Wellenreiter-Kolumne vom 23. Juli 2011
Jahrhundert-Korrelation aus dem Tritt
Jahrhunderte lang stimmte der
Gleichklang zwischen Inflationsentwicklung, der Entwick-lung der
Rohstoffpreise sowie der Renditeentwicklung überein. Stiegen die
Rohstoffpreise an, zog die Inflation nach. Und folgerichtig fielen die
Anleihen (abnehmende Liquidität), die Renditen zogen an (folgender Chart).
Der erste Bruch im System
erfolgte zwischen 1980 und
2000. In dieser Zeit fielen Renditen und
Rohstoffpreise. Dies hätte gemäß dem traditionellen Gleichklang eine
Deflation zur Folge haben müssen. Stattdessen hielten sich die
Finanzmärkte in den USA und Europa in einem disinflationären Umfeld auf:
Die Inflationsrate war zwar niedrig, lag aber oberhalb der Null-Linie in
einem „Idealkorridor“ von 2 bis 4 Prozent. Historisch betrachtet bietet
ein solcher Korridor ein günstiges Umfeld für die Entwicklung von
Aktienmärkten. Der Zeitraum von 1980 bis 2000 gilt als einer der längsten
Haussephasen für den DAX und den Dow Jones Index.
Der zweite Systembruch kam mit
der Milleniumswende. Etwa ab dem Jahr 2000 begannen die Rohstoffpreise
weltweit deutlich anzusteigen. Nach dem oben beschriebenen Zusammenhang
hätten die Inflationsraten deutlich auf fünf Prozent oder mehr anziehen
müssen. Gemäß den offiziellen Veröffentlichungen taten sie dies nicht.
(Betrachtet man die Schatten-Inflationsstatistiken, so kam es sehr wohl zu
deutlich steigenden Inflationsraten.) Aber: In diesem Zeitraum kam es
zweimal (2002 und 2008) zu deflationären Szenarien.
Entscheidend ist jedoch etwas
anderes: Gemäß den Korrelationen hätten die Anleihemärkte in der
vergangenen Dekade weltweit eine Baisse erleben müssen, was steigende
Renditen zur Folge gehabt hätte. Stattdessen fielen die Renditen (grüne
Linie obiger Chart). Und sie fallen bis heute.
Eine solche Entwicklung ist
„unnatürlich“. Die Antwort darauf, warum sich die Weltmärkte so
entwickelten, liegt in Fernost, aber auch in Europa. Japans Probleme
begannen mit dem Platzen der Aktienmarkt- und Immobilienblase im Jahr
1990. In der Folgezeit wurde von staatlicher Seite
immer wieder Liquidität in den Märkte gegeben. Sie verhinderte, dass die
Renditen stiegen. Die niedrigen Renditen zogen Investoren und Spekulanten
an, die sich billig im Yen verschuldeten und US-Staatsanleihen kauften
(der sogenannte Yen-Carry-Trade). Die Nachfrage nach US-Staatsanleihen
sorgte für fallende Zinsen.
Später kam der wirtschaftliche
Aufstieg Chinas hinzu. Es entstand eine gegenseitige US-chinesische
Abhängigkeit: Chinesische Exporterlöse wurden in US-Staatsanleihen
angelegt, was die Nachfrage nach US-Staatsanleihen aufrecht erhielt und
die US-Renditen weiter drückte. Heute sind Japan und China die mit Abstand
größten Halter von US-Anleihen.
Der Anteil Japans und Chinas
am Aufbau der US-Hausbaublase war nicht gering. Denn durch die dauerhaft
billigen Zinsen entwickelte sich eine Mentalität, wonach auch kaum
kreditwürdige Hausbauer ein preiswertes Darlehen bekommen konnten. Nach
dem Platzen der Hausbaublase versiegten die Liquiditätsschübe von Japan
und China in die USA nicht. Zusätzliches Kaptial kam von die US-Regierung
und der Fed, die staatliche bzw. monetäre Programme auflegten (man denke
an „Quantitative Easing“).
In Europa baute sich ein
ähnliches Bild hoher Liquidität auf, aber aus einem anderen Grund. Im
Vorfeld der Euro-Einführung im Jahr 1999 kam es seit Mitte der 199er Jahre
zu einem „Konvergenz-Trade“ (nächster Chart).
