Wochenend-Wellenreiter vom 24. April 2010
Kein normaler Wirtschaftskreislauf
Der Wirtschaftskreislauf ist
schnell beschrieben (idealtypisch): Mit einem kräftigen
Wirtschaftsaufschwung geht eine Festigung der Konsumnachfrage einher.
Diese führt zu steigendem Inflationsdruck. Die Zentralbank greift ein,
indem sie die Kreditzinsen am kurzen Ende verteuert (Leitzinserhöhung). An
einem Punkt X befindet sich der Leitzins auf einem höheren Niveau als der
Kreditzins am langen Ende. Es liegt eine sogenannte inverse Zinsstruktur
vor. Eine inverse Zinsstruktur kündigte in den USA nach dem zweiten
Weltkrieg stets eine Rezession an. Hohe Zinsen – und damit teures Geld –
halten Unternehmen von Investitionsentscheidungen ab. Zudem lohnt das
Verleihgeschäft im Falle einer inversen Zinsstruktur nicht, da man bei der
Zentralbank höhere Zinsen erhält. Außerdem ist schon alles investiert, die
Lager sind voll und die Nachfrage steigt nicht mehr. Zinssenkungen am
kurzen Ende versteilern die Zinsstuktur. Allmählich lassen Nachfrage und
Inflationsdruck nach, die Zinsen beginnen zu fallen. Der Abschwung
verschärft sich, Deflationsdruck weicht dem Inflationsdruck. Die
Zentralbank verbilligt die Kredite. Die - durch die inverse
Zinstrukturkurve angekündigte - Rezession setzt ein. Angst erreicht die
Zentralbanken. Es wird so lange stimuliert, bis ein selbsttragender
Aufschwung erreicht ist.
Aufschwung, Reife, Abschwung,
Rezession: Dieser Kreislauf könnte ewig so weitergehen. Wenn es da nicht
einen „Showstopper“ namens Staatsverschuldung gäbe. Das Problem: Die
öffentlichen Schulden, die insbesondere in Rezessionen aufgebaut werden,
werden in der Aufschwungphase zu geringfügig – oder gar nicht -
zurückgefahren. Mit jeder neuen Rezession wird auf den Schuldenstapel noch
etwas draufgepackt.
Nur ein freundlicher, aber
harter Tyrann würde es schaffen, die Zahnpasta wieder in die Tube zu
drücken. Jedes demokratische System hat den Geburtsfehler steigender
Verschuldung. Die Demokratie fordert Schauspieler wie Ronald Reagan, sie
braucht Selbstdarsteller wie Sylvio Berlusconi und kleine große Herrscher
wie Nicolas Sarkozy. Es ist kaum vorstellbar, dass dieser Typus Mensch
knallharte Einschnitte gegen die Bevölkerung anordnet. Im Gegenteil: Die
Geldhähne werden weiter aufgedreht. Gezahlt wird mit Staatsvermögen, d.h.
im Namen und auf Rechnung des Volkes.
Apropos Demokratie: Was mich
besonders nervt – und ich verstehe nicht, warum an das Thema keiner
herangeht – ist die „Landtagswahl-Manie“ in Deutschland. Diese Angst vor
NRW: Bloß nichts falsch machen! Anschließend - im ersten Quartal 2011 -
wird in Baden-Württemberg gewählt. Diese Angst vor BW: Bloß nichts falsch
machen! Schwuppdiwupp, und wieder ist eine Legislaturperiode um.
Verlorene, vertane Zeit. Der ewige Kreislauf, nichts geschieht. Warum
eigentlich gehen wir zur Bundestagswahl? Forderung an die
Ministerpräsidenten: Legt alle Landtagswahlen auf den gleichen Termin.
Dann kann „durchregiert“ werden.
