Wellenreiter-Kolumne vom 21. Januar 2012
Finanzkrise nicht vorbei
Trotz der jüngsten
Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten ist die Finanzkrise ist noch nicht
beendet. Diese Meinung äußerten die Referenten auf der 27.
Kapitalanlegertagung, die am 17. und 18. Januar in Zürich stattfand.
Der Ökonom Simon Johnson sieht
in angelsächsischer Manier ein Auseinanderbrechen der Eurozone voraus.
Gleichzeitig ist er sich sicher, dass die EZB Liquidität zur Verfügung
stellen werde. Diese werde aber nicht ausreichen. Eine Restrukturierung
der Schulden sei unvermeidlich. Die Banken seien nach wie vor
unterkapitalisiert und trügen eine Menge Risiken, wären aber „too big to
fail“. Die sechs großen US-Banken seien größer als 2008. Er weist darauf
hin, dass Hedge Fonds in die gleiche Zielrichtung „too big to fail“
arbeiten würden. Sollte der erste Hedge Fonds wegen seiner Systemrelevanz
vom Steuerzahler gerettet werden müssen, würden Bewegungen wie „Occupy“
neue Nahrung erhalten. Johnson hält eine inflationäre Entwicklung - „The
Great Inflation“ - für unausweichlich.
Prof. Dr. Wolfgang Wiegard,
ehemaliges Mitglied des Sachverständigenrates („die fünf
Wirtschaftsweisen“) ist der Meinung, dass sich Italien aus eigener Kraft
aus Schulden-Schlamassel herausziehen kann. Für Griechenland sieht er eine
nicht-freiwillige Insolvenz kommen. Die Schulden würden letztendlich von
der EZB übernommen werden. Er fordert anstelle der
Finanztransaktionssteuer eine „Finanzaktivitätssteuer“, die die fehlende
Umsatzsteuer für Finanzdienstleister kompensiert. Die Einführung von
Euro-Bonds sieht er nicht. Diese würde gegen Verträge verstoßen und sei
außerdem für Deutschland nachteilig, da die Liquidität aus Deutschland
herausfließen würde.
Die Immobilienbranche sei
einer der Profiteure der Finanzkrise. Eurobonds würden diese Branche in
Deutschland in Bedrängnis bringen. Auf die Peripherieländer komme eine
harte Phase der Lohnmoderation zu. Ein Auseinanderbrechen der
Währungsunion sei keine Option, ein Austritt Griechenlands hingegen schon.
Ein Scheitern der Währungsunion wäre für Deutschland nachteilig, da
einerseits das Auslandsvermögen (netto 1 Billion Euro) abgewertet werden
würde und andererseits Target-Forderungen an das EZB-System (etwa 450
Mrd. Euro) ganz oder teilweise abgeschrieben werden müssten.
Eine normale Inflation würde
zur Reduzierung der Schuldenstandsquoten wenig beitragen. Es müsse schon
eine „Überraschungs-Inflation“ sein, die von den Marktteilnehmern nicht
eingepreist sei. Er selbst glaube aber nicht an das Auftreten einer
solchen „Überraschungs-Inflation“.
Philipp Vorndran,
Finanzmarkt-Stratege bei Flossbach von Storch, sieht die Situation im
Bezug auf die Eurozone pessimistischer als Prof. Wiegard. Er geht davon
aus, dass der Euro in drei bis vier Jahren keinen Bestand mehr haben wird,
allerdings bleibe eine Kerngruppe mit Deutschland, Frankreich, Luxemburg,
Niederlande, Österreich, Belgien, Finnland und Irland bestehen. Hinzu
kämen Slowenien, die Slowakei, Tschechien, Polen Estland und
möglicherweise weitere skandinavische Länder. Spanien, Portugal und
Italien würden jeweils über eigene Währungen (Peseten, Escudos, Lira)
verfügen. Demnach würde es zwar ein Nord-Euro bilden, ein Süd-Euro würde
es hingegen nicht geben. Die Austritte würden freiwillig erfolgen.
