Wellenreiter-Kolumne vom 3. September 2011
China – Das Ende des Wachstums?
Europa und die USA wetteifern um den Titel „Hauptgefährder der
Weltwirtschaft“. Europa hat bisher keine Antwort auf die Schuldenkrise
gefunden. Die europäische Bankenlandschaft steht vor massiven Problemen.
Eine gefühlte Rezession beherrscht die USA. Die gefühlte Rezession schickt
sich an, in eine offizielle Rezession umzuschlagen. Auch hier scheinen die
Banken den Abschreibungsbedarf nicht in vollem Maße gekennzeichnet zu
haben.
Auf dem ersten Blick erscheint das Ansinnen schizophren, China mit
in den Kreis der „Gefährder der Weltwirtschaft“ aufnehmen zu wollen.
Immerhin verfügt das Land über Devisenreserven von drei Billionen
US-Dollar. Zudem gilt:
Seitdem der wirtschaftliche Öffnungsprozess Chinas im Jahr 1978 begann,
liegt das durchschnittliche jährliche reale BIP-Wachstum bei etwa 8
Prozent. Werte unter 5 Prozent wurden lediglich 1989 und 1990 notiert.
In dieser Serie liegt bereits
der erste Stolperstein. Nach mehr als 30 Jahren kontinuierlichem Wachstums
steigt statistisch die Wahrscheinlichkeit für Rückschläge.
Ein zweiter Punkt betrifft die
chinesische Zinsstruktur. Eine inverse Zinsstruktur zeigte in der
Vergangenheit für die USA, aber auch für andere Staaten eine Rezession an.
Da die 10jährigen chinesischen Staatsanleihen bei 4,09% liegen, die
2jährigen inzwischen auf 3,88% gestiegen sind, beträgt die Differenz
zugunsten des langen Endes lediglich noch 0,20 Prozentpunkte (nächster
Chart).
Stiege der Zinssatz 2jähriger
chinesischer Staatsanleihen über die Rendite 10jähriger chinesischer
Staatsanleihen, so läge eine inverse Zinsstruktur vor (die blaue
Null-Linie auf dem obigen Chart wäre unterschritten). Eine Rezession würde
angezeigt werden. In China wird – im Gegensatz zu den USA - keine
Nullzinspolitik gefahren. Deshalb dürfte die Zinsstrukturkurve als
Vorhersageinstrument funktionieren.
Der dritte Stolperstein ist
die hohe Inflationsrate. Für den Juli 2011 wurde ein offizieller Wert von
6,5 Prozent ausgewiesen. Das entspricht einem ein Drei-Jahres-Hoch. Die
Preise für Nahrungsmittel stiegen sogar um 14,8% gegenüber dem
Vorjahresmonat.
Stellvertretend für den
Anstieg der Nahrungsmittelpreise lässt sich die Entwicklung des
Reispreises (US-Future) aufzeigen.
Zwar liegt das Hoch von 2008 noch nicht in greifbarer Nähe, aber der
Anstieg scheint sich zu beschleunigen. Auch die Preise für Getreidesorten
wie Weizen, Mais oder Sojabohnen zeigen ebenfalls einen Aufwärtstrend.
Und viertens zeigt der chinesische Leitindex Shanghai Composite Index nach
dem „Bull Run“ von 2005 bis 2007 längerfristige Verdauungsprobleme an. Das
aktuelle Verlaufshoch stammt aus dem Jahr 2009. Zudem wurde eine wichtige
charttechnische Aufwärtstrendlinie (blau) nach unten durchbrochen.
Fazit: China gerät in die Gefahr, von steigenden Inflationsraten und einer
immer flacher werdenden Zinsstruktur in die Zange genommen zu werden.
Steigende Preise reduzieren das reale BIP-Wachstum. Weder eine Markt- noch
eine Planwirtschaft konnte bisher derartige Gesetzmäßigkeiten ausschalten.
Der chinesische Leitaktienindex deutet ebenfalls schwierige Zeiten für
China an und bestätigt das gezeichnete Bild. Eine Wachstumsverlangsamung
bzw. –unterbrechung wäre nach einer derart langen Wachstumsphase nur
natürlich.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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