Der Wellenreiter
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Wellenreiter-Kolumne vom 21. Mai 2011
3-6-3 ist vorbei

Die „3-6-3-Regel“ ist ein geflügelter Spruch aus der Vergangenheit des US-Bank-Geschäfts: Zahle auf Konten 3 Prozent Zinsen, verleihe das Geld zu 6 Prozent und gehe nach getaner Arbeit um 3 Uhr nachmittags Golf spielen.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Absolut betrachtet befindet sich der US-Banken-Index in der Bewertung auf dem nominalen Niveau des Jahres 1996.

Die Banken hatten – nicht zuletzt dank der weiter steigenden US-Häuserpreise – die Krise der Jahre 2000 bis 2003 in robuster Manier überstanden. Das Ende des Hausbau-booms in den Jahren 2005/06 leitete zunächst eine Phase der relativen Schwäche, ab Mitte 2007 eine Phase der absoluten Schwäche ein. Nach dem vorläufigen Ende der Finanzkrise im Frühjahr 2009 zeigten die US-Banken nur kurzzeitig relative Stärke zum breiten Markt.

Betrachtet man heute die „Reste“ des US-Hausbau-Geschäfts, so stellt man fest, dass Kredite zwar weiterhin von Banken vergeben werden, diese aber rasch an die staatlichen Institutionen Fannie Mae und Freddie Mac weitergegeben werden. 90 Prozent aller neuen Hypotheken werden durch Fannie Mae und Freddie Mac – und damit durch den amerikanischen Steuerzahler - garantiert. Dies liegt deutlich über der historischen Norm. Der US-Hypothekenmarkt ist faktisch verstaatlicht. Private Banken fungieren in diesem Geschäft mehr oder weniger als Makler.

Hinüber nach Europa. Auf dem Taunus-Finanztreff in der vergangenen Woche hatten wir das Thema Griechenland intensiv diskutiert, genauso wie aktuell eine Fokussierung auf Griechenland in den Medien erfolgt. Man hat das natürliche Bedürfnis, eine Krise, die seit dem Herbst 2009 schwelt, jetzt endlich abzuschließen. Der Geduldsfaden steht auf allen Seiten – auch auf der Seite der griechischen Bürger – kurz vor dem Zerreißen. Auch der Markt drängt mit einem Zinssatz von 25% für zweijährige griechische Anleihen auf eine Lösung.

Es ist ein vollkommen menschliches Bedürfnis, eine Lösung herbeiführen zu wollen. Nur: Es gibt in diesem Fall keine Lösung ohne Schwund. Es ist keine Kunst vorherzusagen, was eine Umschuldung Griechenlands als Präzedenzfall für die übrigen „schwierigen Fälle“ Irland und Portugal bedeuten würde: Eine Kettenreaktion. Aber nicht mit ungewissem Ausgang, sondern mit dem Effekt, dass die Bankenlandschaft automatisch tief in den Sumpf hineingezogen werden würde. Zudem „gieren“ die Marktteilnehmer nach dem nächsten Kandidat Spanien, kurz dahinter würde Italien folgen. Dann droht das Finanz-system, das in 2008 noch einmal davon gekommen ist, zu kippen. Merkel, Sarkozy und Konsorten werden dies verhindern wollen, indem sie deutschen, französischen, spanischen, britischen, holländischen und anderen EU-Banken massive Finanzspritzen gewähren. Aber: Sie fürchten sich vor solchem Tun, denn sie fürchten ihr Volk.

In Griechenland und Spanien werden die Politiker schon jetzt zum Teufel gewünscht, gerade die jungen Leute wollen den ganzen Senf nicht mehr ertragen. Sie wollen einen Neuanfang. Ist auch verständlich, da die Jugend die Chance hat, sich in ihrer Lebensarbeitszeit noch etwas aufzubauen (im Gegensatz zu den Alten, die um ihre Besitzstände fürchten, weil sie keine Chance zum Wiederaufbau haben). Es ist bemerkenswert, dass zentrale Elemente des arabischen Frühlings auf den europäischen Boden (Spanien) übergegriffen haben: Versammlung auf einem zentralen Platz; Organisation der Demos via Internet; junge Leute gehen auf die Straße, die dies noch nie zuvor getan haben; das Gefühl in der Masse, recht zu haben; das Gefühl, dass die Polizei es nicht wagen wird, gegen die Demonstranten anzugehen; das Gefühl der Macht, tatsächlich mit Protesten eine große Aufmerksamkeit erregen zu können.

Und Deutschland und Frankreich? Werden die Deutschen und die Franzosen ruhig bleiben, wenn – wie 2008 - erneut Milliarden an Unterstützungszahlungen aus öffentlichen Mitteln an die Finanzinstitute fließen? Oder wird sich die Protestwelle, die in den arabischen Staaten ihren Ausgang nahm, über Spanien nach Frankreich und schließlich nach Deutschland ergießen? Wenn ein erneuter wirtschaftlicher Abschwung, eine wieder steigende Arbeitslosenzahl, eine schwierigere persönliche Situation der Menschen auf der einen Seite gekoppelt mit erneuten Milliardenzahlungen an Finanzinstitute oder an andere Staaten zusammentreffen, dann entstünde daraus ein explosives Gemisch, das wohl nur mit dem Ausbruch der französischen Revolution bzw. der Revolution von 1848 zu vergleichen wäre. Je unfähiger die Politik ist, die Schulden-problematik als das große Problem unserer Zeit zu lösen, desto mehr wird das Volk – bzw. einzelne, sich aus Protesten herauskristallisierende Gruppierungen – versuchen, die Dinge in eigene Hände zu nehmen.

