Wochenend-Wellenreiter vom 8. Mai 2010
Das Misstrauen bleibt
Der einmal täglich in London
festgestellte 3-Monats-Libor für den US-Dollar gilt als „Basiszins“ für
Finanzprodukte im Wert 360 Billionen US-Dollar, angefangenen für
US-Hypothekendarlehen bis hin zu alltäglichen Finanzkrediten im
Dollarraum. 16 Banken liefern täglich ihre Daten an die British Bankers
Association, die daraus einen Durch-schnittszinssatz errechnet.
Der 3-Monats-Dollar-Libor zog
seit Mitte März deutlich an – von 0,25 Prozent auf in der Spitze 0,43
Prozent. Auch am Tag nach dem großen EU-Rettungspaket hielt sich der Libor
auf vergleichsweise hohem Niveau (0,42 Prozent). Der Libor ist auf dem
folgenden Chart mit einer roten Linie dargestellt.
Die untere Linie auf dem
obigen Chart zeigt den Verlauf des US-Drei-Monats-Zinssatzes. Dieser
Zinssatz befindet sich in der Regel in der Nähe des offiziellen
US-Leitzinses (aktuell eine Spanne zwischen 0 und 0,25 Prozent).
Ein steigender Libor ist ein
Zeichen für steigendes Misstrauen unter den Banken, ein fallender Libor
signalisiert Entspannung. Und: Je stärker die Spanne zwischen dem
Drei-Monats-Libor und dem US-Drei-Monats-Zins, um so mehr Stress befindet
sich im Finanzsystem.
Die Spanne zwischen
Drei-Monats-Libor und US-Drei-Monats-Zins ist nachfolgend dargestellt. Man
bezeichnet diese Spanne auch als „TED-Spread“ („Treasury Bill Eurodollar
Difference“).
Fazit: Nervosität und
Misstrauen steigen in der Bankenlandschaft trotz konzertierter
Rettungsaktion. Zwar ist der TED-Spread noch weit von seinem Niveau vom
Herbst 2008 entfernt (damals stieg der Spread zeitweilig auf über 4
Prozentpunkte an). Aber die Tendenz zeigt erstmals seit dem Herbst 2008
wieder nach oben.
Unser heutiges Geldsystem
basiert auf Vertrauen. Wir sehen einen Papierschein und glauben, es ist
Geld. Warum glauben wir das? Weil der Souverän sagt, dass es Geld ist. Und
weil die Kassiererin – oder der Kassierer - an der Supermarktkasse das
Geld als solches akzeptiert (sogar, wenn man ein Stück Plastik in einen
Schlitz steckt). Vielleicht werden wir uns später fragen, wie wir so dumm
sein konnten, ein Stück Plastik oder Papier als Geld anzusehen. Der
Souverän erzählt Märchen, das Geld ist ein Stück aufwändig bedrucktes
Papier und dem Kaiser fehlen die Kleider.
Der Souverän ist der Staat,
der ein Hilfsprogramm von 750 Milliarden US-Dollar auflegt. Wie souverän
ist dies? Und überhaupt: Ist der „Souverän“ nicht eigentlich „Mr. Market“,
der den Staat dazu zwingt, derartig gigantische Pakete zu schnüren?
Verliert der Staat die Souveränität über den Markt, fallen alle
Konventionen. Der Staat misstraut den Banken (Stichwort Goldman Sachs),
die Bevölkerung misstraut den Banken, und zwischen den Banken wächst das
Misstrauen ebenfalls. So kann ein Finanzsystem nicht funktionieren.
Solange das gegenseitige Misstrauen im Markt verankert ist, bestehen
systematische Risiken für die Finanzmärkte.
Verfolgen Sie das Geschehen an den Finanzmärkten in unserer handelstäglich
vor Marktbeginn erscheinenden Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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