Wochenend-Wellenreiter vom 21. August 2010
Der Fluch der Niedrigzinsen
Als die Blase im Nikkei Index
im Jahr 1990 platzte, fielen nicht nur die Aktienmärkte. Auf das zunehmend
unsichere wirtschaftliche Umfeld reagierten die Anleger mit
Anleihen-käufen am langen Ende, was die Zinsen immer mehr ins Rutschen
brachte. Am kurzen Ende versuchte die japanische Zentralbank ebenfalls mit
Zinssenkungen die Wirtschaft zu stimulieren. Als später das Werkzeug des
„Quantitative Easing“ ausgepackt wurde, brachte auch dieses Mittel Japan
nicht aus der Deflation heraus.
Als die Blase im Nasdaq Index
im Jahr 2000 platzte, fanden sich die USA ebenfalls unvermittelt in einem
deflatorischen Umfeld wieder. In 2002/03 konnte eine Nullzins-politik
gerade noch vermieden werden. Dies gelang im Gefolge des Lehman-Crashes
nicht mehr. Seit Ende 2008 gilt in den USA die Nullzinspolitik, gepaart
mit dem Werkzeug des bereits in Japan eingesetzten „Quantitative Easing“.
Da die japanische Blase genau
10 Jahre früher platzte als die Nasdaq-Blase, könnte man mit gutem Recht
annehmen, dass sich die Zinssätze im Gefolge in den USA ähnlich verhalten
wie in Japan. Das würde bedeuten, dass sich die US-Nullzinspolitik incl.
niedriger Zinsen auch am langen Ende bis zum Jahr 2020 fortsetzt
(folgender Chart).
Auf der anderen Seite
existiert seit dem Jahr 1800 ein Zinszyklus, dessen obere und untere
Wendepunkte sich etwa alle 30 Jahre abwechseln. Nachfolgend zeigen wir den
Chart seit 1915.
Da die Zinsen seit Beginn der
1980er Jahre fallen, müsste die Phase der Bodenbildung in spätestens ein
bis zwei Jahren abgeschlossen sein. Der Gedanke niedriger Zinsen bis 2020
widerspricht diesem Zyklenmuster.
Wie wird sich diese
Konfliktsituation auflösen? Bleiben die Zinsen niedrig oder beginnen sie
demnächst ihren zyklischen Anstieg? Die Gemeinschaft der Industriestaaten
steht vor einem nicht aufzulösenden Dilemma: Einerseits ist Wachstum
erwünscht, um die Neuverschuldung mit Hilfe von Steuereinnahmen
zurückfahren zu können. Andererseits sollen die Zinsen besonders niedrig
sein, damit die Staatsbudgets nicht übermäßig von Zinszahlungen belastet
werden. Beides kann man jedoch nicht haben, da Wirtschaftswachstum
üblicherweise steigende Zinsen mit sich bringt.
Da die Blase in Japan zuerst
patzte, der Schrumpfungsprozess der Bevölkerung Japans bereits läuft und
auch der Verschuldungsprozess dort so weit fortgeschritten ist wie in
keinem anderen größeren Industrieland (mehr als 50 Prozent des japanischen
Haushaltsbudgets wird durch Neuverschuldung finanziert), dürfte Japan
eines der ersten Länder sein, das sich ernsthaft einem
Problemlösungsprozess stellen muss.
Ausgerechnet in einer Zeit, in
der die Schuldenproblematik zu implodieren droht, dirigieren die
Marktteilnehmer ihre Liquidität massiv in Staatsanleihen (siehe Chart).
Das ist vergleichbar mit einer
Situation, in die Bewohner eines brennenden Hauses ihr bereits gerettetes
Hab und Gut zurück in die Flammen werfen.
Staatsanleihen sind kein
sicherer Hafen. Die Probleme des „Club Med“ plus Irland haben sich nicht
in Luft aufgelöst, nur weil die Medien kaum noch darüber berichten. Dies
zeigen - die sich auf neuen Verlaufshochs befindenden – Zinsspreads zur
Benchmark Bundesanleihen (nächster Chart).
