Wellenreiter-Kolumne vom 5. Februar 2011
Japan: "Accident waiting to happen"
Am 27. Januar 2011 – einem Donnerstag – überraschte die Rating-Agentur
Standard & Poor’s die Märkte mit der Herabstufung der Bonität Japans von
„AA“ auf „AA minus“. Die initialen Marktreaktionen waren gedämpft, die
Herabstufung schien weitgehend ignoriert zu werden. So jedenfalls hieß es
in vielen Medienberichten.
Wenn die Bonität eines Landes herabgestuft wird, kommt es häufig zu
folgender Reaktion: Die Staatsanleihen werden verkauft (=Renditeanstieg),
zudem verliert die Währung an Wert. Derartige Bewegungen wurden in den
vergangenen Jahren an den Finanzmärkten Griechenlands, Portugals, Irlands
oder Spaniens beobachtet.
Betrachten wir zunächst die Reaktion der Rendite japanischer
Staatsanleihen. Der rote Pfeil verweist auf den 27. Januar 2011.
Die Rendite 10jähriger japanischer Staatsanleihen verlief bis zum
vergangenen Donnerstag in einem Korridor von 1,22 bis 1,24% seitwärts. Am
Freitag zog die Rendite deutlich an (auf 1,28%). Sie erreichte damit den
höchsten Stand seit Juni 2010.
Was bedeutet die Marke von 1,28% im erweiterten charttechnischen Kontext?
Die obere rote Linie auf dem folgenden Chart reflektiert diese Marke.
Würden die 1,28% überwunden werden können, würde der nächste Widerstand im
Bereich von 1,40% zu finden sein. Sollte dies geschehen, würden die
Marktteilnehmer so auf die Herabstufung reagieren, wie man es erwarten
musste.
Nur etwa fünf Prozent der japanischen Staatsverschuldung (200 Prozent vom
BIP) wird von Ausländern gehalten. Diese unbestreitbar korrekte Zahl wird
immer dann hervor-geholt, wenn es gilt, die Last der japanischen
Staatsverschuldung zu verniedlichen. Letztendlich haften japanische
Banken, Fonds, Investoren und Pensionskassen. Klar existiert ein
politischer Druck auf die japanischen Banken, japanische Staatsanleihen zu
kaufen. Aber es steht den genannten Gruppierungen frei, ihr Geld woanders
als in Japan zu investieren.
Als ein weiterer Pluspunkt werden die japanischen Währungsreserven in Höhe
von 1,1 Bio. US-Dollar angesehen. Dem steht eine öffentliche Verschuldung
in Höhe von etwa 10 Bio. US-Dollar gegenüber. Die japanischen
Währungsreserven würden im Falle einer Staatsinsolvenz ausreichen, um die
Ansprüche ausländischer Gläubiger abzudecken. Die japanischen Investoren
würden weitgehend leer ausgehen.
Die zweite Beobachtung gilt dem japanischen Yen. Dieser müsste bei einer
Bonitätsabwertung fallen. Anzunehmen wäre, dass ausländische Investoren
das Vertrauen in Japan verlieren und ihr Kapital aus dem Yen in Dollar und
Euro umschichten. Zudem können die Japaner selbst versucht sein, ihr
Vermögen verstärkt in andere Währungen zu diversifizieren.
Ein schwacher Yen würde einen ansteigenden Dollar/Yen zur Folge haben. Der
Blick auf die folgende Grafik zeigt eine aktuell interessante
charttechnische Konstellation.
Der Dollar/Yen befindet sich in der Endphase einer Dreiecksbildung. Ein
Ausbruch in die eine oder andere Richtung steht unmittelbar bevor. Folgt
der Dollar/Yen dem Muster der Bonitätsabstufung, so müsste er aus seinem
kleinen Dreieck nach oben ausbrechen (siehe Pfeil obiger Chart).
Der Blick auf den Langfirstchart zeigt, dass das Währungspaar auf einer
Unterstützung aus dem Jahr 1995 notiert (rote Linie folgender Chart).
Im großen Bild würde die 80-Punkte-Marke eine zuverlässige Unterstützung
bieten.
Japan ist ein „Accident waiting to happen“. Sobald die japanische
Regierung durchschnittlich 2,6% oder mehr Rendite an ihre Gläubiger zahlen
muss, ist der Point of no return erreicht: Japan wäre insolvent.
Von derartigen Renditen ist das Land noch ein gutes Stück entfernt. Der
Trend macht jedoch die Musik. Würde die japanische Rendite ihren
Aufwärtstrend fortsetzen, könnte dies ein Zeichen einer beginnenden Flucht
aus japanischen Anleihen sein. Würde zudem der Dollar/Yen steigen und
damit der Yen schwächer werden, wäre erkennbar, dass das internationale
Kapital - und möglicherweise auch die japanischen Anleger – den
japanischen Yen nicht mehr als „sicheren Hafen“ ansehen.
Fazit: Nachdem den Investoren der Anstieg der japanischen
Staatsverschuldung jahrelang egal war und sie stattdessen den Yen aufgrund
der niedrigen japanischen Zinsen als Carry-Währung nutzten, könnte jetzt
eine Entwicklung steigender japanischer Renditen in Gang kommen, die
anzeigen würde, dass das Vertrauen in japanische Staatsanleihen sinkt.
Ausländische Investoren würden den Yen verkaufen und stattdessen Dollar
oder Euro erwerben. Diese Umschichtung würde Dollar/Yen bzw. wohl auch den
Euro/Yen stärken. Noch ist eine solche Entwicklung jungfräulich. Käme es
tatsächlich zu einem Ausbruch aus dem charttechnischen Dollar/Yen-Dreieck
nach oben, so könnte damit die beschriebene Entwicklung in Gang kommen. Es
wäre nicht das erste Mal, dass eine an sich bedeutende Meldung an den
Märkten zunächst ignoriert wird, bevor deren Bedeutung in vollem Umfang
erkannt wird und schließlich auf die Märkte durchschlägt.
Eine solche Entwicklung würde – sobald deren Bedeutung erkannt wird –
negative Auswirkungen auf die Entwicklung der weltweiten Finanzmärkte
haben. Im Vergleich zu Japan ist die griechische Tragödie ein fröhliches
Kinderspiel.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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