Ein Schuldenschnitt
funktioniert zwar bei kleinen, nicht aber bei großen Volkswirtschaften Es
sei zwischen Staatsbankrott und Währungsbankrott zu unterscheiden. Ein
Bankrott der Währung sei durchaus möglich. Ein negativer Realzins sei
durch die Niedrigzinspolitik einerseits und durch eine steigende
Inflationsrate auf längere Zeit sicher gestellt. Mit etwa 5 bis 6 Prozent
Inflation sei in den großen Volkswirtschaften in den kommenden Jahren zu
rechnen. Das Quantitative Easing werde fortgesetzt.
Die Pensionsverbindlichkeiten
würden in einem solchen Umfeld zu einem Problem. Die Pensionskassen würden
umdenken. Sie würden beginnen, Aktien relativ zu Anleihen zu bevorzugen.
Es würde reichen, wenn Dividenden von Aktientiteln 4% Rendite abwerfen,
Kursgewinne seien nicht notwendig. Insbesondere Qualitätsaktien stünden
vor einem „Revival“. Der Goldpreis dürfte angesichts negativer Realzinsen
weiter steigen.
Felix Zulauf, Zulauf Asset
Management AG, Zug, geht von einer sich vertiefenden Krise aus. Die EZB
dürfte Kapital zur Verfügung stellen bzw. weiterhin Anleihen erwerben. Die
Geldpolitik dürfte jedoch kaum Nachfrage erzeugen, und fiskalpolitisch
tritt man auf die Bremse. Ausgaben würden gesenkt, die Steuern würden
erhöht werden. Für die europäische Peripherie erwartet Zulauf einen
anhaltenden „Bank Run“. Durch das Abziehen der Gelder würden die
Peripherie-Banken „verdursten“. Die niedrigen Zinsen würden die
Geldmarktfonds in die Knie zwingen, da die Fixkosten bei Geldmarktfonds
bei etwa 1,5% vom Anlagevermögen liegen würden. Der Geldmarkt ginge
kaputt. Am kurzen Ende sollte der Zinssatz in den USA in den kommenden
vier bis fünf Jahren bei null verharren. Die schlechten Banken der
Peripherie würden derzeit durch den hohen Spread zwischen kurzem und
langem Ende subventioniert. Dies geschähe auf Kosten der starken und
gesunden Länder. Das Bankensystem würde bei einem Austritt Griechenlands
aus der Eurozone an den Rande der Pleite gedrängt werden, die Risiken
seien enorm.
Der Euro/Dollar hätte in 2012
Abwärtspotential in den Bereich von 1,10. Rohstoffe sollten korrigieren,
der Goldpreis könnte bis 1.520 Dollar fallen. Dort lägen Kaufkurse vor. Im
Sommer 2012 sollte man Aktien kaufen, aber zuvor dürfte das
Oktober-2011-Tief gebrochen werden. Der Ölpreis könnte bis auf 70
US-Dollar fallen, US-Erdgas auf 2 Dollar. Da die Produktionskosten bei 4
Dollar lägen, würden einige Bohrlöcher stillgelegt werden, bis sich der
Preis wieder erholt hat.
In Europa dürfte es 2012 zu
einer Rezession kommen, so Felix Zulauf. In Asien dürfte es Enttäuschungen
geben. Die Geldpolitik dürfte expansiv agieren, die Fiskalpolitik dürfte
auf Austerität ausgerichtet sein.
Der Dollar/Yen dürfte deutlich
steigen, sodass die japanische Exportwirtschaft entlastet werden sollte.
Dies dürfte dem Nikkei-Index zugute kommen. Für China sieht Zulauf eine
Fortsetzung des Abbaus von Währungsreserven. Das Kaptial fließe derzeit
aus China ab. Demzufolge steige der US-Dollar auch gegenüber dem Remnimbi.
Insgesamt dürfte der US-Dollar als sicherer Hafen angesehen werden. Für
die USA sieht Zulauf einen Anstieg der Sparquote auf 8 Prozent voraus.
