Wellenreiter-Kolumne vom 16. April 2012
Weimar reloaded - die neue
Zersplitterung
In den 1950er Jahren
repräsentierte die CDU das Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre. 30 Jahre
später - um 1980 herum - schlug die Stunde der grünen Partei. Und wiederum
30 Jahre später schickt sich erneut Partei an, die Wähler zu erobern: Die
Piraten.
Zahlen für 2013 gemäß aktuellem Umfrageergebnis des ZDF-Politbarometers
Blickt man auf den obigen Chartverlauf der Bundestagswahlergebnisse, so
taucht dort auch die Linke als „neue Partei“ auf (im Jahr 1990). Doch es
ist klar, dass die Linke/PDS als Nachfolgeorganisation der SED keine neue
Partei war, sondern sich aus den Trümmern des Sozialismus - getragen durch
Altkader - in die Gesamtrepublik hinüberretten konnte.
Man kann in diesem
Generationenzyklus bleiben, wenn man hinzufügt, dass die NSDAP im Jahr
1921 gegründet wurde. Und 30 Jahre zuvor - im Herbst 1890 - änderte die
sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) ihren Namen in
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). Seit dem Jahr 1890 entsteht
etwa alle 30 Jahre eine wichtige Veränderung/ Ergänzung der
Parteienlandschaft in Deutschland.
Das Emporkommen dieser Parteien wurde durch Kriege/ Krisen
forciert. Der Gründung der NSDAP ging der 1. Weltkrieg voraus. Die
Weltwirtschaftkrise ab 1929 war ein entscheidender Faktor im weiteren
Aufstieg der NSDAP. Die CDU entstand aus dem katholischen Zentrum nach dem
2. Weltkrieg. Die Parteienlandschaft der der Weimarer Republik lag
weitgehend in Trümmern. Ölkrise, Rezession, Smog-Alarme (Autos fuhren ohne
Kat, Schwefel wurde aus den Kraftwerken ungefiltert ausgestoßen) und die
Angst um die angeblich zur Neige gehenden Ressourcen der Erde begünstigten
die Wählbarkeit der Grünen Ende der 1970er/ Anfang der 1980er Jahre. Es
war die Zeit des „Club of Rome“ und der Bevölkerung- und Umwelt-Studie
„Global 2000“.
Die Piraten schließlich segeln auf dem Rücken der Finanz-
und Verschuldungskrise. Die Art und Weise, wie die Politik in dieser Krise
agiert, löst ein großes Misstrauen in der Bevölkerung aus. Wer bemängelt,
dass die Piraten kein Programm haben, der übersieht, dass sich die
Legitimation einer Partei nicht an einem Programm bemisst. Gegen etwas
sein und seine Stimme gegen das Establishment erheben kann eine Partei
sehr wohl deutlich nach vorn bringen. Man schaue auf die französische
Revolution, die sicher mehr aus einer Anti-Establishment-Stimmung heraus
entstand als dass sie auf einem „Partei-programm“ basierte. „Wir haben die
Schnauze voll“ reicht schon, um zum Wähler zu werden, wenn sich eine
Partei als Alternative darstellt. Die Piraten machen das nicht
ungeschickt.
Aufgrund der aktuellen Umfragen würden nach der
Bundestagswahl im September nächsten Jahres die große Koalition,
Schwarz/Grün, oder Rot/Grün/Piraten funktionieren. Weitere Möglichkeiten
ergäben sich bei Einbindung der Linken. Eine große Koalition würde die
kleinen Parteien stärken und den Niedergang der großen Parteien
beschleunigen. Der folgende Chart zeigt, welch hohen Tribut Union und SPD
für die große Koalition (2005 bis 2009) zahlen mussten.
Zahlen für 2013 gemäß aktuellem Umfrageergebnis des
ZDF-Politbarometers
Würden Schwarz/Grün oder
Rot/Grün/Piraten als mögliche Modelle bleiben. Interessant daran: Die
Grünen wären in jedem der beiden Fälle in der Regierungsverantwortung.
Natürlich kann sich bis zur Wahl im September 2013 noch einiges ändern.
Deshalb wollen wir hier nicht weiter spekulieren.
Wichtig erscheint etwas
anderes. Anders als in den USA oder auch in Großbritannien ist das
deutsche Parteienspektrum instabil. Auch wenn unsere Wahlgesetzgebung
darauf ausgerichtet ist, durch die 5-Prozent-Hürde Weimarer Verhältnisse
zu vermeiden: Es ist durchaus möglich, dass ab September 2013 mit der CDU,
der CSU, der SPD, den Grünen, den Linken, den Piraten und der FDP sieben
Parteien im Bundestag sitzen.
Gegen Ende der Weimarer Republik waren die
Stimmverhältnisse ähnlich (siehe obiger Chart). Man beachte: Hätte es im
September 1930 eine 5-Prozent-Hürde gegeben, hätte sie nichts genutzt. Die
Deutschen drängt es offenbar in Richtung einer politischen Zersplitterung.
Sie suchen nicht – wie in den USA – die Regeneration im Rahmen der
bestehenden Parteienlandschaft (siehe z.B. Ron Paul), sondern wollen das
Alte abstoßen. Wie war das noch: „Man setze sieben Deutsche zusammen und
sie gründen sofort einen Verein“.
Wie könnte sich eine solche
Situation im Hinblick auf die deutschen Finanzmärkte auswirken? Man sagt,
viele Köche verderben den Brei. Investoren mögen keine Unsicherheiten. Sie
haben ihr Kapital gerade deshalb in Deutschland deponiert, weil das Land
als sicherer Hafen gilt. Droht die politische und wirtschaftliche
Situation für Investoren unübersichtlich zu werden, so könnten sie dazu
geneigt sein, Kapital abzuziehen.
Verfolgen Sie die Entwicklung
der Finanzmärkte in unserer handelstäglichen Frühausgabe.
Robert Rethfeld
Wellenreiter-Invest
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