Es ist vorstellbar, dass Schlagbäume bald wieder geschlossen werden (Schengen ade). Die deutsche Bewegung, die den Rausschmiss Griechenlands, Portugals oder Irlands aus Euroland fordert, bildet die „Anti-Schengen-Speerspitze“. Diese Bewegung wird – sollten sich die Ereignisse so wie von uns skizziert entwickeln - Zulauf bekommen.

Wenn wir es nicht schaffen, Europa zusammenzuhalten, wird Europa weltweit nur noch eine geringe Rolle spielen. Wir würden dauerhaft kleinteilige Konfliktfelder mit unseren Nachbarstaaten eröffnen. Dies würde eine Menge Kraft – auch politische und wirtschaft-liche Kraft - binden. Ich erinnere daran, dass Deutschland noch vor acht Jahren der kranke Mann Europas war. Kämen wir nochmals in eine solche Situation (bei unserer Demographie sehr wahrscheinlich), dann würde uns Deutschen – wenn die „Anti-Schengen-Bewegung“ an die Macht käme - niemand mehr helfen wollen. Ein isoliertes, nur den eigenen Zielen verpflichtetes Deutschland kann sich heute keiner mehr vorstellen, war aber lange Zeit ein Normalfall. Ergo: Zum vereinten Europa gibt es für Deutschland keine Alternative.

So, wie sich die Dinge entfalten, steuern die Märkte auf einen sich beschleunigenden Kulminationspunkt zu. Der Markt wird uns führen. Achten wir auf die Proteste, die Entwicklung des Euro, die Zinsstrukturkurven und die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. In Spanien beginnt das Fass überzulaufen, in Deutschland fehlen noch einige Ingredienzien.

Nochmals: Am Ende des Tages brauchen wir eine tragfähige politische Lösung. Diese wird für alle Staaten und deren Bürger Härten auslösen. Sie wird nicht unterhalb einer grundsätzlichen Neuordnung des Finanzsystems unter Einbeziehung der Finanzinstitute zu haben sein. Ängste vor einer solchen Neuordnung sind berechtigt, die Älteren unter uns haben einiges zu verlieren. Aber die Jugend braucht den Neuanfang und damit eine neue, solide Finanzordnung.

Sie braucht Rahmenbedingungen, auf deren Grundlage – möglichst in einem noch enger verzahnten Europa – Lebensläufe planbar sind und sich entwickeln können. Die Jugend hat keine Angst, sie will eine Lösung.

Niemand  kann sagen, was genau am Ende des Tages der entwickelte Lösungsstand sein wird. Ob es demnächst einen neuen Goldstandard geben wird? Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Was will die Jugend mit Gold, dem Angstmetall der mittelalten und älteren Männer? Was will sie mit Silber?

Stattdessen erhofft sich der aktive Teil der Jugend eine gute Karriere und ist in der Regel bereit, dafür hart zu arbeiten. Man träumt von freier Energie für alle, von Elektroautos, von neuen Robotern oder von Dingen, die Bill Gates und Steve Jobs auf ihre Art erträumt, entwickelt und verwirklicht haben. Da sprechen wir über die Realwirtschaft, nicht über die Finanzwirtschaft. Wer will heute schon Banker werden? (Es gibt sie noch, aber der Ruf der Branche hat gelitten).

Wir brauchen eine Finanzwirtschaft, die – wie früher – der Realwirtschaft unterstützend zuarbeitet, aber kein Selbstzweck an sich darstellt. Eine durchaus nicht kleine Anzahl an Vermögensberatern drückt den Leuten nicht notwendige Produkte auf. 90 Prozent der von Banken ausgegebenen Zertifikate oder Optionsscheine werden kaum oder gar nicht gehandelt, sie füllen nur Computerlisten. Wir brauchen eine Finanzwirtschaft, die auf ein vernünftiges Maß zurückschrumpft. Der relative Bedeutungsverlust der Bankenlandschaft im Vergleich zum amerikanischen Leitindex S&P 500 (nächster Chart) wird durch den folgenden Chart dargestellt.

Die Abwärtsfahrt scheint noch lange nicht beendet.

Fazit: Das 3-6-3-Modell hat schon längere Zeit ausgedient. Die Bankenlandschaft erleidet seit dem Beginn der Finanzkrise einen Bedeutungsverlust, der nicht zyklisch, sondern strukturell bedingt ist. Risiken – wie dasjenige des US-Hypothekengeschäfts – sind von den Banken auf den Staat übergegangen und verbleiben auch dort. Wenn Banken keine finanziellen Risiken mehr tragen müssen, ist das ursprüngliche Geschäftsmodell in Frage gestellt. Der relative Bedeutungsverlust zum breiten Markt ist nur folgerichtig.

Es ist wichtig, dass die Jugend sich zu äußern beginnt. Sie haben jedes Recht, dies zu tun. Je länger die „Alten“ mit einer Lösung zögern (die wie eine Wahl zwischen Pest und Cholera ist, keine Frage), desto stärker und lauter werden die Forderungen der Jugend durchdringen. Junge Leute können mit einem grundsätzlichen Neuanfang gut leben (die Protagonisten der französischen Revolution waren jung, Robespierre war bei Ausbruch der Revolution 32 Jahre alt). Eine tragfähige politische Lösung für die Verschuldungskrise wird nicht unterhalb einer grundsätzlichen Neuordnung des Finanzsystems unter Einbeziehung der Finanzinstitute zu haben sein. Die Einführung eines Goldstandards erscheint unwahrscheinlich. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

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