China stehe in diesem Jahr vor einem Regierungswechsel. Vorab würden von
den derzeit Verantwortlichen kaum Risiken eingegangen, um ihre
Wiederaufstellung nicht zu gefährden.
Eugen Weinberg, Leiter des
Rohstoff-Research bei der Commerzbank, sieht nicht so sehr die
Produktionskosten als relevant für den Ölpreis an (sie betragen in
Saudi-Arabien 1 bis 1,5 Dollar, in anderen Staaten z.T. wesentlich mehr),
sondern die in den Staatsbudgets der Öl-Länder veranschlagten Kosten. In
Saudi-Arabien wird ein Ölpreis von 80 Dollar benötigt, um die
Staatsausgaben auszugleichen. Bis 2015 steigen die Staatsausgaben
voraussichtlich derart, dass ein Ölpreis von 150 Dollar notwendig wäre, um
die Ausgaben zu decken. Die Risiken für den Ölpreis nach unten seien somit
gering. Würde die Straße von Hormuz geschlossen werden, könnte der Ölpreis
auf 200 Dollar steigen. Die USA seien auf dem Weg zur Selbstversorgung
durch Erdgas, während China zunehmend Agrarrohstoffe importieren würde.
Gold würde derzeit von den Zentralbanken gekauft werden. In Krisen hält
sich Gold meist gut. Eine steigende Geldmenge führe zu steigenden
Rohstoffpreisen.
Eugen Keller und Mario Mattera,
Devisen- und Rentenstrategen beim Bankhaus Metzler in Frankfurt, sehen die
Europäische Zentralbank als „Game Changer“. Die EZB würde zwar eingreifen,
aber den Druck auf die Politik unverändert hoch lassen. Sie
prognostizieren eine Rendite von 2,8% und ein Euro/Dollar von 1,45 für das
Jahresende. Der Euro sei innenwirtschaftlich stabil. Die Bonds verlören
ihren Status als sicherer Hafen. Liquidität sei genügend vorhanden. Geld
dürfte aus dem System den Weg in die Wirtschaft finden. Aktien dürften in
2012 die Renten schlagen. Mexiko und China sehen sie positiv.
Michael Riesner, Leiter der
technischen Aktienanalyse der UBS, sieht ein wichtiges Tief an den
Aktienmärkten in der zweiten Jahreshälfte 2012. Zuvor sollte es im März zu
einem Hoch kommen. Eine Rotation von Large Caps in Small Caps sollte im
Laufe des Jahres erfolgen. China würde die Aktienzyklen anführen. Bei den
Banken würde noch eine letzte Welle nach unten fehlen. Die europäischen
Aktienmärkte dürften im zweiten Halbjahr die US-Aktienmärkte schlagen. Die
Welt sei in Anleihen überinvestiert. In 2013/14 dürfte die Inflation
deutlich steigen, genauso wie die Rohstoffpreise anzögen. Ein erstes Top
der Rohstoffpreise inkl. des Goldpreises sollte sich um 2014 ergeben.
Rohstoffe, Emerging Markets und Finanzwerte sollten im zweiten Halbjahr
2012 gekauft werden. Der Euro/Dollar sei bei 1,20 unterstützt.
Der Oxford-Professor Paul
Collier stellte den afrikanischen Kontinent als den Markt der Zukunft vor.
Nigeria und Südafrika seinen die Staaten, die bereits einen deutlichen
Entwicklungsvorsprung besitzen würden. Auch Botswana würde erfolgreich
wirtschaften. Seine These: Die ersten 30 Jahre nach der Entlassung in die
Unabhängigkeit seien schwierige Jahre, anschließend würde eine
Aufwärtsentwicklung beginnen. Arbeitsintensive Billigprodukte würden
zunehmend nicht mehr in China, sondern in Afrika gefertigt. Die
Möglichkeiten in diesen so genannten „Front“-Staaten seinen groß, das
gleiche gälte jedoch für die Risiken. Das Wissen der Investoren sei
gering.
Soweit unser Bericht aus
Zürich. Verfolgen Sie die Entwicklung der Finanzmärkte in unserer
handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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