Wellenreiter-Kolumne vom 29. Oktober 2011
Das vorläufige Ende der US-Hausbau-Baisse
Seit dem Platzen der US-Hausbaublase sind sechs Jahre vergangen. Auch wenn
die Zeit nicht alle Wunden heilt: Sechs Jahre US-Hausbau auf Niedrigniveau
bedeuten einen historisch langen Zeitraum. In den sechs Jahren zwischen
2005 und 2011 ist die Einwohnerzahl der USA um 16 Mio. - von 295 auf 311
Mio. – gestiegen.
Jüngste US-Inflationsdaten lassen einen Anstieg der US-Mieten erkennen.
Familien, die in früheren Zeiten ein Haus gekauft hätten, trauen dem Markt
noch nicht. Sie mieten sicherheitshalber Appartements. Doch bei weiter
steigenden Mieten wird ein Punkt erreicht, an dem eine Familie den Neubau
oder den Kauf eines Hauses in Betracht zieht.
Mitte 2005 erreichte die Stimmung in der US-Hausbauindustrie ein letztes
Mal einen euphorischen Wert (siehe Pfeil folgender Chart). Seitdem kracht
und knarzt es im Gebälk.
Niemals war die Stimmung unter den US-Hausbauunternehmern schlechter als
zum Jahreswechsel 2008/09, dem Höhepunkt der jüngsten Rezession. Seither
verläuft der Indikator auf niedrigem Niveau seitwärts. Der Index wies im
Oktober 2011 einen Sprung nach oben auf.
Im September 2011 ist der mittlere Verkaufspreis neuer Häuser
inflationsbereinigt auf den niedrigsten Stand des laufenden Jahrhunderts
gefallen (folgender Chart).
Die Rendite für 10jährige US-Anleihen markierte Anfang Oktober mit 1,71
Prozent einen wichtigen Tiefpunkt. Parallel dazu notierte der Zinssatz für
30jährige US-Hypotheken-anleihen zu ersten und bisher einzigen Male
unterhalb der 4-Prozent-Marke.
Jetzt gilt es eins und eins zusammenzuzählen: Der US-Hausbau-„Bust“
befindet sich im sechsten Jahr. Die US-Bevölkerung ist in diesem Zeitraum
um 16 Millionen gewachsen. Die US-Mieten ziehen an. US-Häuser sind
inflationsbereinigt so preiswert wie niemals zuvor im laufenden
Jahrhundert. Die US-Darlehenszinsen notieren nahe dem Rekordtief, sind
aber im Anstieg begriffen. Wenn nicht jetzt, wann dann, ist der ideale
Zeitpunkt, um in den USA ein Haus zu erwerben?
Ein vorläufiges Ende der Hausbau-Baisse hätte positive Auswirkungen auf
die regionalen US-Banken. Diese können sich momentan vor Cash kaum retten.
Erste Banken sagen ganz offen, dass sie das Geld der Anleger nicht wollen,
da sie es nicht verleihen können. Und da die Anlagezinsen kaum noch
gesenkt werden können – sie sind ja schon bei null – beginnen einige
Banken, an der Gebührenschraube zu drehen, um die Anleger davon
abzuhalten, sie mit „Cash zuzumüllen“.
Banken existieren nicht wegen Girokonten. Sie leben von der Kreditvergabe.
Geldwechsler und –verleiher sind Großväter des Bankenwesens. Würde die
Nachfrage nach Hypothekendarlehen anziehen, würden die noch in den Büchern
stehenden „Asset Backed Securities“ (ABS-Papiere), deren Einbruch die
Finanzkrise auslöste, zu einem höheren Preis gehandelt werden. Der von der
Markit.com geführte ABX.HE Index (AAA) erreichte Mitte Oktober mit einem
Wert von 31 ein Verlaufstief. Seither stieg der Index auf 34,5 Punkte an.
Jeder Punkt mehr bedeutet weniger Abschreibungen für US-Banken.
Wie reagieren US-Hausbau- und Banken-Aktien? Das US-Hausbauunternehmen
Toll Brothers zog seit Anfang Oktober von 13 auf 18 Dollar an, ein Anstieg
um knapp 40 Prozent. Die Citigroup notierte am 3. Oktober zeitweise unter
22 US-Dollar, aktuell wird sie mit 34 US-Dollar taxiert. Der Anstieg
beträgt 50 Prozent.
Die US-Bankenblase platzte im Februar 2007. Der US-Bankenindex markierte
sein noch heute gültiges Tief nach etwas mehr als zwei Jahren (siehe Pfeil
folgender Chart).
Ein solches Tief erfährt üblicherweise Ende des vierten oder Anfang des
fünften Jahres einen Retest (rote Linie obiger Chart). Wir nehmen an, dass
dieser Test derzeit stattfindet. Sollte er positiv verlaufen, so wäre für
die kommenden zwei Jahre ein Anstieg des US-Banken-Index zu erwarten.
Auch die Ratio des US-Banken-Index zum S&P 500 verdeutlicht den Retest des
März-2009-Tiefs (rote Linie folgender Chart).
Ob dieser Retest tatsächlich gelingen wird, kann nicht sicher vorhergesagt
werden. Überhaupt kann nichts sicher vorhergesagt werden. Das einzige, was
wir haben, sind Indizien und Erfahrungswerte. Zyklisch orientierte Leser,
die annehmen, dass sich Abwärts- und Aufwärtstrends abwechseln, dürften
sich eine Erholung des Hausbau- und Bankensektors vorstellen können.
Fazit: Nach sechs harten Jahren für die US-Hausbauer kann das siebente
Jahr eine Erholung bringen. 16 Millionen Einwohner mehr als 2005 drücken
die Mietpreise nach oben. Die USA befinden sich demographisch in einer
besseren Situation als Japan oder Deutschland. Günstiger als aktuell waren
die US-Hauspreise in diesem Jahrhundert noch nicht. Gleichzeitig befinden
sich die US-Hypothekenzinsen auf dem niedrigsten Niveau seit 30 Jahren.
Ein besseres Umfeld wird es kaum geben, jetzt „müssen die Pferde nur noch
saufen“ (sprich: Der Markt muss anspringen). Wenn es normal läuft, werden
die „Early Adoptors“ sich bald in den Markt hineinkaufen. Ausländische
Käufer warten schon jetzt auf die Verabschiedung eines US-Gesetzes, wonach
ein Ausländer, wenn er in den USA ein Haus im Wert von mindestens 500.000
US-Dollar cash bezahlt, er eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis erhält.
Banken würden vom Anspringen des US-Häusermarktes profitieren.
Sollten die Renditen deutlicher anziehen als sie dies bisher tun, so würde
die Gefahr steigen, dass das zarte Pflänzchen des US-Hausbau-Aufschwungs
zertreten werden könnte. Wenn es jetzt nicht zu einer größeren Wende
kommt, so nehmen wir aber doch an, dass die Erholung für die kommenden
sechs bis zwölf Monate gültig sein wird. Das Anfang Oktober erzielte Tief
in Hausbau- und Bankenindizes dürfte damit über eine handelbare Relevanz
verfügen.
Neulich sagte mir ein Fonds-Manager, er würde Banken nicht einmal mit der
Kneifzange anfassen: Die Bank-Bilanzen seien undurchschaubar und damit
nicht bewertbar. Er hat recht, aber ein Contrarian bzw. ein anti-zyklisch denkender
Mensch sollte bei einer solchen Aussage
aufmerksam werden.
Verfolgen Sie die
Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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