Der Wellenreiter
                          Wirtschaftsthemen der Zeit

 

 

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Wellenreiter-Kolumne vom 20. August 2011
Der Faktor Zeit in Bärenmärkten

Offensichtlich müssen die Finanzsysteme der Industrienationen etwa alle 75 Jahre so richtig durchgeschüttelt werden, damit ein neuer Aufwärtszyklus beginnen kann. So jedenfalls stellt es sich dar, wenn man die folgende Tabelle betrachtet. 

Übersicht über bisherigen große Finanz- und Wirtschaftskrisen

Jahr

Differenz

 

1637

84

Tulpenmanie

1721

72

Südseeblase

1793

64

Panik von 1797

1857

75

Erste Weltwirtschaftskrise

1932

76

Große Depression

2008

72

Finanzkrise

Die Auflistung der Krisen ist sicherlich nicht vollständig. Aber wer will bestreiten, dass die „Great Depression“ die letzte große globale Finanz- und Wirtschaftsdepression war? Und dass diese erst mit dem Eintritt der USA in den zweiten Weltkrieg endete? Die erste Weltwirtschaftskrise (mit der Panik von 1857) war ein weltweites, in den damals jungen Industriestaaten wütendes Phänomen, die erst mit dem fortschreitenden US-Sezessionskrieg ihr allmähliches Ende fand. Man könnte folgern, dass zwangläufig auf große Finanz- und Wirtschaftskrisen kriegerische Auseinandersetzungen folgen. Diese Zwangsläufigkeit ist jedoch nicht belegt. Im Gefolge der Südseeblase kam es zu einer Rezession und auch zu Unruhen, aber nicht zu einem ausgewachsenen Krieg. Klar ist jedoch, dass wirtschaftliche Depressionen das Potential zu Unruhen und Kriegen in sich tragen. 

Die aktuelle Krise reicht an die Bedeutung der zuvor aufgelisteten Krisen heran. Wenn diese Einstufung richtig ist, so muss man die Frage nach dem Faktor Zeit stellen. Nehmen wir weitere große Bärenmärkte hinzu, so lassen sich für die folgenden Bärenmärkte Zeiteinheiten beschreiben.

Bärenmärkte

Periode

Dauer in Jahren

realer Verlust %

1966 – 1982

16

73 (inflationär)

1929 – 1932

3

85 (deflationär)

1906 – 1921

15

69 (inflationär)

1853 – 1857

4

66 (deflationär)

1835 – 1842

7

70 (deflationär)

2000 - ???

11 (bisher)

54 (bisher)

Durchschnitt

9

73

Üblicherweise dauern inflationäre geprägte Bärenmärkte zwischen 10 und 15 Jahren (Beispiel 1970er Jahre). Deflationär geprägte Märkte neigen zu scharfen Abwärtsbewegungen, allerdings wird das inflationsbereinigte Tief sehr viel schneller (nach 3 bis 7 Jahren erreicht; Beispiel 1929 ff.). 

Die Bestimmung des aktuellen Bärenmarktes hängt davon ab, ob man ihn im Jahr 2000 oder im Jahr 2007 beginnen lässt. Für China und viele Länder Asiens, aber z.B auch für Österreich oder die osteuropäischen Staaten begann der Bärenmarkt definitiv erst in 2007. In den USA und Westeuropa kann man dagegen den Beginn des Bärenmarktes auf das Jahr 2000 festsetzen.

Die vorangestellten Tabellen und Übersichten haben wir unserem Jahresausblick für das Jahr 2009 entnommen. Dort schrieben wir: „Je nach Ländersicht ergibt sich jetzt ein eher inflatorisch geprägter, schon mehr als 8 Jahre andauernder Bärenmarkt oder ein deflatorisch geprägter, erst seit gut einem Jahr andauernder Bärenmarkt. Eine Restlaufzeit von vier bis fünf Jahren würde sich aber in jedem Fall ergeben. Diesen Zeitraum sieht auch unser Blasenmuster vor (bis etwa 2012/13; siehe Pfeil).“

Zu dem Zeitpunkt, als wir den Jahresausblick für 2009 verfassten (im Dezember 2008), hatte der Nasdaq Index – er geriet im Jahr 2000 in eine Blase - bereits sein vorläufiges Tief erreicht.

