Wellenreiter-Kolumne vom 28. Januar 2012
Portugal und weitere Auffälligkeiten
Die Aktienmärkte legen - im
Vorfeld des Facebook-Börsengangs - deutlich zu. Ist das der „Real Deal“?
Oder gibt es Anzeichen für eine sich abschwächende wirtschaftliche
Situation? Der IFO-Index signalisiert für Deutschland zum dritten Mal
hintereinander steigende Werte. Eine solche Entwicklung ist positiv.
Entscheidend für die weitere Entwicklung an den Aktienmärkten dürfte die
konjunkturelle Entwicklung in den USA sein.
In den vergangenen Monaten
waren die Analysten in ihren Einschätzungen der Konjunk-turindikatoren
regelmäßig zu negativ eingestellt. Dies zeigt der so genannte „Economic
Surprise Index“ der Citigroup.
Jetzt, da die Zahl der
Überraschungen ein positives Extrem erreicht hat, dürften sich die
positiven Überraschungen sukzessive reduzieren. Mit anderen Worten: Die
Aktienmärkte haben positive Überraschungen eingepreist. Keine oder gar
negative Überraschungen dürften sich an den Aktienmärkten in Korrekturform
bemerkbar machen.
Die aktuelle Divergenz
zwischen der Entwicklung der Aktienmärkte und der Entwicklung der
Anleihenrenditen fällt auf.
Normalerweise unterstützen
steigende Renditen (fallende Anleihen) die Aktienmärkte: Kapital wird aus
den Anleihen in Aktien umgeschichtet. Dies ist momentan nicht der Fall.
Die Aktienmärkte schaffen den Anstieg allein. Entweder ist genügend
Liquidität vorhanden, um sowohl die Aktien- als auch die Anleihenmärkte
steigen zu lassen, oder einer der beiden Märkte hat „unrecht“. Die bullish
eingestellten Marktteilnehmer vermuten, dass die steigenden Aktienmärkte
die Renditen demnächst nach oben ziehen werden. Diejenigen, die auf wieder
fallende Aktienmärkte setzen, vermuten, dass die Renditen die
Markteintwicklung korrekt anzeigen.
Ein Blick auf die Zinsstruktur
zeigt eine flacher werdende Kurve.
Die Rendite für fünfjährige
US-Anleihen ist am Freitag auf ein neues 60-Jahres-Tief gefallen. Eine
sich abflachende Zinsstrukturkurve – man vergleiche den aktuellen Verlauf
mit demjenigen vor einem Jahr - ist üblicherweise ein Zeichen einer sich
abkühlenden wirtschaftlichen Entwicklung. Die amerikanische Zentralbank
verstärkt durch ihre verbale Festschreibung der Nullzinspolitik bis Ende
2014 den Bedarf der Banken, Versicherungen und Pensionskassen, sich den
aktuellen Zinsspread zwischen kurzem und langem Ende zu sichern, bevor er
noch weiter zusammenschrumpft. Die Probleme von Versicherungen und
Pensionskassen im Hinblick auf Rendite dürften sich verschärfen. Abhilfe
könnte ein Engagement in anderen Märkten schaffen. Doch eine Bereitschaft
dieser Institutionen, sich beispielsweise verstärkt an den Aktienmärkten
zu engagieren, ist nicht erkennbar (man beachte das trotz steigender Kurse
niedrige Handelsvolumen!)
Ein weiterer konjunktureller
Negativ-Faktor ist die Entwicklung des Baltic Dry Index, ein Index für das
Niveau der weltweiten Schiffsfrachtraten.
Der Schiffsbau leidet unter
Überkapazitäten. Die Frachtkapazität steigt derzeit stärker an als das
tatsächlich gefahrene Frachtvolumen. Ein stark steigendes Angebot steht
einer nur moderat steigenden Nachfrage gegenüber: Die Preise fallen.
