Wellenreiter-Kolumne vom 10. Dezember 2011
Neid und Missgunst
Die Euro-Debatte verläuft im
deutschsprachigen Raum an einer bestimmten Stelle stets emotional. Und
zwar dann, wenn die Rede auf die sinkenden Reallöhne zu sprechen kommt.
Während in Deutschland die Reallöhne seit Jahren stagnieren, verzeichneten
Peripheriestaaten wie Irland, Griechenland und Portugal in den vergangenen
Jahren Reallohnzuwächse. Da kriecht einem doch der Neid ins Gesicht. Diese
peripheren Nichtsnutze liegen den ganzen Tag in der Sonne; und dafür
erhalten sie als Belohnung stärkere Lohnzuwächse als wir hart arbeitenden
Deutschen! Um die Emotionalität zu erhöhen, werden die Zahlenreihen
lediglich bis zum Jahr 2009 geführt.
Quelle: Statistisches
Bundesamt, Hans-Böckler-Stiftung
Denn seit dem Jahr 2010 ist
etwas erkennbar, was so gar nicht in das Neid-Bild passen will: Dem
griechischen Höhenflug werden die Flügel gestutzt. Innerhalb von nur zwei
Jahren fällt der griechische Reallohn um mehr als 10 Prozent. Den
Portugiesen geht es ähnlich, genauso wie den Spaniern. Da die Reallöhne
auf der iberischen Halbinsel nicht so deutlich angestiegen waren wie in
Griechenland, nähern sich die aktuellen Werte der Ausgangsmarke aus dem
Jahr 2003 bereits an. Aus Sicht der Peripherieländer bildet lediglich
Irland eine Ausnahme: Ein deutlicher Reallohnrückgang wird nicht
angezeigt.
Zur
Einkommensentwicklung
existiert eine zweite
interessante Maßzahl: Das reale Pro-Kopf-Einkommen. Es ist das aufs Jahr
berechnete Durchschnittseinkommen der Einwohner eines Landes. Ermittelt
wird es, indem man das BIP durch die Anzahl der Einwohner teilt und dabei
die Entwicklung der Inflationsrate berücksichtigt.
Während die Reallöhne die
Arbeitnehmerentgelte widerspiegeln, berücksichtigt das Pro-Kopf-Einkommen
alle Einkommen (ob selbstständig oder unselbständig). Ein Problem des
Pro-Einkommens ist, dass es nichts darüber aussagt, wie das Einkommen
innerhalb der Einkommensgruppen verteilt ist. Da in den vergangenen Jahren
die Schere zwischen den Einkommensgruppen größer geworden ist, sind die
tatsächlichen Einkommenszuwächse für die Masse der Bevölkerung sicher
nicht so groß, wie es das Pro-Kopf-Einkommen suggeriert. Dennoch sehen wir
diese Maßzahl als wichtig an, um zumindest auf einige wichtige Trends
hinweisen zu können.
Quelle: Europäische Kommission
Weiter oben haben wir
Prozentzahlen gesehen, jetzt zeigen wir absolute Zahlen. Für die Jahre
2012 und 2013 schätzt die Europäische Kommission die Entwicklung. Diese
Schätzzahlen sind in der obigen Grafik enthalten. Wurde in der Presse
lange suggeriert, dass die Griechen in den vergangenen Jahren den
deutschen Lebensstandard fast schon erreicht haben, so belehrt das obige
Bild eines besseren.
Das griechische
Pro-Kopf-Einkommen befindet sich inflationsbereinigt bei knapp 15.000
Euro, das deutsche Pro-Kopf-Einkommen ist doppelt so hoch. Seit 2009 ist
ein deutlicher Fall des griechischen Pro-Kopf-Einkommens erkennbar.
Natürlich kann man einwenden, dass sich die Griechen durch einen hohen
Anteil an Schwarzarbeit etwas dazu verdienen. Und richtig ist auch, dass
in Griechenland ein „Oberklasse“ existiert, die ihr Geld schon längst ins
Ausland geschafft hat. Dennoch bleibt festzustellen, dass die
Pro-Kopf-Einkommen von Portugal und Griechenland im Vergleich zu den
anderen dargestellten Staaten gering sind.
Aus der Entwicklung des
deutschen Pro-Kopf-Einkommens - inflationsbereinigter Anstieg von 26.700
Euro (1995) auf 28.800 Euro (2011) – ist folgendes ablesbar: Wenn die
Reallöhne in diesem Zeitraum nicht gestiegen sind, müssen die Einkommen
der Selbständigen und Unternehmer gestiegen sein: Die Einkommensschere
öffnet sich.
Fazit: Die gröbsten Exzesse
wurden in den Jahren 2008 und 2009 sichtbar. Seit dem Jahr 2010 ist der
Selbstreinigungsprozess innerhalb der EU im Gange. Diejenigen, die meinen,
dass sich eine Selbstreinigung nur durch eine Währungsabwertung
bewerkstelligen lässt, sollten sich die Grafiken genau anschauen. Das
statistische Bundesamt erwartet für Deutschland im Jahr 2011 einen
leichten Reallohnanstieg, während Portugal und Griechenland jeweils einen
Reallohnverlust von etwa 3,5% hinnehmen müssen. Bis 2012/13 sollten die
gröbsten Übertreibungen beseitigt sein.
Wenn schon Neid, dann müsste
man das Augenmerk auf das Land mit dem weltweit höchsten
Pro-Kopf-Einkommen richten: Auf Norwegen (folgender Chart).
Quelle: Europäische Kommission
Dieser Artikel wird die
Ansicht einiger Leute nicht ändern, die meinen, dass die
Wettbewerbsfähigkeit einiger Länder lediglich durch einen Austritt aus dem
Euro wieder hergestellt werden kann. Aber waren Griechenland und Portugal
jemals wettbewerbsfähig? Werden sie es jemals sein? Es erscheint doch sehr
gewagt zu glauben, dass sich Griechenland durch die Wiedereinführung der
Drachme in ein europäisches Dienstleistungs- und Industriepowerhaus
verwandeln kann.
Die Anpassungsprozesse laufen.
Von der Frage: „Euro oder nicht?“ lassen sich diese nicht aufhalten.
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auch in unserem Jahresausblick für 2012.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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