Wellenreiter-Kolumne vom 19. November 2011
Vive la France!
In der Wellenreiter-Kolumne
vom 17. September bezeichneten wir die Entwicklungen in Frankreich als
„die eigentliche Gefahr für Europa“. „Der CAC-40
offeriert ein Bild des Jammers“, so
formulierten wir damals. „Der französische Aktien-Leitindex wird seit 14
Jahren von der 3.000-Punkte-Marke magisch angezogen. Nach 1998, 2002/03
und 2008/09 ist aktuell die 3.000-Punkte-Marke erneut erreicht.“
Am Freitag befand sich der
CAC-40 wieder einmal an seiner 3.000-Punkte-Marke: Er beschloss die
Handelswoche mit 2.997 Punkten (folgender Chart).
Die Bedeutung des Bereichs
zwischen 2.700 und 3.000 Punkten kann nicht hoch genug bewertet werden: „Fiele
der CAC40 unter die 3.000-Punkte-Marke und stiege gleichzeitig der Spread
zwischen der Rendite französischer und deutscher Staatsanleihen weiter
an“, so schrieben wir damals, „so würde Frankreich von einem
Rettungsschirm-Geberland zu einem Nehmerland mutieren. In diesem Fall wäre
der Versuch, einen europäischen Rettungsschirm aufzubauen, gescheitert.“
Tatsächlich beträgt der Spread zwischen
der Rendite 10jähriger französischer und deutscher Staatsanleihen aktuell
1,5 Prozentpunkte.
Beschreibt man eine längere Zeitreihe, so
ist gut zu erkennen, dass ein solcher Spread historisch betrachtet nicht
ungewöhnlich war. In den frühen 1980er Jahren befand sich der
Renditespread zwischen Deutschland und Frankreich bei 6 bis 7 Prozent.
Die Rolle Frankreichs als
Weichwährungsland - das in den 1980er Jahren seinen Nachbarn Spanien und
Italien näher war als dem Hartwährungsland Deutschland – wird durch den
obigen Chart sichtbar. Jetzt könnte man sagen: Ok, durch die Erhöhung der
Spreads stellen die Märkte die alten Zustände wieder her. Das Problem
dabei: Anders als damals existiert heute der Euro.
Wie sagte der Ökonom Joseph
Stiglitz im August: „Mit dem Euro ist es wie mit Eiern: Es ist ziemlich
schwer, aus einem Rührei wieder die einzelnen Eier herauszuholen.“ http://tinyurl.com/cjkbrhm.
Man kann den Film nicht einfach rückwärts laufen lassen und glauben, den
Euro sachte und über einen jahrelangen Prozess in einzelne Währungen
zurückbauen zu können. Analogien helfen: Ein Haus wird in sechs Monaten
gebaut, ist aber an ein bis zwei Tagen abgerissen und dem Erdboden
gleichgemacht. Ähnliches gilt für die Aktienmärkte: Bullenphasen können
Jahre andauern, die „Abrissphasen“ in Form von Paniken finden innerhalb
einiger Wochen bis Monate statt.
Mit anderen Worten: Ein
Rückbau des Euro ist nur mit der Abrissbirne möglich. Wenn man das nicht
will, sollte man die Finger davon lassen. Frankreich ist Bestandteil des
„Doppelherzens Europas“. Fällt hier der Taktschlag aus, dann erleidet
nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa einen Herzinfarkt.
Charttechniker sehen in dem
höheren Tief der französischen Renditen (siehe Pfeil nächster Chart)
gegenüber dem Jahr 2010 eine fortgeschrittene Rendite-Bodenbildung.
Interessant war am Freitag
auch die folgende Beobachtung: Zeitweilig lagen die Renditen Italiens und
Spaniens mit etwa 6,85% fast gleichauf. War es Zufall oder hat die EZB den
Deckel auf den Bereich knapp unter 7 Prozent gelegt? Ein solcher Deckel
dürfte seitens der EZB sinnvoll erscheinen, um nicht in die Verlegenheit
zu geraten, den Ernstfall - sprich: das Auffalten des für Spanien und
Italien gemeinsam zu kleinen Rettungsschirms - üben zu müssen. Die
Diskussion um die EZB als „Lender of Last Resort“ scheint sich damit zu
erübrigen, denn: De facto wird sie bereits ausgeübt. Und spätestens dann,
wenn die französischen Renditen in den genannten Bereich steigen sollten,
gäbe es für die EZB kein zurück mehr. „Vive la France!“ (Es lebe
Frankreich) möchte man da schon aus Eigeninteresse rufen. Denn ein totes
Frankreich wäre für Europa nicht zu stemmen. Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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