Die Renditen griechischer,
spanischer, portugiesischer, italienischer und irischer Staatsanleihen
fielen auf das Niveau deutscher Staatsanleihen. Euroland wurde als Ganzes
betrachtet und mit einer hohen Bonität bewertet. Niedrige Zinsen führten
in den genannten Ländern zur vermehrten Inanspruchnahme von Krediten. In
Spanien kam es – ähnlich wie in den USA – zu einer Hausbaublase.
Vornehmlich in Folge des
Platzens der US-Hausbaublase drohte das Weltfinanzsystem im Jahr 2008 zu
kollabieren. Der massive Einsatz staatlicher Liquidität verhinderte dies
damals. Allerdings war der Preis für die Rettung hoch: Die
Staatsverschuldungen der Industrieländer stiegen dramatisch an.
Der Konvergenz-Trade in der
Eurozone war nicht mehr haltbar. Die Renditen der so genannten
PIIGS-Staaten zogen an. Das Herausziehen der Liquidität führte zu
deflationären Entwicklungen. Eine Folge: Die PIIGS-Aktienmärkte weisen bis
heute eine unterdurchschnittliche Entwicklung gegenüber dem DAX bzw. den
BRIC-Staaten auf (nächster Chart).
Fazit: Die niedrigen Renditen
sind ein „unnatürlicher“ Zustand. Dieser hat im Platzen der Blase in Japan
1990 und den darauffolgenden Yen-Carry-Trade, in der Anlage chinesischer
Liquiditätsreserven in US-Anleihen sowie in der Einführung des Euro
(„europäischer Konvergenztrade“) seine Ursache.
„The chicken comes home to
roost“, lautet ein englischsprachiges Sprichwort. Dinge, die man früher
getan hat, beginnen jetzt, Probleme zu bereiten. Der Kreis schließt sich.
Genauso wie sich der Konvergenztrade jetzt rächt und die Europäer in
Schwierigkeiten bringt, könnte auch das damalige Handeln der Japaner und
Chinesen folgen haben. Da der Yen gegenüber dem US-Dollar Rekordstärke
zeigt und somit viel Kapital in den Yen und nach Japan fließt, bleiben die
dortigen Renditen trotz der hohen Verschuldung aktuell vergleichsweise
niedrig.
Doch China könnte es treffen.
Auf dem oberen Chart ist gut zu erkennen, dass die BRIC-Staaten gegenüber
dem DAX seit etwa einem Jahr relative Schwäche zeigen. Ein Blick auf die
chinesische Zinsstrukturkurve (nächster Chart) zeigt eine sich
verringernde Differenz zwischen den Renditen am kurzen und langen Ende.
Dabei steigen die Renditen
sowohl am kurzen als auch am langen Ende in den vergangenen Wochen
deutlich an. Aktuell befindet sich die Rendite 10jähriger chinesischer
Staatsanleihen bei 4,11% (vor einem Monat: 3,87%), diejenige 2jähriger
Anleihen bei 3,73% (vor einem Monat: 3,20%). Würde die Rendite 2jähriger
Anleihen über die Rendite 10jähriger Anleihen steigen, so würde sich eine
sogenannte negative Zinsstrukturkurve ergeben. Eine solche Zinsstruktur
ist allgemein ein Zeichen wirtschaftlicher Abschwächung beziehungsweise
einer Rezession.
Bei Wachstumsraten zwischen 9
und 10 Prozent verbietet es sich für China, von einer Rezessionsgefahr zu
sprechen. Aber selbst eine Abkühlung auf 5 bis 6 Prozent würde für die
Weltwirtschaftsentwicklung bereits einen empfindlichen Schlag bedeuten,
insbesondere auch für die immer mehr von China abhängige deutsche
Exportindustrie.
Niemand weiß, wie lange die
Korrelation zwischen Rohstoffpreisen und Renditen noch aus dem Tritt
bleibt. Der Hang zu steigenden Renditen - und damit die Rückkehr zur
Normalität - ist in vielen Teilen der Welt (BRIC-Staaten, PIIGS-Staaten)
erkennbar. In den beiden absolut am höchsten verschuldeten Ländern der
Welt – USA und Japan – steht die Rückkehr zu steigenden Renditen noch aus.
Würde der chinesische Motor ins Stottern kommen, würden die Exporterlöse
nicht mehr so reichlich in US-Anleihen fliessen. Dies dürfte zu steigenden
US-Renditen führen. Die über Jahrhunderte gültige Normalität wäre wieder
hergestellt. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer
handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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