Wellenreiter-Kolumne vom 12. November 2011
Für alle Eventualitäten vorbereitet
Im Frankfurter Ostend wird
gegenwärtig das neue Domizil der Europäischen Zentralbank - der „Skytower“
- hochgezogen. Das Twin-Tower-Gebäude bietet Platz für 2.300
Arbeitsplätze. Es wird inklusive Antennenmast
220 Meter hoch sein. Fertigstellung und Bezug sind
für das Jahr 2014 vorgesehen.
http://tinyurl.com/d252eq2
Kaum ein Architekt oder ein
Auftrageber bekommt es hin, so weitsichtig zu planen, dass die meisten
Eventualitäten berücksichtigt werden. Nicht so die EZB: Chapeau! Der
Nordturm wird bei 45 Geschossen etwa
185 Meter hoch sein, während der Südturm bei 43
Geschossen lediglich
165 Meter messen soll. Sollte es zu einer
Aufteilung des Euro in Nord- und Südeuro kommen, könnte die Verwaltung für
den Nordeuro entsprechend der größeren Bedeutung im Nordturm untergebracht
werden. Der Südeuro würde entweder im Südturm oder in der ehemaligen
Großmarkthalle verwaltet. Die Antennenanlage befindet sich auf dem
Nordturm. Alle Macht geht vom Nordturm aus.
Die Baukosten des Skytower
betragen etwa 500 Millionen Euro. Das ist um einiges mehr als die
Allianz-Arena, die schlappe 340 Millionen gekostet hat. Die Frage ist: Wo
wird mehr Spektakel geboten? Auch wenn die Bayern derzeit gut spielen, so
scheint der moderne „Circus Maximus“ eher in Frankfurt zu liegen, zumal
ein Italiener die „Brot-und-Spiele-Show“ leitet.
Der Name „Skytower“
(„Himmels-Turm“), legt nahe, dass dort Menschen arbeiten werden, die dem
Himmel – und damit den Göttern - recht nahe kommen. Der CEO von Goldman
Sachs, Lloyd Blankfein, hat seine Arbeit als das Verrichten von Gottes
Werk beschrieben. Aber damit hat er den Europäern rein gar nichts voraus:
Der Draht der EZB-Banker nach oben steht.
Eine erste himmlische
Eingebung gab es offenbar bereits: Man könnte – so EZB-Banker Jürgen Stark
- vom alten EZB-Tower aus 500-Euro-Scheine auf die „Occupy“-Bewegung
rieseln lassen und so die Protestbewegung künstlich aufblasen. Nach
Berechnungen der Frankfurter Polizei würde sich die Menschenmenge pro
sechsstündiger Schein-Berieselung jeweils verdoppeln. Der bisherige
bundesrepublikanische Protestrekord - er stammt vom 22. Oktober 1983, als
insgesamt 1,2 Millionen Menschen gegen den NATO-Doppelbeschluss
protestierten – würde innerhalb weniger Tage übertroffen werden. Da der
Frankfurter Flughafen aufgrund der gerade neu eröffneten Landebahn seine
Kapazität längst nicht ausschöpft, könnten Sondermaschinen im Minutentakt
die „Protestierenden“ nach Frankfurt bringen. Die Frankfurter
Äppelwoi-Kneipen wären voll, die Hotels ebenso und die Tourismusmanager
würden jubeln.
Das Perfide: Ein Tag später
käme die Währungsreform. Der Euro würde sofort ungültig. Die Scheine
dürften jedoch - gemäß EZB-Statut - als Toilettenpapier benutzt werden.
Jürgen Stark könnte sich öffentlich seiner Idee rühmen, die alten Scheine
auf kreative Art und Weise beim Volk entsorgt zu haben. Ein ehrenvoller
Abgang wäre ihm sicher. Erste Begrüßungsgelder in „Nordeuro“ würden im
Nordturm ausgezahlt werden, im Südturm würde der „Südeuro“ zu erhalten
sein.
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Fantasie, Ironie und Satire
sind Mittel zur Überzeichnung unangenehmer Zustände. Sie verschaffen
kurzfristig Erleichterung, bieten aber leider keine Problemlösung.
Die Realität: In den USA
existiert mit der Federal Reserve eine Zentralbank, die in der
Vergangenheit zeitweise die gesamte amerikanische Neuverschuldung
„geschluckt“ hat. Zu Zeiten des „QE 2“ waren dies monatlich 100
Milliarden US-Dollar. Die Fed lässt keinen Zweifel daran, dass sie mit der
Monetisierung der Staatsverschuldung („Gelddrucken“) fortfahren würde,
sollte sich die Notwendigkeit dazu ergeben. Auch die japanische
Zentralbank ist als „Lender of last resort“ aktiv. Sie stellt den Märkten
dann, wenn sie es benötigen, Liquidität zur Verfügung. Interessanterweise
neigt der japanische Yen trotz dieser Eingriffe seit Jahren zur Stärke,
und die Renditen bleiben niedrig. Auch der US-Dollar zeigt sich trotz QE I
und QE II stabil. Das gültige Verlaufstief stammt aus dem April 2008.
