
zu Nominallohn-erhöhungen) einen immer größeren Teil ihres Einkommens dem
Staat widmen müssen.
Zurück zum alten Rom. Später wurden speziell die Steuern für die
Wohlhabenden erhöht. Privatvermögen wurden mehr und mehr konfisziert,
vertrieben, versteckt oder durch hohe Steuern verringert. Dies führte zu
einem wirtschaftlichen Stillstand. Je stärker der Druck auf die
Wohlhabenden wurde, desto schlechter ging es den gering Bemittelten.
Nachdem bei den Wohlhabenden nicht mehr viel zu holen war, wurde der
Mittelstand mehr und mehr für das Steueraufkommen herangezogen.
Bruce Bartlett schließt seine Analyse mit den Worten: „Der Fall Roms war
fundamental bedingt durch ökonomischen Rückschritt, der aus einer
exzessiven Steuerlast, Inflation und Überregulierung resultierte. Höhere
und noch höhere Steuern konnten keine höheren Steuereinnahmen produzieren,
weil die Wohlhabenden ihre Einnahmen zunehmend versteckten, während die
Mittelklasse – und ihre Fähigkeit, Steuern zu zahlen – praktisch
eliminiert wurde. Die meisten Römer reagierten auf den Fall ihres Reiches
am Ende mit Erleichterung.“
Klar ist: Parallelen zur heutigen Situation sind unverkennbar. Das
Erhard’sche Modell der sozialen Marktwirtschaft ist zu einem „Sozial- und
Wohlfahrtsstaat“ mutiert. Die kreative Minorität hat mehr und mehr
Probleme, Wachstum zu generieren. Geringere Steuereinnahmen für den Staat
(Beispiel Japan: Hier wird der Staatshaushalt nur noch zu 50 Prozent von
den Steuereinnahmen gedeckt) sowie ein Verlust an Arbeitsplätzen sind die
Folge. Gleichzeitig wächst die Unzufriedenheit derjenigen, die vom Staat
versorgt werden. Diese Bevölkerungsschicht wächst genauso wie diejenige,
die sich mit einem Einkommen knapp über Hartz IV-Niveau zufrieden geben
muss.
Man hat den Eindruck, dass viele Politiker noch nicht wissen, in welcher
Phase unserer "Hochkultur" sich Deutschland befindet. Politiker neigen von
Natur aus zum Populismus: Sie wollen gefallen. Doch in dieser Einstellung
liegt der Kern des Untergangs begründet. Es geht nicht mehr um Verteilung,
sondern darum, ob es etwas zu verteilen gibt. Das Beispiel Roms zeigt,
dass - wenn sich nichts ändert – alle Bevölkerungsgruppen zu den
Verlierern zählen werden.
Es liegt nicht zuletzt an der populistischen politischen Garde, dass der
Solidargedanke, der Deutschland in den Aufbaujahren nach dem zweiten
Weltkrieg begleitet hatte, zerstört ist. Der Gedanke, dass der Staat ein
Teil von uns allen ist und wir als Staatsbürger Verantwortung für den
Staat tragen, ist vollständig verflogen. Der Staat, das ist eine anonyme
Verteilungsmaschine, das sind nicht wir. Der Ehrliche ist der Dumme,
sollen die anderen zahlen (oder weniger bekommen). Möglicherweise ist der
Gedanke, dass der Staat ein Teil von uns ist, unwiederbringlich verloren.
Damit ist jedoch der Urgedanke der Demokratie gefährdet. Ein Staat, dem
kein Vertrauen entgegen gebracht wird, verhärtet in seiner Struktur. Die
Dinge schaukeln sich gegenseitig hoch. Ein Umdenkungsprozess ist in
Deutschland dringend erforderlich. Von nichts sind wir heute weiter
entfernt als von dem folgenden Ausspruch Kennedys: "Frag nicht, was der
Staat für dich tun kann, sondern frag, was du für den Staat tun kannst."
Wenn wir nicht lernen, diesen Satz ernst zu nehmen, wird bald kein
funktionierender Staat mehr existieren.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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