Wellenreiter-Kolumne vom 4. Juni 2011
Niemand kontrolliert den Wirtschaftszyklus
„Die USA haben das neue Paradigma eines ununterbrochenen Wachstums
erreicht“. So oder so ähnlich lauteten die Schlussfolgerungen einiger
Analysten im Sommer 1999.* „Der Zyklus ist verschwunden“, hieß es im
Januar 1987 in der NY-Times.**
Offensichtlich sorgen längere
Perioden unterunterbrochenen Wirtschaftswachstums für derartige (Fehl-)
Einschätzungen. Zudem hatte die US-Fed im Herbst 1998 die Märkte mit einer
für die damalige Zeit großen Liquiditätsspritze gerettet, sodass das
Vertrauen in die US-Zentralbank hoch war. Im Frühjahr 2000 markierte der
Aktienmarkt ein wichtiges Hoch. Es folgte eine Rezession. Aus dem Jahr
1987 ist der Herbst-Crash bei den Älteren noch in guter Erinnerung.
Niemand kontrolliert den
Wirtschaftszyklus, erst recht nicht die Zentralbanken. Seit 1854 (Beginn
der US-Rezessionsstatistik) blieb nicht eine Dekade rezessionsfrei. Seit
dem Ende des zweiten Weltkriegs fanden 11 US-Rezessionen statt. 11
Rezessionen in 60 Jahren bedeuten etwa alle 5,5 Jahre eine Rezession (oder
zwei Rezessionen pro Dekade).
Wie die Statistik des NBER
(National Bureau of Economic Research der USA) weiter zeigt, verteilen
sich die Rezessionen ungleich. In den 1990er Jahren kam es lediglich
zu einer Rezession. Die vergangene Dekade lag mit zwei Rezessionen im
Durchschnitt. Angesichts der keineswegs gelösten Krisensituationen in den
Industrieländern (Staatsverschuldung, teilweise hohe Arbeitslosenquoten,
Abhängigkeit vom Export) wäre es verwunderlich, wenn die laufende Dekade
nicht von zwei Rezessionen getroffen werden würde.
Ein Blick auf das
US-Verbrauchervertrauen (Bloomberg-Consumer-Comfort-Index) zeigt, dass der
statistisch erfasste Übergang von der Rezession zum Wirtschaftsaufschwung
im Sommer 2009 gefühlt schlichtweg nicht stattgefunden hat.
Einer Arbeitslosenquote von
9,1% plus Tankstellenpreise nahe 4 US-Dollar pro Gallone lassen auch kein
anderes Verhalten erwarten.
An den Anleihenmärkten setzt
sich die Einpreisung eines konjunkturellen Abwärtstrends fort. Wie sonst
ist es zu erklären, dass die Rendite 10jähriger US-Anleihen in der
vergangenen Woche unter drei Prozent gefallen ist? Gleichzeitig befindet
sich die US-Inflationsrate im Aufwärtstrend. Für den Juni erscheint eine
offizielle US-Inflationsrate von 3,3 Prozent realistisch. Ist die
Inflationsrate höher als die Anleihenrendite, spricht man von einem
negativen Realzins. Wie der folgende Chart zeigt, ist ein negativer
Realzins ein guter voraus laufender Indikator für das
US-Wirtschaftswachstum.
Nach diesem Chart befindet
sich die US-Wirtschaft auf dem Weg in eine Abkühlungsphase. Unterstützung
erhält dieses Szenario durch die Ratio der zyklischen zu den
nicht-zyklischen Indikatoren. Dies markierte ihr Hoch bereits im Februar
und zeigte somit eine negative Divergenz zum S&P 500.
An nicht-zylischen
Konsumgütern (u.a. Nahrungsmittel, Getränke) kann in Abschwüngen
naturgemäß weniger gespart werden als an zyklischen Konsumgütern (u.a.
Autos, Häuser, Haushaltsgegenstände). Deshalb ist der obige Chart ein
wichtiger Fingerzeig im Hinblick auf eine bereits begonnene
Abschwungphase.
Fazit: Das
Verbrauchervertrauen bleibt auf niedrigem Niveau, die Anleihenmärkte
preisen eine wirtschaftliche Abkühlung ein, die Ratio der zyklischen zu
nicht-zyklischen Konsumgütern bestätigen diese Einschätzung. Die
Beruhigungstablette, wonach die Fed jederzeit mit dem Aufsetzen eines
weiteren Quantitative Easing-Programms (QE 3) eine wirtschaftliche
Abkühlung verhindern kann, ist im Markt weit verbreitet. Die historische
Erfahrung zeigt jedoch, dass sie Rezessionen nicht verhindern kann. Der
Wirtschaftszyklus lebt, und er verfügt über eine eigene Dynamik.
Die praktische
Schlussfolgerung lautet: Das Jahr 2012 erscheint stark
rezessionsgefährdet. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in
unserer handelstäglichen Frühausgabe.
*
http://tinyurl.com/69utj4d
**
http://tinyurl.com/6gnwdvl
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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