Wellenreiter-Kolumne vom 15. Januar 2011
QE3: Favorit "Muni Bonds"
Bei Bloomberg findet sich eine interessante Geschichte: Der Regierungschef
des amerikanischen Bundesstaates New Jersey sprach vorgestern offen von
einem möglichen Bankrott des Bundesstaates. Als Grund nannte der
Gouverneur die steigenden Kosten für die Krankenversicherung der
Staatsbediensteten. Sie würden in den kommenden vier Jahren um 40 Prozent
anziehen. Kurz drauf kürzte New Jersey die Platzierung einer geplanten 250
Millionen-Dollar-Anleihe um die Hälfte. Grund: Der Zinssatz für eine
vergleichbare Anleihe stieg innerhalb kurzer Zeit auf 4,17 Prozent,
nachdem er noch zwei Tage zuvor bei 3,68 Prozent notierte.
Ein zweiter Punkt. Die Zahl der neuen 52-Wochen-Tiefs an der NYSE ist
gestern auf 153 anstiegen. Eigentlich unmöglich, denn die Aktienmärkte
steigen weiter an. Noch vor vier Tagen wurden lediglich acht neue
52-Wochen-Tiefs notiert. An der NYSE sind nicht nur Aktien operierender
Unternehmen, sondern auch eine Reihe von Fonds notiert, darunter
Short-Fonds und Kommunalanleihen-Fonds. In einem Scan haben wir 17 neue
Tiefs von Short-Fonds und 60 neue Tiefs von Kommunalanleihen-Fonds
gezählt. Ein Benchmark-Fonds ist der „IShares S&P National Municipal Bond
Funds“.
Dieser ist gestern ebenfalls ein neues 52-Wochen-Tief gefallen. Der
amerikanische Markt für Kommunalanleihen hat einen Umfang von etwa zwei
Billionen US-Dollar. Das entspricht einem Viertel der Größenordnung des
US-Staatsanleihenmarktes.
Investoren zogen in den letzten neun Wochen 22,7 Milliarden Dollar als
US-Kommunalanleihen-Fonds ab (nächster Chart).
Den Großteil der Belastungen aus den Unterstützungszahlungen für
Arbeitslose tragen in den USA die Bundesstaaten. Diese hatten sich während
der Finanzkrise Darlehen aus Washington für die Finanzierung der
Arbeitslosenunterstützung besorgt. Für diese fallen ab 2011 Zinsen an.
Washington ist bisher nicht bereit, auf die Zinszahlungen zu verzichten.
Die Belastungen der US-Bundesstaaten steigen weiter. Neben New Jersey
haben insbesondere Kalifornien und Illinois derartige
Refinanzierungsprobleme, dass auch dort Bundesstaatenbankrotte absehbar
sind.
Wie immer geben die Märkte die Signale. So war es auch in Europa, als die
Renditen für griechische Staatsanleihen Ende 2009 zu steigen begannen.
Wenn Washington kein Zeichen setzt und frühzeitig durch einen
Rettungsschirm finanzielle Verantwortung übernimmt, werden die
Kommunalanleihen weiter abgestoßen werden. Deren Renditen werden dadurch
weiter anziehen. Das frühzeitige Aufspannen eines Rettungsschirms scheint
durch die republikanische Führung nicht wahrscheinlich zu sein, zumal die
Gouverneure aus Kalifornien und Illinois der demokratischen Partei
angehören. Und schließlich gilt: Seit wann agieren Politiker proaktiv?
Erst der Markt erzwingt Reaktionen.
Können wir uns in Europa darauf freuen, dass die mediale Aufmerksamkeit
der Verschuldungssituation von Europa weg zurück über den großen Teich
schwappt? Möglicherweise ist dies zunächst der Fall. Jedoch sollte man
nicht vergessen, dass große europäische Städte wie Berlin oder Madrid
Schulden in einer Größenordnung haben, die denen amerikanischer Städte
durchaus ebenbürtig ist. In Europa könnten ebenfalls Zinsanstiege
bevorstehen, die die Refinanzierung europäischer Kommunen und von
Bundesländern bzw. Regionen ins Wanken bringt. Doch zunächst dürfte sich
das Interesse der Medien auf die USA konzentrieren.
Wer haftet schlussendlich? Keine Frage, der letzte Kreditgeber für
US-Länder und Kommunen ist Washington bzw. die amerikanische Fed. Nachdem
in der Geldpolitik zumindest verbal versucht wird, den Fokus der
Marktteilnehmer auf die Bekämpfung der Inflation zu lenken, erscheint
mittelfristig ein finanzielles Engagement Washingtons in Staaten wie
Kalifornien oder Illinois unvermeidlich. Diese sind „to big too fail“.
Dies wiederum würde die Notwendigkeit der Auflage eines Programms
nahelegen, das den Direktkauf von Kommunalanleihen durch die Fed zum
Inhalt hat. QE1 bedeutete den überwiegenden Ankauf von Hypothekenanleihen,
QE2 läuft mit dem Ankauf von Staatsanleihen bis Ende Juni 2011. QE3 dürfte
den Kauf von Kommunalanleihen beinhalten.
Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen
Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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