Wellenreiter-Kolumne vom 13. August 2011
Politik und Kapital
Würden die reichsten Bundesbürger zwei Drittel ihres Vermögens an den
Staat „spenden“, ohne die Spenden beim Finanzamt abzusetzen, so wäre
Deutschland schuldenfrei. Die Rechnung geht so: Einer öffentlichen
Verschuldung von 2 Billionen Euro steht ein Gesamtsparvermögen der
Bundesbürger von knapp 5 Billionen Euro gegenüber. Während die öffentliche
Verschuldung gleichmäßig auf die Bundesbürger verteilt ist (etwa 24.000
Euro pro Kopf), ist die Vermögensverteilung asymmetrisch. Das oberste
10%-Dezil der Bundesbürger hält ein Vermögen von 61,1% (2007) des
Gesamtvermögens. Das entspricht etwa 3 Billionen Euro. Zwei Drittel von 3
Billionen Euro entsprechen der aktuellen Verschuldung von 2 Billionen
Euro.
So verlockend diese Rechnung für manche klingen mag: Sie berücksichtigt
weder die Auswirkungen auf Investitionen und Konsum sowie die Möglichkeit,
sein Geld außerhalb Deutschlands anlegen zu können. Aber es ist klar, dass
solche Zahlenspiele – wie sie von einigen Wirtschaftswissenschaftlern gern
genannt werden - in bestimmten politischen Kreisen einen Resonanzboden
entwickeln.
Die Politik kennt im Bezug auf Finanzpolitik zwei Strömungen: Links und
rechts, oder auch: Sozial und konservativ. Bei vielen jüngeren Menschen
schlägt das Herz eher links (Grund: viel Empathie, wenig Vermögen),
während mit zunehmenden Alter und Vermögensaufbau konservative Ansichten
in den Vordergrund rücken. Der Wunsch nach Flachbildschirmen scheint in
Teilen der britischen Jugend fest verankert zu sein. Man nimmt sich das
Recht, zu besitzen, was man sich nicht leisten kann. Hier findet eine
Umverteilung statt - ein integraler Bestandteil einer Revolte oder
Revolution.
Von der Gleichheit – einem Ideal der französischen Revolution – ist
Deutschland weit entfernt. Großbritannien und die USA sind es noch viel
mehr. Nicht zufällig hat dort die Finanzindustrie eine größere Bedeutung
als in Deutschland. Der Beitrag der Finanzindustrie zum BIP ist
überproportional hoch, gemessen an den Arbeitsplätzen. In der Schweiz
existiert eine Diskussion, wonach davor gewarnt wird, die hohen
BIP-Beiträge der Schweizer Finanzindustrie für voll zu nehmen, da –
gemessen am BIP – in der Finanzindustrie im Verhältnis zur Realindustrie
nur wenig Arbeitsplätze existieren. Die Spitze der Verdiener findet man
hauptsächlich in der Finanzindustrie, das ist in Deutschland - dank der
Stärke der Realindustrie - anders.
Die Politik ist stets stärker als das Kapital, sie kann Gesetze erlassen.
Der Vorteil des Kapitals ist bisher, dass die Politik im Bezug auf die
Finanzkrise über wenig fundiertes Fachwissen verfügt. Man befrage mal
einen durchschnittlichen Bundestagsabgeordneten zur Finanzkrise.
In der Politik sitzen Volksvertreter. Wie der Name schon sagt, vertreten
sie die Stimme des Volkes. Man fragt in der Politik stets, ob man das, was
man tut, dem Volk auch verkaufen kann. Wenn die Schmerzen der Abgeordneten
in ihren Wahlkreisen ob einer Entscheidung zu groß werden, lässt man es.
Deutschland wird derzeit von vielen Staaten als wirtschaftliches Vorbild
beneidet. Auch die USA setzen alles daran, Ihre Wirtschaft so zu
strukturieren, dass deutsche Exporterfolge kopiert werden können. Aber sie
verfügen weder über das geeignete Ausbildungssystem noch über
entsprechende gewachsene Strukturen.
Die überproportionalen Verluste des DAX an den Aktienmärkten sollten als
das wahr genommen werden, was sie sind: Als Warnsignal. Der DAX ist ein
Optionsschein auf die Weltwirtschaft. Schwächt sich das Wachstum der
Weltwirtschaft ab, verliert der DAX überproportional. Arbeitslosigkeit ist
– gemäß der offiziellen Statistik – in Deutschland derzeit kein Thema.
Dies dürfte sich jedoch ändern. Der Zusammenhang zwischen
Jugendarbeitslosigkeit und revolutionärem Potential ist bekannt. Man kann
die Unruhen der 1930er Jahre im Gefolge des Crashes von 1929 klar mit dem
damaligen Anstieg der Arbeitslosenquoten in Zusammenhang bringen, ob in
den USA, in Großbritannien oder in Deutschland.
Die aktuelle Politik reflektiert Volksstimmungen. In Großbritannien dürfte
nach den Unruhen ein gedanklicher Prozess einsetzen, etwa nach dem Motto:
„War es richtig, die Ausgaben im Gefolge der Finanzkrise von 2007/08
dermaßen zusammenzustreichen? Haben wir nicht eine Verantwortung dafür,
dass eine derart aggressive Unterschicht gar nicht erst entstehen kann? So
dürfte das „Herz der Briten“ in den kommenden Wochen und Monaten in
Richtung „links“ pendeln. Woher jedoch das Geld nehmen, um soziale
Programme fahren zu können? Die Steuern für die Wohlhabenden erhöhen?