Ökonomisch ergeben sich zwei Seiten einer Medaille. Für die Branche selbst
(die Reeder) ist eine solche Entwicklung fatal. Die Gewinne brechen ein,
Investitionen werden gestoppt, der Bau neuer Schiffe wird auf Eis gelegt
oder verschoben. Erst wenn Angebot und Nachfrage im Einklang stehen,
können die Preise wieder steigen. Für das weltweit operierende Business
ist dieser Prozess zunächst positiv. Denn weniger Transportkosten bedeuten
eine höhere Marge bei sonst unveränderten Parametern. Der Baltic Dry Index
ist immer dann ein guter vorauslaufender Indikator, wenn eine fallende
Nachfrage die Schiffsfrachtraten fallen lässt. In diesem Fall ist
überwiegend das steigende Angebot für fallende Raten verantwortlich.
Andererseits: Ein Fall von 2.200 auf 726 Punkte innerhalb von vier Monaten
erscheint groß genug, um dahinter die eine oder andere negative
Überraschung vermuten zu können. Möglicherweise steckt nicht nur das
steigende Frachtangebot dahinter, sondern eine sich stärker als erwartet
verlangsamende Nachfrage. Und das wiederum wäre ein Hinweis auf eine sich
verstärkende konjunkturelle Abkühlung.
Zuletzt noch die Beobachtung,
dass sich der Frühindikator des Economic Cycle Research Institutes (ECRI)
einfach nicht verbessern will. Der Spread zwischen diesem Indikator und
der Entwicklung des amerikanischen Aktienmarktes hat sich auf ein in den
letzten 15 Jahren nicht gekanntes Niveau ausgeweitet.
Auch hier stellt sich die
Frage, wie diese Spanne nivelliert werden wird. Entweder fallen die
Aktienmärkte oder der ECRI steigt (oder beides geschieht). Das ECRI geht
weiterhin von einer US-Rezession in diesem Jahr aus. Geschähe dies, so
müsste sich der Dow Jones Index dem ECRI-Index nähern und nicht umgekehrt.
In diesem Prozess existieren
zwei „Wild-Cards“. Die eine dürfte der Iran sein, der gedroht hat, die
Straße von Hormuz zu blockieren. Durch diese Straße werden 20% des
weltweit vermarkteten Öls transportiert. Der Ölpreis verhält sich derzeit
nicht so, als ob diese Bedrohung akut wäre.
Anders ist es im Falle der
zweiten „Wild-Card“. Diese betrifft die Einschätzung der Händler im
Hinblick auf die Solvenz Portugals. Der Chart zeigt folgendes: Als der
Spread zwischen der Rendite 10jähriger griechischer Staatsanleihen und der
Rendite 10jähriger Bundesanleihen die 15-Prozentpunkte-Marke überschritt,
war das Schicksal Griechenlands im Hinblick auf den „Default“ besiegelt.
Der Rendite-Spread stieg anschließend schnell auf das aktuelle Niveau an.
Wir nehmen an, dass eine
Überschreitung der 15-Prozent-Marke des Spreads portugiesischer
Staatsanleihen zu Bundesanleihen eine ähnliche Wirkung entfalten würde.
Von dieser Marke ist der Spread nicht mehr weit entfernt.
Fazit: Größer als jetzt können
die positiven ökonomischen Überraschungen kaum mehr werden. Die Renditen
sollten bei steigenden Aktienmärkten anziehen. Sie tun dies aber nicht.
Der Baltic Dry Index fällt stark. Auch wenn dieser Fall Angebotsinduziert
scheint: Aufgrund des starken Rückgangs kann man vermuten, dass eine
Nachfrageschwäche nicht ausgeschlossen ist. Dies wiederum würde auf eine
sich abschwächende Konjunktur hindeuten. Ähnliches gilt für die wachsende
Spanne zwischen Dow Jones Index und ECRI-Index. Und schließlich sehen die
Händler die Solvenz Portugals sehr kritisch. Der Name „Portugal“ dürfte in
den kommenden Wochen häufiger in den Medien zu lesen sein, möglicherweise
häufiger als der Name „Griechenland“. Eine Insolvenz Portugals mit dem
Zwang zur Abwicklung wäre eine negative, an den Märkten nicht eingepreiste
Überraschung.
Facebook kann viel. Aber kann
ein Facebook-Börsengang „die Welt retten?“ Wohl kaum. Verfolgen Sie die
Entwicklung der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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