Schreibt man diese seit 2008 Grafik fort, so erhält man das nachfolgende Verlaufsbild.

Der Anstieg des Nasdaq Index vollzog sich in den Jahren 2009 und in der ersten Jahreshälfte 2010 genau nach der Vorlage anderer Blasenverläufe. Im Herbst 2010 kam es zu einer Entkoppelung: Der Fall des Index setzte sich nicht fort, stattdessen kam es zu einem Anstieg in das Jahr 2011 hinein. Jetzt aber scheint sich der Nasdaq Index auf den Weg zu machen, die Bewegung erneut nachvollziehen zu wollen.

Wir verfolgten die Idee eines Tiefpunktes in 2012/13 nicht nur im Jahresausblick 2009, sondern auch in den Folgejahren hartnäckig. Bärenmärkte enden nicht einfach so. Sie benötigen Zeit, um sich abzuwickeln.

Die rollierende 10-Jahres-Rendite bezeichnet die Rendite, die man einfahren würde, wenn man vor 10 Jahren in einen bestimmten Markt investiert hätte. Nachfolgend das Bild der rollierenden 10-Jahres-Rendite für den Dow Jones Index in inflationsbereinigter Form.

Aktuell befindet sich diese Rendite bei minus 14 Prozent. Hätte man Mitte August 2001 ein Indexzertifikat auf den Dow Jones Index gekauft, hätte man heute mit einem realen Verlust (in US-Dollar) von 14 Prozent zu tragen. Die obige Grafik zeigt, dass es üblicherweise vier bis fünf Jahre, manchmal auch länger dauert, bis aus einer negativen Realrendite wieder eine positive wird. Der Faktor Zeit erscheint auch in dieser Grafik elementar.

Noch Ende Juli 2011 befanden sich Dow Jones Index, S&P 500 und DAX nahe ihrer Jahreshochs. Die laufende Panik dauert gute drei Wochen an. In diesem Zeitraum hat sich der Dow Jones Index von 15 Prozent oberhalb seines 1-Jahres-GD (= 250 Tage gleitender Durchschnitt) in den Bereich von 8 Prozent unterhalb seines 1-Jahres-GDs begeben (folgender Chart).

Eine überverkaufte Situation wie 1975, 1987, 2002 oder 2008 existiert bisher nicht. Es muss auch gar nicht dahin gehen, aber im Bezug auf ein Ende des Bärenmarktes sich die Entfernung zum 1-Jahres-GD schon noch weiter vergrößern.

Im Jahr 1987 befand sich der Dow Jones Index in einem Bullenmarkt, der durch den Crash vom Herbst 1987 lediglich kurz unterbrochen wurde. Ein Bärenmarkt setzte damals nicht ein.

Aus diesem Bild lässt sich ableiten, dass selbst in positiven Gesamtphasen nach einem Crash zumindest eine längere Phase bevorsteht, in der die Märkte Zeit haben, sich zu „berappeln“. In Bärenmärken – wie in der Depression nach 1929 – sind Tiefs unterhalb der Paniktiefs die Regel.

Fazit: Lässt man alles Fundamentale weg und betrachtet lediglich die Dynamik von Bärenmärkten, so ist es einfach so, dass Bärenmärkte des aktuellen Kalibers Zeit benötigen, damit die Chance für einen Neubeginn besteht. Solange in weiten Teilen der Anlegerschaft die Hoffnung besteht, in der Lage zu sein, die Tiefs abgreifen zu können, kann sich ein Tief wohl kaum ausbilden. Wir halten an unserer These fest, dass sich ein Tiefpunkt wohl im Jahr 2012 ausbilden wird. Die gute Nachricht besteht darin, dass ein Tief nicht mehr als 5 bis 17 Monate entfernt sein dürfte. Die schlechte Nachricht ist die, dass sich in der Endphase eines Bärenmarktes die zerstörerischen Kräfte besonders austoben. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.

Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest

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