Wochenend-Wellenreiter vom 17. April 2010
Humorige Anekdote oder Ernstfall?
Als der isländische Vulkan
Eyjafjallajökull im Jahr 1821 zuletzt ausbrach, hielt die Aktivität zwei
Jahre an. Überprüft man die Temperaturkurven von 1821 bis 1823 für
Deutschland, so scheint der Ausbruch keine negativen Auswirkungen auf die
hiesigen Durchschnittstemperaturen gehabt zu haben. Das war fünf Jahre
zuvor – im Jahr 1816 – anders. Nach dem Jahrhundert-Ausbruch des
indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 folgte in Europa und weiten
Teilen der USA das „Jahr ohne Sommer“.
In Wikipedia heißt es dazu: „In
Mitteleuropa
kam es zu schweren Unwettern; zahlreiche Flüsse – unter anderem der
Rhein –
traten über die Ufer. In der
Schweiz
schneite es jeden Monat mindestens einmal bis auf 800m Meereshöhe. Die
Folge der niedrigen Temperaturen und anhaltenden Regenfälle in Teilen
Europas waren katastrophale Missernten. Am stärksten betroffen war das
Gebiet unmittelbar nördlich der Alpen: Elsass, Deutschschweiz, Baden,
Württemberg, Bayern und das österreichische Vorarlberg. Hier erreichte der
Getreidepreis im Juni 1817 das Zweieinhalb- bis Dreifache des Niveaus von
1815. Hungersnöte brachen aus. Tausende der zusätzlich noch unter den
Folgen der
Napoleonischen Kriege
leidenden Europäer wanderten schließlich in die USA aus.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Jahr_ohne_Sommer
Die Eruption des
Eyjafjallajökull ist von vergleichsweise moderater Stärke. Die
Konzentration der Medien gilt momentan dem unterbrochenen Flugverkehr. Die
meisten Nicht-Betroffenen und auch einige Betroffene nehmen die
Angelegenheit mit Humor. Man sollte jedoch nicht die Augen davor
verschließen, dass das Aufleben vulkanischer Aktivität noch ganz andere
Nebeneffekte hat. In den Jahren 1821 – 1823 starb das Vieh auf Island an
einer Fluorvergiftung. Fluor ist ein essentielles Spurenelement, das vor
Karies schützen und den Zahnschmelz härten kann. Aber: Bereits in leicht
vergrößerten Mengen (z.B. durch Ablagerungen auf Viehweiden) wirkt Fluor
toxisch (20 mg reichen). Die WHO äußert in einem Statement, dass die Asche
– so lange sie in den oberen Luftschichten verbleibt – kein
Gesundheitsrisiko darstellt
http://tinyurl.com/y2nswcd. Die WHO formuliert jedoch sehr
vorsichtig. Die Situation überrascht alle Beteiligten und stellt sie vor
Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt. Historische Ableitungen
können nur in begrenztem Maße vorgenommen werden, da heute die
vorherrschenden Technologien, der Lebensstandard und die
Bevölkerungsdichte ganz andere Dimensionen zeigen als das Europa der Jahre
1821 bis 1823.
Zeigt die aktuelle „Asche“-Situation
bereits Auswirkungen auf die Finanzmärkte? Im Hinblick auf die
Aktienmärkte ist dies zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu beurteilen. Eine
Korrektur war mit oder ohne Vulkanausbruch überfällig. Auswirkungen
sollten sich insbesondere bei nachwachsenden Rohstoffen zeigen. Sollte es
tatsächlich zu verstärkten Ernteausfällen aufgrund längerer Perioden
vulkanischer Aktivität kommen, würde der Markt versuchen, dies bereits
jetzt zu antizipieren. Entsprechend würde z.B. der Weizenpreis steigen.
Aktuell notiert der
Weizenpreis in Chicago bei 4,90 US-Dollar. Seit Anfang April ist ein
Aufwärtstrend erkennbar, der sich am Freitag verstärkt hat. Der Blick auf
das Volumen zeigt durchaus steigendes Kaufinteresse (siehe Pfeil obiger
Chart).
Fazit: Als ob die
Weltwirtschaft nicht schon genug unter den Auswirkungen der Finanzkrise
ächzt, generiert sich aus dem Nichts ein neuer, hemmender Einflussfaktor.
Der Unsicherheitsfaktor ist groß, da historische Vergleiche kaum
durchgeführt werden können. Sollten die isländischen Vulkane länger aktiv
sein bzw. sollte die vulkanische Aktivität insgesamt zunehmen, so würde
sich ein für unsere Gesellschaft nahezu unbekannter Faktor neu einnisten.
In einem solchen Fall dürften die Preise für nachwachsende Rohstoffe
steigen. Inflationsgefahren würden sich verstärken. Gleichzeitig würde die
Welt entschleunigen. „Just-in-time“ wäre Vergangenheit, die Globalisierung
würde zurückgefahren werden. Neue Belastungsfaktoren für die Gesundheit
würden sich ergeben und breiten medialen Raum einnehmen. In jedem Fall
würden die Karten neu verteilt, Chancen und Risiken lägen nah beieinander.
Würde der Ascheauswurf jedoch
in den nächsten Tagen enden und sich die Situation für längere Zeit
beruhigen, so würde das aktuelle Ereignis lediglich als humorige Anekdote
in die Geschichtsbücher eingehen.
Verfolgen Sie das Geschehen an den Finanzmärkten in unserer handelstäglich
vor Marktbeginn erscheinenden Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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