Für Politiker gilt ein
einfaches Gesetz: Niedrige Zinssätze verleiten zum Geldausgeben (Beispiel
USA), während hohe Zinssätze das Sparen erzwingen (Beispiel Griechenland).
Niedrige Zinssätze können Politiker sogar soweit bringen, dass sie
glauben, einen Krieg billigst finanzieren zu können. Man beachte, dass
sich die Zinsen sowohl vor Ausbruch des ersten als auch des zweiten
Weltkriegs auf historisch niedrigen Niveaus befanden.
Je länger eine
Niedrigzinsphase andauert, desto mehr könnten Politiker auf dumme Ideen
kommen. Schon deshalb wäre ein baldiger Zinsanstieg die „gesündere“
Variante.
Schon jetzt nehmen
Wirtschaftskriege Gestalt an. China diversifiziert einen Teil seines
Handelsbilanzüberschusses in japanische Staatsanleihen. Im Ernstfall eines
japanischen Staatsbankrotts dürfte China sein Geld zurückfordern. Zahlt
Japan nicht, könnte China Landkompensationen einfordern.
Zudem löschen Niedrigzinsen
eine Gruppierung aus, die man in früheren Zeiten „Sparfüchse“ genannt hat.
Viele jüngere Leute (bis 30 Jahre) werden diesen Begriff nicht mehr
kennen. Es gab tatsächlich Zeiten gab, in denen man sein Geld „aufs
Sparbuch legte“ und damit Realgewinne erzielen könnte.
Auch gilt: Wie das Beispiel
Japan zeigt, stimulieren niedrige Zinsen die Konjunktur nicht, sondern
erhöhen lediglich die Verschuldung.
Fazit: Niedrige Zinsen sind
auf vielfältige Art und Weise verführerisch. Aus den genannten Gründen
sollte auf eine anhaltende Niedrigzinspolitik verzichtet werden. Wir
glauben nicht an niedrige Zinsen bis 2020. Dafür ist die Instabilität des
Weltfinanzsystems bereits zu weit fortgeschritten. Die fällige Neuordnung
der Finanzwelt sollte möglichst bald vollzogen werden. Aber nicht in
kriegerischer, sondern möglichst in friedlicher Art und Weise. Der „Wiener
Kongress Teil 2“ muss - ausgehend von der G20-Gruppierung - für alle
teilnehmenden Staaten zu einem halbwegs befriedigenden
Interessensausgleich führen. Im Zuge dieser Verhandlungen sollten
gegenseitige finanzielle Abhängigkeiten eliminiert werden. Zudem sollte
ein neues Währungssystem eingeführt werden. Vorschläge dafür gibt es
zuhauf (Golddeckung, konkurrierende Privatwährungen etc). Die Uhren der
Kapitalmärkte sollten auf Null gestellt werden. In solchen Verhandlungen
käme China als größtem Gläubiger die Schlüsselrolle zu. Wie weit geht die
Bereitschaft Chinas, auf Forderungen zu verzichten?
Der österreichische
Außenminister Fürst von Metternich hatte die Neuordnung Europas in kluger
Manier im Rahmen des Wiener Kongresses zustande gebracht. Zum Lohn erhielt
er die Domäne Schloss Johannisberg (Rheingau) 1816 vom Kaiser Franz I. als
Geschenk.
Sollte es einem Politiker auf
dem "Wiener Kongress II" gelingen, erfolgreich den verästelten
Kapitalmarkt zu entwirren und mit einer Neuordnung die Staatengemeinschaft
allseits zufrieden zu stellen, so wäre ein Weingut als Alterssitz für
diese Leistung eine verhältnismäßig kleine Belohnung…
Verfolgen Sie das Geschehen an den
Finanzmärkten in unserer handelstäglich erscheinenden Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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