Vorstellbar. Und wenn das nicht reicht? Dann wird Geld gedruckt, was
mittelfristig zu höheren Inflationsraten führt. Doch die Erfahrung zeigt:
Die Wohlhabenden können sich einigermaßen vor Inflation schützen, die
unteren und mittleren Schichten nicht. Inflation ist ein Mittel, das
Volksaufständen weiteren Vorschub leistet.
Aufstände sind so ziemlich das letzte, womit die Politik konfrontiert
werden möchte. Ob in China in Großbritannien, in Spanien oder auch in
Deutschland. Also wird die Politik näher an das Volk heranrücken. Eine
Sondersituation ergibt sich in den USA. Dort werden die Werte der
Gründerväter durch die Tea Party-Bewegung hochgehalten. Die Tea-Party
setzt sich für eine schwächere Rolle des Staates ein. Die Bewegung ist
eine rechte, konservative Bewegung. Ausgabenkürzungen sind per se
deflationär. Auch wenn die Amerikaner in ihrer Mehrheit derzeit nichts von
staatlichen Konjunkturprogrammen wissen wollen: Die Zeit einer
Gegenbewegung zu Tea Party wird kommen. Es werden überwiegend jüngere,
sozial schwächere sein, die sich der Tea Party entgegenstellen werden.
Noch vor der Wahl im November 2012 könnte diese Bewegung entstehen. Zur
Wahl käme es zum „Showdown“ zwischen der Tea Party und den sozial
Schwachen bzw. Ausgegrenzten. Zur Tea Party und den Implikationen siehe
auch unsere Kolumne: „Retter und Reaktionäre“ aus dem vergangenen Oktober
http://tinyurl.com/323fflm
Welche Rolle spielen in diesem Umfeld die Banken? In der „Welt“ wird ein
interessantes Buch des Historikers Götz Aly besprochen
http://tinyurl.com/3uhsk29:
„Die Kraft, aus der sich der Judenhass speist, sei der Neid. Die
"Rassentheorie" von der Minderwertigkeit der Juden sei nur darüber
gestülpt worden, um dem Neid eine gesellschaftlich akzeptable Begründung
zu verpassen“, heißt es dort. Der Aufstieg der Rothschilds ist das
Paradebeispiel eines Weges aus beengten Verhältnissen im Frankfurter
jüdischen Ghetto zu einer großen Bankiers-Dynastie. Schon vor der
Finanzkrise vorhandene Neid- und Missgunstgefühle gegenüber den Banken
sind durch die Finanzkrise und die Bail-Outs durch den Staat verstärkt
worden. Es ist anzunehmen, dass sich die Antipathie gegenüber den Banken
in den kommenden Monaten weiter verstärken wird, sollten die politischen
Strömungen links und rechts des Mainstreams hinzugewinnen. Ein System
verstaatlichter Geld- und Kreditverwaltung ist durchaus vorstellbar.
Während die Gesellschaft in Zeiten des Aufschwungs einer breiten Strömung
ohne große Konturen gleichkommt, zerfällt sie in einem länger andauernden
Abschwung in Untergruppierungen. Diese entwickeln spitz zueinander
stehende Lösungsansätze für ein weiteres gesellschaftliches Miteinander.
Sich schärfende Konturen führen zu gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen.
In Zeiten, in denen die Ungleichverteilung von Arbeitsplätzen und
Einkommen zunimmt, entwickeln sich Verteilungskämpfe, die von den Parteien
aufgesogen werden. Eine nicht ganz unwichtige Frage steht im Raum: Es geht
darum, wer die Zeche der Verschuldung zahlt. Die Wohlhabenden – die sich
mit Gold oder Sachwerten gegen Inflation schützen – müssten ein Interesse
haben, Inflation zuzulassen. Die unteren und mittleren Einkommensschichten
müssten Inflation fürchten. Sie dürften an Einkommenssteuer-Erhöhungen
bzw. an der Wiedereinführung der Vermögenssteuer interessiert sein. Die
politische Debatte wird diese Strömungen auch in Deutschland reflektieren.
Der Rückgang der Linken ist der vergleichsweise geringen Arbeitslosigkeit
in Deutschland zu verdanken. Das kann und wird sich mit der nächsten
Rezession verändern. Steuererhöhungen insbesondere im oberen
Einkommenssektor werden weltweit als eine Lösungsmöglichkeit für die
Verschuldungskrise angesehen werden.
Die Partei „Die Linke“ spielt aktuell kaum eine Rolle. Wenn heute
Bundestagswahlen wären, würde die Partei einen Anteil von 7% erreichen. Im
Wirtschaftskrisenjahr 2009 erreichte die Linke einen Anteil von 13%.
Profiteure des seit Mitte 2009 laufenden Aufschwungs sind die Grünen als
„Wohlfühlpartei“. In einer Phase des wirtschaftlichen Abschwungs dürfte
die Linke als „Unwohlfühlpartei“ ähnliche Prozentwerte erreichen wie heute
die Grünen. Wir haben diese Zusammenhänge bereits im Jahr 2004 in unserer
Kolumne namens „Rechts, Links, Bürgerlich“ beschrieben:
http://tinyurl.com/7ezsjz
Verfolgen Sie die
Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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