Wochenend-Wellenreiter vom 1. Mai 2010
Mal ein anderes Thema
Sonderbeilagen über den Euro
sowie Titelbilder wie „Euroland abgebrannt“ (Der Spiegel) zieren die
Presselandschaft vom Wochenende. Egal, ob die Medien die Ängste der
Menschen repräsentieren oder ob sie diese erst schüren: Es findet ein
wechselseitiger, sich hochschaukelnder Prozess zwischen Leser und Medien
statt.
Das zweite – die Medien
beherrschende - Thema ist die Ölpest im Golf von Mexiko. Als die
Ölplattform „Deepwater Horizon“ am 22. April sank, habe ich sowohl in
amerikanischen als auch in deutschen Medien darüber recherchiert. Mir fiel
auf, dass die US-Medien dieses Thema anfangs stiefmütterlich behandelten,
während es in Deutschland sofort ein Top-Thema war. US-Präsident Obama
reagierte genau wie die US-Medien, nämlich viel zu langsam. Er setzte auf
die Kompetenz von BP, diese „Unannehmlichkeit“ zu beseitigen. Er griff
viel zu spät ein.
Politiker und Zentralbanker
sind ähnlich gestrickt. Sie greifen erst ein, wenn es schon eine ganze
Zeit lang brennt. Es gibt nur einen Unterschied: Zentralbanker gießen
zusätzliches Öl ins Feuer.
Je mehr die Aufmerksamkeit von
Menschen und Medien um den Themenkomplex Euro/Griechenland/ PIGS kreist,
umso geringer erscheint die Wertigkeit anderer Themen. Was also sind die
Themen, das aktuell wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätten? China
sollte im Rampenlicht stehen. Es sollte geschrieben werden, dass der
chinesische Aktienmarkt („Shanghai Composite Index“) gegenüber dem
Jahresanfang 2010 einen Verlust von 12 Prozent erlitten hat. Selbst der
Leitindex der Athener Börse steht mit einem Minus von 15 Prozent nur
unwesentlich schlechter da, in Spanien ist das Minus mit 12 Prozent
genauso groß wie in China.
Charttechnisch hat sich im
chinesischen Leitindex eine Dreiecksformation ausgebildet, die in der
vergangenen Woche nach unten ausgebrochen ist.
Ein Vergleich, der die
relative Schwäche Chinas gegenüber anderen Ländern demonstriert: Während
der DAX 55 Prozent seiner in der Finanzkrise erlittenen Verluste gutmachen
konnte, hat der Shanghai Composite Index gerade einmal ein gutes Viertel
seiner Verluste (26,8 Prozent) aufholen können.
Ein zweiter Punkt, der sich
der Aufmerksamkeit vieler Anleger entzieht, ist die Stärke der
europäischen Länder, die nicht dem Eurosystem angeschlossen sind.
Dänemark, Ungarn und Schweden sind mit zweistelligen Zuwächsen in der
Welt-Börsenrangliste zu finden. Wollten einige europäische Länder noch im
vergangenen Jahr unbedingt den Euro einführen, so hält man sich mit
derartigen Ansätzen jetzt vornehm zurück.
Ein dritter Punkt betrifft die
Zinsen am kurzen Ende. Je kürzer die Laufzeit einer Staats-anleihe, desto
direkter wird sie von der Zentralbank kontrolliert. Der Sinn eines
Leitzinses ist die Beeinflussung des Markes über die Kosten für Kredite.
Die Zentralbanken können Kredite am kurzen Ende extrem verteuern und damit
die Wirtschaft auf Konsolidierungskurs zwingen, genauso wie sie – und das
geschieht momentan – mit einer Niedrig- oder Nullzinspolitik eine
Volkswirtschaft mit sehr billigem Geld versorgen können.
Eine Beeinflussung der Zinsen
am langen Ende (10 Jahre, 30 Jahre) kann von den Zentralbanken nur dann
durchgeführt werden, wenn man diese Papiere direkt ankauft. Ein solches
Programm wurde in den USA gefahren, aber bereits wieder beendet. Ansonsten
kann eine Zentralbank nur auf indirekte Effekte hoffen. Schlussfolgerung:
Die Zinsen am langen Ende werden weitgehend vom Markt bestimmt, während
die Zinsen am kurzen Ende von den Zentralbanken festgeschrieben werden
können.
Was aber ist mit den
Laufzeiten, die dazwischen liegen? Trotz der Niedrigzinspolitik fordern
die Anleger auch bei Laufzeiten von 2 Jahren hohe Risikoaufschläge.
Griechenland (mit einem Zinssatz von 12% nicht im Bild), Portugal und
Irland führen die Rangfolge diverser europäischer Staaten an. Spanien und
Italien folgen mit einigem Abstand. In Österreich und Deutschland sinken
hingegen die 2-jährigen Renditen.
Die Umschichtung des Kapitals
in „sichere Häfen“ wie Deutschland erfolgt nicht nur am langen Ende,
sondern auch in den kürzeren Laufzeiten. Die Ära des billigen Geldes ist
in vielen europäischen Staaten über fast das gesamte Laufzeitenspektrum
beendet. Faktisch ist der EZB die Kontrolle über den Zinssatz in vielen
europäischen Ländern entglitten.
Im Hinblick darauf, ob
einzelne Staaten zukünftig von einer Rezession betroffen sein werden, gibt
die Zinsdifferenz 10 Jahre minus 2 Jahre wertvolle Hinweise. Ein Blick auf
die Zinsstruktur diverser Staaten zeigt, dass einzig Griechenland momentan
mit einer Rezession rechnen muss. Die Intensität der Inversion (ein Minus
von fast 4 Prozent-punkten) lässt auf schwere Rezession schließen. In den
anderen Ländern, die bisher vom Kapitalmarkt gebeutelt worden sind
(Irland, Portugal, Spanien und Italien) kann von einer inversen
Zinsstruktur bisher nicht die Rede sein. Somit steht in diesen Ländern in
näherer Zukunft eine Rezession nicht an.
Wir haben Australien (rote
Linie) deshalb in die Übersicht mit eingebaut, weil hier die Zinsstruktur
Sorgen bereitet. Das vom Rohstoffboom profitierende Australien hat gerade
eine 40-Prozent-Steuer auf Gewinne von Rohstoff-Unternehmen wie BHP
Billiton eingeführt. Begründung: Der australische Bürger soll an den
exorbitanten Gewinnen von Rohstoff-Firmen angemessen beteiligt werden.
Schließlich werden die reichlichen Ressourcen Australiens ausgebeutet.
Zudem entstünden durch die Ausbeutung Umweltschäden. Das ist korrekt, aber
man muss sich fragen, wann die Politiker auf solche Ideen kommen: Zu
Beginn oder am Ende eines Booms? Die Zinsstruktur Australiens droht zu
kippen. Wenn man auf den Aktienchart Chinas schaut (weiter oben), würden
Probleme in Australien zwangläufig eine Folge der abflauenden
Rohstoffnachfrage sein.
Fazit: China dürfte Probleme
bekommen. Australien – und damit der Rohstoffboom – beginnen zu wackeln.
Europa steuert bisher nicht in die Rezession – Ausnahme Griechenland. Der
Brennpunkt der Diskussion dürfte sich bald von Europa weg verlagern.
Verfolgen Sie das Geschehen an den Finanzmärkten in unserer handelstäglich
vor Marktbeginn erscheinenden Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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