Wellenreiter-Kolumne vom 30. Juli 2011
Der Aufbau der Sicherheitspuffer
Will ein Sportler möglichst weit springen, werfen oder schießen, so
versucht er, zuvor ein Maximum an Energie zu speichern, um diese im Moment
der Sprungs, Wurfs oder Schusses abzugeben. Ein Speerwerfer versucht, die
durch den Anlauf erzeugte Energie von den Beinen über den Rumpf auf
Schulter und Arme zu übertragen. Es ist wichtig, die aufgestaute Energie
geballt erst im Moment des Wurfs abzulassen. Der Arm wird bis zum letzten
Moment hinten gelassen, bevor die Energie komplett auf den Speer übergeht.
In der Anlaufphase kommt es darauf an, möglichst viel Energie zu
speichern. Ähnliche biomechanische Vorgänge wirken beim Weitsprung, im
Handball („Sprungwurf“), im Fußball „(die Kraft wird von der
Ausholbewegung der Arme über den Rumpf auf das Schussbein übertragen“) und
auch beim Golfspiel.
Was haben diese Zusammenhänge
mit den Finanzmärkten zu tun? Betrachtet man Liquidität als die Energie
des Finanzsystems, so ist aktuell auf allen Ebenen der Aufbau („die
Speicherung“) von Liquidität zu erkennen. Um im Bild des Sportlers zu
bleiben: Der Speer hat den Wurfarm des Sportlers noch nicht verlassen, die
Energie wird noch aufgebaut. In einer solchen Phase erhöhen die Banken ihr
Eigenkapital, Kredite vergeben sie kaum. In einer solchen Phase reduzieren
die Privatleute ihren Konsum, zahlen Kredite ab und sparen den Rest. In
einer solchen Phase bauen Unternehmen Liquiditätspolster auf, ohne neue
Mitarbeiter einzustellen.
Konkret bedeutet dies: Die
Banken parken 1,6 Billionen US-Dollar mit einer Rendite von 0,25% bei der
Fed, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, die Liquidität in den
Wirtschaftskreislauf abgeben zu wollen.
Es bedeutet auch: Die
Geldmengen steigen, insbesondere die Geldmenge M1 („Cash“). Geld wird auf
dem Sparkonto gelassen oder unter die Matratze gesteckt, obwohl die
Verzinsung null oder marginal ist. Die US-Geldmenge M1 (grün; folgender
Chart) verzeichnet derzeit ein Wachstum von 14,5% gegenüber dem
Vorjahresmonat.
Der frühere Fed-Chef Alan
Greenspan beklagt in einem Artikel für die FTD den Aufbau von
Sicherheitspuffern - so nennt er die Speicherung der Liquidität - als
Schmälerung unseres Wohlstands.
http://tinyurl.com/3pt4cuu
Nun ist der Aufbau von
Sicherheitspuffern nach einer Krise wie in 2007/08 völlig normal. Zyklisch
betrachtet wächst die Geldmenge nach einer Rezession zunächst schlagartig
an, bevor die Zuwachsraten nachlassen und die Liquidität das
Wirtschaftswachstum anzutreiben beginnt.
Wären die Finanzmärkte ein
geschlossenes System, könnte man sicher sein, dass diese Speicherung von
Liquidität das Wirtschaftswachstum in der nächsten Aufschwungphase enorm
beschleunigen würde (auch die Inflationsrate würde deutlich anziehen).
Doch das System ist nicht
geschlossen. Leistet ein Staat oder ein Unternehmen den Offenbarungseid,
so geht der Großteil der „gespeicherten Liquidität“ verloren.
Auch der Gedanke der
Energieerhaltung, wonach das Kapital lediglich von einem Anleger auf den
anderen übergeht, ist falsch. Im Herbst 2008 wurden durch den Fall der
Börsen weltweit etwa 30 Billionen US-Dollar vernichtet. Der Puffer wurde
schlagartig entleert, konnte aber in der Hausse seit dem Frühjahr 2009
wieder aufgebaut werden.
Einer der größten
Pufferaufbauten weltweit findet in der Flucht in US-Staatsanleihen als
vorgeblich sicherer Hafen seine Erfüllung. Charttechnisch bewegen sich die
10jährigen US-Anleihen auf die Marke von 128 Punkten (obere blaue Linie
folgender Chart) zu.
Es ist der dritte Anlauf an
diese Marke. Der dritte Anlauf ist häufig erfolgreich. Dies würde Renditen
zwischen 2 und 2,5 Prozent bedeuten. Damit bekäme man auf Renditeebene in
den USA fast Schweizer Verhältnisse.
Fazit: Die steigende
Geldmenge, das Überschusskapital bei der Fed sowie der Hang zum Erwerb von
US-Staatsanleihen weisen auf einen gut gefüllten Finanzspeicher der
Welt-märkte hin. Die Angst vor Staatsinsolvenzen führt dazu, dass
Risikopuffer länger als in früheren Zyklen aufrecht erhalten werden. Eine
Reaktion wie beim Speerwerfen (erst Energieaufbau; im Wurf Energieabgabe)
kann nur dann erfolgen, wenn das Finanzsytem ein geschlossenes System
wäre. In diesem Fall kämen Inflation und Hyperinflation zu ihrem Recht. Da
jedoch durch Defaults und Verluste an den Finanzmärkten Kapital vernichtet
werden kann, ist ein Vergleich der Finanzmärkte mit dem Sport nur bedingt
hilfreich. Dennoch gehen wir davon aus, dass die Puffer ausreichen werden,
um einen Fall von DAX und S&P 500 unter das Tief vom März 2009 vermeiden
zu können. Der größte Puffer – die steigenden Bondsmärkte – dürfte das
höchste Risiko beinhalten. Mittelfristig dürften die Bondsmärkte fallen
und die Renditen anziehen.
Eine weitere Form des
Risikopufferaufbaus betreibt die Bundesregierung. Der Tsunami in Japan
führte dazu, dass einige Nationen (allen voran Deutschland) den
Risikopuffer für einen möglichen Atomunfall massiv ausgebaut haben. Zur
Vermeidung eines relativ seltenen Ereignisses wird die Verteuerung der
Energie in Kauf genommen. Würde sich Deutschland in einer Wirtschaftskrise
befinden, würde man nicht über die Atomenergie, sondern über die mit dem
Ausbau des Sicherheitspuffers verbundenen Kosten für den Verbraucher
diskutieren. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer
handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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