Wellenreiter-Kolumne vom 19. März 2011
Saudi-Arabien als Schlüsselstaat
Saudi-Arabien galt bis vor
kurzem als Musterländle der arabischen Welt. König Abdullah herrscht als
absoluter Monarch, etwa 7.000 bis 8.000 Prinzen bekommen fürstliche
Zuwendungen aus der Staatskasse. Die Petrodollars fließen in Strömen. Der
Anteil Saudi-Arabiens an der Weltölförderung beträgt 12 Prozent (2009).
Der Öl-Sektor finanziert 80 Prozent des Staatshaushalts. 90% der
Exporterlöse kommen laut CIA Factbook aus dem Verkauf von Erdöl.
Die Bevölkerung Saudi-Arabiens
wird in den kommenden Jahrzehnten kräftig wachsen. Nach den Schätzungen
der US-Census-Behörde wird die saudische Bevölkerung von aktuell etwa 26
Mio. auf 30 Mio. im Jahr 2020 und 40 Mio. im Jahr 2050 ansteigen. Von den
26 Mio. Einwohnern kommen 5,5 Mio. aus dem Ausland.
82 Prozent der saudischen
Bevölkerung lebt in Städten. Riad ist mit 4,6 Mio. Einwohnern größer als
Berlin. Djidda, Mekka und Medina sind ebenfalls Millionenstädte. Von den
26 Mio. Einwohnern werden offiziell 7,3 Mio. als arbeitende Bevölkerung
angegeben. Etwa 80% dieser 7,3 Mio. kommen aus dem Ausland (entspricht dem
Anteil der ausländischen Bevölkerung). Von den etwa 21 Mio. Saudis zählen
etwa 1,4 Mio. zur arbeitenden Bevölkerung. Der Rest – wenn man den Zahlen
des CIA-Factbooks glauben darf - arbeitet nicht.
Wie der nächste Chart zeigt,
ist der Ölkonsum in den vergangenen Jahren überproportional zur
Bevölkerung gestiegen.
Daraus lässt sich ein
gestiegener Pro-Kopf-Konsum ablesen. Betrug dieser bis etwa zum Jahr 2003
recht konstant zwischen 9 und 12 Litern pro Tag, so stieg er im Jahr 2009
auf mehr als
16 Liter
pro Tag an.
Zum Vergleich: Der
Pro-Kopf-Ölverbrauch notiert in den USA bei etwa
9 Liter,
in Deutschland bei etwa 5 Liter und in China etwa einem Liter pro Tag.
Der Anteil Saudi-Arabiens am
Welt-Öl-Konsum beträgt gemäß dem BP-Welt-Energie-Report 2010 etwa 3,1
Prozent. Noch vor 10 Jahren waren es 2 Prozent. Es ist anzunehmen, dass
sich dieser Anteil angesichts der Bevölkerungsentwicklung und des
zunehmenden Pro-Kopf-Verbrauchs weiter erhöhen wird. Möglicherweise
beträgt er in zehn Jahren vier Prozent, vielleicht auch mehr.
Betrachtet man den Anteil des
Öl-Konsums an der Gesamt-Öl-Förderung Saudi-Arabiens, so ist dieser in den
vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Er beträgt etwa 27 Prozent.
Bliebe der Produktionsanteil
konstant, stiege jedoch der Konsumanteil weiter (was anzunehmen ist), so
dürfte der Eigenverbrauchsanteil weiter steigen. Stünden in den kommenden
Jahren nicht mehr 73 Prozent, sondern nur noch 60 oder gar 50 Prozent der
Fördermenge für den Export zur Verfügung, so hätte dies negative
Auswirkungen auf das saudische Staatsbudget.
Weniger Deviseneinnahmen bei
einer wachsenden Bevölkerung. Das ist die Herausforderung, vor der
Saudi-Arabien zukünftig stehen wird, unabhängig von der Staatsform. Wie
lange kann unter diesen Umständen ein Staatsgebilde aufrecht erhalten
werden, in dem der allergrößte Teil der einheimischen Bevölkerung nicht
arbeitet, sondern lediglich konsumiert?
In jüngerer Zeit wurden die
Forderungen nach einer konstitutionellen Monarchie mit demokratischem
Unterbau zahlreicher. Allein mit Petrodollars ist die Bevölkerung nicht
ruhig zu halten, auch wenn König Abdullah den Bürgern heute erneut
Finanzzusagen in Milliardenhöhe gemacht hat. Unter anderem will er den Bau
von 500.000 Wohnungen (Volumen: 67 Mrd. US-Dollar) finanzieren.
Fazit: Unabhängig davon, wer
Saudi-Arabien regiert: Das Bevölkerungswachstum in Verbindung mit dem
steigenden Öl-Konsum zwingt das Land zu weitreichenden Veränderungen.
Würde die Ölproduktion auch nur teilweise ausfallen (durch Unruhen und
Aufstände), wäre ein weiteres Funktionieren des Staates kaum möglich, was
zu weiterer Unzufriedenheit führen würde.
Ob allein das derzeitige,
wiederholte Abwerfen von Petrodollars aus dem Hubschrauber die
Unzufriedenheit der saudischen Bevölkerung lindert? Dies mag für kurze
Zeit der Fall sein. Man kann zwar mit der Chipstüte vor dem Fernseher
sitzen und sich die Zeit vertreiben, aber so richtig befriedigend ist dies
auf Dauer nicht. Eine intakte „Work-Life-Balance“ erscheint
erstrebenswert. Wenn man die Möglichkeit hat, ein auskömmliches Leben mit
selbst verdientem Geld zu führen, steigert dies das Selbstwertgefühl. Die
Saudis konsumieren viel, arbeiten aber vergleichsweise wenig.
Unzufriedenheit ist da nur eine Frage der Zeit. Nicht umsonst fordert der
Saudische Arbeitsminister Adel Faqih die Schaffung von Arbeitsplätzen für
5 Millionen Saudis bis 2030.
http://tinyurl.com/66er6ju
Wir hoffen, mit dieser
Hintergrundrecherche dazu beizutragen, die Situation im Öl-Schlüssel-Staat
Saudi-Arabien für den Leser zu erhellen. Denn wir nehmen an, dass sich die
Unruhen in der arabischen Welt auf Saudi-Arabien ausweiten werden. Über
den Trigger-Punkt Bahrain könnte auch der Iran seine Rolle erhalten. Dann
bestünde die Gefahr, dass sich der Westen dazu gezwungen sieht, nach
Afghanistan, Irak und Libyen eine vierte Front aufmachen zu müssen.
Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen
Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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