Für eine solche Forderung
erntet man Spott und Hohn, weil sie angeblich „weltfremd“ ist. Den Spott
gebe ich gern an die Landesväter (und Landesmütter) zurück, die nicht in
der Lage sind, so etwas zu koordinieren. Die nächsten Landtagswahltermine:
Sachsen-Anhalt 20. März 2011; Baden-Württemberg 27. März 2011; Bremen Q2
2011; Berlin Q3 2011; Mecklenburg-Vorpommern Q3
2011. In 2011 kann demnach auf Bundesebene wieder nicht
regiert werden. Zwischen der Landtagswahl NRW und BW besteht ein
Zeitfenster von acht Monaten, wenn man einen Wahlkampfbeginn in BW im
Januar 2011 annimmt. Das bedeutet, dass fürs Regieren ein „Slot“ von Mai
bis Dezember 2010 besteht. Mittendrin liegt die Sommerpause. Reichlich
wenig Zeit, die notwendigen Arbeiten zu verrichten.
Arbeit gäbe es
zuhauf. Insbesondere quält und drückt ein Punkt, den kaum jemand verstehen
will: Jegliche Beschleunigung des Wirtschaftswachstums kann zum
Staatsbankrott führen. Warum? Weil Zinsen in einer Aufschwungphase
steigen. Steigende Zinsen führen zu steigenden Zinsdiensten der
öffentlichen Hand. Hinzu kommt: Die Anleger verlangen zunehmend einen
Risikoaufschlag dafür, dass sie dem Staat Geld leihen. Dieser – bisher bei
großen Industrieländern nicht ins Gewicht fallende – Faktor kann die
Zinsen nach oben beschleunigen, ohne dass die Wirtschaft besonders wachsen
müsste.
Die Industriestaaten laufen in
eine Falle, aus der es keinen Ausweg mehr zu geben scheint. Eine Option,
die den Staatsbankrott vermeidet, dafür aber den Bürger schröpft, ist
diejenige der Inflationierung. Vermögen, aber auch Schulden werden durch
eine starke Inflation abgebaut bzw. entwertet. Wie Inflation entsteht,
erleben wir live an der Tankstelle. Durch die Euroschwäche wird insgesamt
Inflation importiert. Wir sollten aufhören, uns über den schwachen Euro zu
beklagen. Nicht umsonst drängt US-Finanzminister Geithner auf eine
Aufwertung des chinesischen Yuan gegenüber dem US-Dollar. Dadurch würden
die USA die Möglichkeit erhalten, Inflation zu importieren. Michael
Douglas alias Gordon Gekko würde sagen: „Inflation ist gut“.
Fazit: Die Industriestaaten
befinden sich derzeit nicht in einem normalen Wirtschafts-zyklus.
Vielmehr übernimmt die Schuldenkrise die Hauptrolle. Gerade jetzt braucht
es mutige Politiker, die erstens ein Verständnis für die Situation
entwickeln, zweitens in der Lage sind, den freundlichen Tyrannen zu geben,
drittens in dieser Rolle die Staatsverschuldung rigoros herunter fahren
und viertens versuchen, das „Restproblem“ der Verschuldung über eine
mittelgroße Inflationierung zu erledigen. Der schwache Euro bietet den
europäischen Politikern dafür eine Steilvorlage. Den schwarzen Peter
hätten in diesem Fall die Amerikaner und die Japaner. Aber
Wechselkursentwicklungen sind keine Einbahnstraße. Im laufenden
Abwertungswettrennen werden die Amerikaner alles dafür tun, als Sieger vom
Platz zu gehen. In US-Regierungskreisen dürfte nicht nur ein Anstieg des
Yuan politisch gewollt sein, sondern auch ein Ende des Sturzfluges der
europäischen Gemeinschaftswährung.
Zitat aus der Online-Ausgabe
der „Welt: „Trotz des Hilferufs der griechischen Regierung sieht
Bundesbank-Präsident Axel Weber keine ernsthafte Gefahr für die
Gemeinschafts-währung. "Der Euro hat kein Problem", sagte Weber vor Beginn
der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds.“ In der Tat:
Derjenige, der den Abwertungswettlauf gewinnt, hat die besten Chancen,
einen Staatsbankrott zu vermeiden.
Verfolgen Sie das Geschehen an den Finanzmärkten in unserer handelstäglich
erscheinenden Frühausgabe.
Verfolgen Sie das Geschehen an den Finanzmärkten in unserer handelstäglich
vor Marktbeginn erscheinenden Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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