In Europa ist die Situation
grundsätzlich anders. Denn die EZB wird – u.a. gemäß Aussage von Jürgen
Stark in der NZZ vom vergangenen Samstag – niemals der „Lender of last
resort“ sein. Das Problem ist aber: In Krisenzeiten sollte ein letzter
Kreditgeber existieren, sonst ist ein Zusammenbruch des Systems kaum zu
verhindern. In seinem Buch „Manien, Paniken, Crashes“ beschreibt Charles
Kindleberger die Rolle des letzten Kreditgebers in einem eigenen Kapitel.
Fahren die Märkte mit einem letzten Kreditgeber besser? Kindleberger
betrachtete alle Krisen seit dem Jahr
1618 in
Europa und den USA. Er neigt zu dem Schluss, dass die Rolle des letzten
Kreditgebers allein aus psychologischer Sicht wünschenswert und
verlustmindernd ist.
Ein Blick auf die - in unserem
Jahresausblick für 2011 vorgestellten - kritischen Zinssätze zeigt, dass
Griechenland, Irland und Portugal weiterhin oberhalb ihrer kritischen
Zins-schwelle notieren. Für Italien beträgt die kritische Grenze 7,1%, der
aktuelle Zinssatz notiert leicht darunter.
Der Gipfel in Cannes und die
vorausgegangenen Konsultationen dürfte den kleinsten gemeinsamen Nenner
politischen Handelns geliefert haben. Mit den Rücktritten von Papandreou
und Berlusconi wurde auf politischer Ebene einiges erreicht.
Man kann den Ball seitens der
EZB nicht ständig in Richtung Politik spielen und sagen, ihr müsst mehr
tun. Gut, die Politik könnte den Giftschrank öffnen und die Steuern
erhöhen. Man kann Subventionen kürzen (die Preise für Solarzellen
verfallen weiter, warum wird die Einspeisevergütung nicht entsprechend
angepasst?). Keine Frage, Einsparpotential ist auf politischer Ebene
ausreichend vorhanden. Aber letztendlich – dafür steht der tiefe Fall
Griechenlands exemplarisch – unterdrückt drastisches Sparen das Wachstum.
So verringert sich zwar die Verschuldung, aber eben auch das BIP, sodass
der Prozentsatz der Verschuldung am BIP unverändert bleibt. Mit anderen
Worten: Die Anzahl der politischen Optionen, die Verschuldungsrate am BIP
zu drücken, ist begrenzt.
Bliebe die EZB. Sie lehnt die
Rolle des letzten Kreditgebers bisher ab und schiebt den schwarzen Peter
der Politik zu. Entscheidend ist jedoch, was der Markt als ausreichend
empfindet. Bei weiter steigenden Renditen wäre die EZB die einzige
Institution, die in der Lage ist, den Zusammenbruch des Euro-Systems zu
verhindern.
Die Frage ist: Was will Draghi
später im Geschichtsbuch über sich lesen? Die Schlagzeile könnte lauten:
„Durch das Nicht-Eingreifen der EZB im Jahr 2011 begann in Europa eine
längere Phase wirtschaftlicher und politischer Instabilität. Der
Zusammenbruch des Euro-Systems und das anschließende Chaos hätten
vermieden werden können, wenn die europäische Zentralbank ihrer
Verantwortung als letzter Kreditgeber gerecht geworden wäre.“
Die Schweizer Nationalbank
hatte den Euro bis auf die Parität zum Franken fallen lassen, die
Schmerzgrenze war nicht nur erreicht, sondern überschritten. Es folgte das
Machtwort von einer „unlimitierten Verteidigung“ des Wechselkurses bei
1,20.
Wie kritisch man auch immer
den Handlungen der Zentralbanken gegenüber steht: Auch die EZB kann eine
Verteidigungslinie in Form der Zinsdeckelung aufbauen, die vor ihr
unlimitiert verteidigt wird. So kann sie versuchen, einen chaotischen
Systemzusammenbruch zu vermeiden. Wir haben häufig von der Neuordnung des
Finanzsystems geschrieben. Eine solche Neuordnung benötigt Zeit,
insbesondere in dem internationalen Rahmen, in dem sich die Finanzmärkte
bewegen. Die EZB kann diese Zeit kaufen.
Die Pawlowsche Reaktion auf
das Wort „unlimitierte Verteidigung“ lautet „Hyperinflation“. Historisch
existiert kein Hyperinflationsbeispiel für einen so großen
Wirtschaftsraum, wie es die Eurozone nun einmal ist. Man kann an
Hyperinflation glauben, man kann sogar davon überzeugt sein. Wissen kann
man es nicht.
Ich glaube nicht, dass sich
die EZB als „Totengräber des Euro“ titulieren lassen möchte. Sie würde
sich den Ast absägen, auf dem sie sitzt. Falls doch, könnte sie den
Skytower – das Symbol für die Eurozone – fremd vermieten, und das noch vor
Fertigstellung. Eine EZB bräuchte es dann nicht mehr. Vielleicht hat ja
die PBC (Peoples Bank of China, die chinesische Zentralbank) Interesse an
den Gebäuden. Man könnte ja mal fragen.
Oder Nord- und Südeuro würden
von Nord- und Südturm aus verwaltet werden. Planerische Weitsichtigkeit
zahlt sich halt meistens aus.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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